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Behauptungs- und Beweislast für kollektivvertragliche Kündigungsfristen in Saisonbranchen

BETTINA NUNNER-KRAUTGASSER (GRAZ)
(Rahmen-)KollV für Arbeiterinnen und Arbeiter im Hotel- und Gastgewerbe (Fassung ab 1.5.2019)
  1. Macht der vom AG unter Berufung auf die 14-tägige Kündigungsfrist des Pkt 21 lit a KollV gekündigte AN auf Basis der gesetzlichen Kündigungsfrist des § 1159 Abs 2 ABGB Kündigungsentschädigung geltend, so muss nicht der AG das Vorliegen einer Saisonbranche und damit die Rechtswirksamkeit der kollektivvertraglichen Regelung behaupten und beweisen. Vielmehr trägt der klagende AN im Prozess die Behauptungs- und Beweislast dafür, dass in einer Branche Betriebe, die keine Saisonbetriebe sind, überwiegen und die kollektivvertragliche Bestimmung des Pkt 21 lit a KollV daher wirkungslos ist, weshalb nicht die kürzere kollektivvertragliche, sondern die längere gesetzliche Kündigungsfrist zum Tragen kommt.

  2. Kann nicht festgestellt werden, ob eine Saisonbranche vorliegt (non liquet), dann trifft den diesbezüglich behauptungs- und beweispflichtigen AN die Beweislast. In diesem Fall sind die gesetzlichen Kündigungsfristen und -termine des § 1159 Abs 2 ABGB nicht als Entscheidungsgrundlage heranzuziehen.

  3. Pkt 15 des KollV für Angestellte im Hotel- und Gastgewerbe, wonach das unbefristete Dienstverhältnis nach den Bestimmungen des Angestelltengesetzes mit der Maßgabe gekündigt werden kann, dass es jeweils zum 15. oder Letzten des Kalendermonats aufgekündigt werden kann (§ 20 Abs 3 AngG), ist auf AN, die dem KollV für Arbeiterinnen und Arbeiter im Hotel- und Gastgewerbe unterliegen, nicht analog anwendbar.

[1] Der Kl war bei der Bekl seit 20.5.2021 als Kellner mit einem Lohn von 1.575 € brutto monatlich vollzeitbeschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis gelangt der Kollektivvertrag für Arbeiterinnen und Arbeiter im Hotel- und Gastgewerbe (in Folge: KollV) zur Anwendung. Das Arbeitsverhältnis endete durch AG-Kündigung vom 5.10.2021 (zugegangen dem Kl spätestens am 7.10.2021) zum 21.10.2021.

[1] Der Kl war bei der Bekl seit 20.5.2021 als Kellner mit einem Lohn von 1.575 € brutto monatlich vollzeitbeschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis gelangt der Kollektivvertrag für Arbeiterinnen und Arbeiter im Hotel- und Gastgewerbe (in Folge: KollV) zur Anwendung. Das Arbeitsverhältnis endete durch AG-Kündigung vom 5.10.2021 (zugegangen dem Kl spätestens am 7.10.2021) zum 21.10.2021.

[2] Der Kl begehrt die Zahlung von 10.420,99 € brutto. Darin enthalten sind – soweit für das Revisionsverfahren von Bedeutung – Ansprüche auf Kündigungsentschädigung für den Zeitraum vom 9.11.2021 bis 31.12.2021 in Höhe von 2.730,01 € brutto (ohne Überstundendurchschnitt), Urlaubsersatzleistung in Höhe von 849,67 € brutto (ohne Überstundendurchschnitt) und Jahresremuneration in Höhe von 1.950,40 € brutto. Die Kündigung des Arbeitsverhältnisses sei fristwidrig erfolgt. Die Bekl betreibe keinen „Saisonbetrieb“, weshalb die gesetzliche Kündigungsfrist des § 1159 Abs 2 ABGB zur Anwendung gelange.

[3] Die Bekl wandte dagegen im Wesentlichen ein, dass die Kündigung unter Einhaltung der gem Pkt 21 lit a des anzuwendenden KollV vorgesehenen Frist von 14 Tagen zulässig erfolgt sei. Für den Fall der Geltung einer sechswöchigen Kündigungsfrist habe das Dienstverhältnis zum 30.11.2021 beendet werden können, weil es analog zum KollV für Angestellte im Hotel- und Gastgewerbe zum 15. und Letzten eines Monats kündbar sei.

[4] Das Erstgericht sprach dem Kl 8.960,77 € brutto sA zu. Das Mehrbegehren von 1.460,22 € brutto sA wies es unangefochten ab. [...]

[5] Das Berufungsgericht gab der Berufung der Bekl teilweise Folge. Es bestätigte – soweit im Revisionsverfahren relevant – das Urteil des Erstgerichts mit Teilurteil im Umfang des Zuspruchs von 5.530,08 € brutto sA. [...]

[6] Die Revision sei mangels Vorliegens einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig.

[7] Gegen das Teilurteil des Berufungsgerichts richtet sich die außerordentliche Revision der Bekl wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung, mit der sie die Abweisung des Klagebegehrens im Umfang von 5.530,08 € brutto anstrebt. In eventu wird ein Aufhebungs- und Rückverweisungsantrag gestellt.

[8] Mit seiner [...] Revisionsbeantwortung beantragt der Kl, die Revision der Bekl zurückzuweisen, hilfsweise dem Rechtsmittel nicht Folge zu geben.

[9] Die Revision der Bekl wurde bereits im Beschluss des OGH vom 14.2.2024 zu 9 ObA 38/23p für zulässig erklärt. Sie ist iSd subsidiär gestellten Aufhebungsantrags auch berechtigt.

[10] I. Da der OGH Bedenken gegen die Verfassungskonformität der Bestimmungen des § 1159 Abs 1 bis Abs 4 ABGB idF BGBl I 2017/153 , allenfalls des § 1159 Abs 2 Satz 3 und Abs 4 Satz 3 ABGB idF BGBl I 2017/153 , allenfalls des § 1159 Abs 2 Satz 3 ABGB idF BGBl I 2017/153 für sich allein gesehen, hatte, stellte er mit Beschluss vom 14.2.2024, AZ 9 ObA 38/23p, einen entsprechenden Gesetzesprüfungsantrag an den VfGH. Mit der Fortführung des Revisionsverfahrens wurde gem § 62 Abs 3 VfGG bis zur Zustellung des Erkenntnisses des VfGH innegehalten.

[11] Mit Erkenntnis vom 25.6.2024, G 29/2024-12, wies der VfGH diesen Antrag ab.

[12] Das Revisionsverfahren ist nun fortzuführen.

[13] II.1. § 1159 ABGB idF BGBl I 2017/153 lautet:

„(1) Ist das Dienstverhältnis ohne Zeitbestimmung eingegangen oder fortgesetzt worden, so kann es durch Kündigung nach folgenden Bestimmungen gelöst werden.

(2) Mangels einer für den Dienstnehmer günstigeren Vereinbarung kann der Dienstgeber das Dienstverhältnis mit Ablauf eines jeden Kalendervierteljahres durch vorgängige Kündigung lösen. Die Kündigungsfrist beträgt sechs Wochen und erhöht sich nach dem vollendeten zweiten Dienstjahr auf zwei Monate, nach dem vollendeten fünften Dienstjahr auf drei, nach dem vollendeten fünfzehnten Dienstjahr auf vier und nach dem vollendeten fünfundzwanzigsten Dienstjahr auf fünf Monate. Durch Kollektivvertrag können für Branchen, in denen Saisonbetriebe im Sinne des § 53 Abs 6 des Arbeitsverfassungsgesetzes BGBl. Nr 22/1974 , überwiegen, abweichende Regelungen festgelegt werden. 314

(3) Die Kündigungsfrist kann durch Vereinbarung nicht unter die im Absatz 2 bestimmte Dauer herabgesetzt werden; jedoch kann vereinbart werden, dass die Kündigungsfrist am Fünfzehnten oder am Letzten des Kalendermonats endigt.

(4) Mangels einer für ihn günstigeren Vereinbarung kann der Dienstnehmer das Dienstverhältnis mit dem letzten Tage eines Kalendermonats unter Einhaltung einer einmonatigen Kündigungsfrist lösen. Diese Kündigungsfrist kann durch Vereinbarung bis zu einem halben Jahr ausgedehnt werden; doch darf die vom Dienstgeber einzuhaltende Frist nicht kürzer sein als die mit dem Dienstnehmer vereinbarte Kündigungsfrist. Durch Kollektivvertrag können für Branchen, in denen Saisonbetriebe im Sinne des § 53 Abs 6 des Arbeitsverfassungsgesetzes, BGBl. Nr 22/1974 überwiegen, abweichende Regelungen festgelegt werden.

(5) Ist das Dienstverhältnis nur für die Zeit eines vorübergehenden Bedarfes vereinbart, so kann es während des ersten Monats von beiden Teilen jederzeit unter Einhaltung einer einwöchigen Kündigungsfrist gelöst werden.“

[14] § 1159 ABGB trat (nach Verschiebungen) schließlich mit 1.10.2021 in Kraft (§ 1503 Abs 19 ABGB idF BGBl 2021/121) und ist auf Beendigungen anzuwenden, die – wie hier – nach dem 30.9.2021 ausgesprochen wurden.

[15] 2. § 53 Abs 6 ArbVG lautet:

„Als Saisonbetriebe gelten Betriebe, die ihrer Art nach nur zu bestimmten Jahreszeiten arbeiten oder die regelmäßig zu gewissen Zeiten des Jahres erheblich verstärkt arbeiten.“

[16] 3. Pkt 21 lit a des (Rahmen-)KollV für Arbeiterinnen und Arbeiter im Hotel- und Gastgewerbe in der ab 1.5.2019 geltenden Fassung, abgeschlossen zwischen dem Fachverband Gastronomie und dem Fachverband Hotellerie und der Gewerkschaft vida (in der ab 1.5.2019 geltenden Fassung), lautet:

„21. Lösung des Arbeitsverhältnisses

a. Das unbefristete Arbeitsverhältnis kann in den ersten 14 Tagen, die als Probezeit gelten, ohne vorherige Kündigung gelöst werden. Nach Ablauf dieser Zeit kann das unbefristete Arbeitsverhältnis nur nach vorheriger 14-tägiger Kündigung gelöst werden.“

[17] 4. Mit § 1159 ABGB idF BGBl I 2017/153 im Verhältnis zu Pkt 21 lit a KollV hat sich der OGH in den Entscheidungen 9 ObA 116/21f und 9 ObA 137/21v, die jeweils in Verfahren gem § 54 Abs 2 ASGG ergingen, ausführlich auseinandergesetzt. Die wesentlichen Aussagen dieser Entscheidungen lassen sich, soweit sie Bedeutung für den vorliegenden Fall haben, wie folgt zusammenfassen:

[18] 4.1. Die ursprünglich angestrebte Harmonisierung der Kündigungsfristen und -termine von Arbeitern und Angestellten ist nach dem gesetzlichen Modell nicht durchgehend verwirklicht, sondern ermöglicht nach Maßgabe des § 1159 ABGB kollektivvertragliche Abweichungen vom gesetzlichen Regelmodell, die für „Branchen, in denen Saisonbetriebe im Sinne des § 53 Abs 6 ArbVG überwiegen“, auch kürzere Kündigungsfristen enthalten können (9 ObA 116/21f Rz 19; vgl auch § 10 Abs 5 AÜG; RS0133981).

[19] 4.2. Eine bereits vor Inkrafttreten des § 1159 ABGB idF BGBl I 2017/153 (letztlich mit 1.10.2021, § 1503 Abs 19 ABGB) geschaffene kollektivvertragliche Regelung – wie Pkt 21 lit a KollV – hat auch nach Inkrafttreten dieses Gesetzes weiter Bestand, sofern und soweit mit ihr die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt werden (9 ObA 116/21f Rz 25).

[20] 4.3. Der Begriff der „Branche“ ist gesetzlich nicht definiert. Der fachliche Geltungsbereich des KollV erstreckt sich auf die Hotellerie und Gastronomie und ist als branchenbestimmend anzusehen. Das Hotel- und Gastgewerbe ist in diesem Sinn als einheitliche Branche anzusehen (9 ObA 116/21f Rz 33).

[21] 4.4. Die gesetzliche Regelungsermächtigung gilt nur, wenn in der Branche „Saisonbetriebe“ (§ 53 Abs 6 ArbVG iVm § 1159 Abs 2 und 4 jeweils letzter Satz ABGB) überwiegen. Ist dies der Fall, werden auch Betriebe der Branche, die keine Saisonbetriebe sind, von der Regelungsbefugnis der Kollektivvertragspartner umfasst (9 ObA 116/21f Rz 34). Die Kollektivvertragsparteien können das Überwiegen von Saisonbetrieben zwar deklarativ festhalten, jedoch nicht normativ festlegen, weil dieser Umstand tatbestandliche Voraussetzung für ihre Regelungsbefugnis ist (Rz 35). „Überwiegen“ bedeutet quantitatives Überwiegen: es kommt – was in einem längeren Untersuchungszeitraum zu beurteilen ist – auf die Anzahl der Saisonbetriebe in Relation zur Gesamtanzahl der Betriebe einer Branche an (Rz 36 f).

[22] III. Im vorliegenden Verfahren ist die Frage strittig, ob der klagende AN, der sich auf die gesetzliche Kündigungsfrist des § 1159 Abs 2 Satz 2 ABGB beruft, die Unwirksamkeit der eine kürzere Kündigungsfrist normierenden Bestimmung des Pkt 21 lit a Satz 2 KollV zu behaupten und die insoweit relevanten Tatsachen zu beweisen hat, oder der sich auf die kürzere kollektivvertragliche Kündigungsfrist berufende AG die Behauptungsund Beweislast dafür trägt, dass die Bestimmung des Pkt 21 lit a Satz 2 KollV (iVm § 1159 Abs 2 Satz 3 ABGB) und nicht die gesetzliche Bestimmung des § 1159 Abs 2 Satz 2 ABGB im konkreten Fall wegen des Vorliegens einer Saisonbranche anwendbar ist.

IV. Dazu ist auszuführen:

[23] 1. Die hier zu beurteilende Rechtsfrage hat der OGH bislang noch nicht beantwortet. Im Schrifttum finden sich dazu zahlreiche, unterschiedliche Stellungnahmen:

[24] 2. Für eine Behauptungspflicht (und Beweislastverteilung zu Lasten) des AG sprechen sich folgende Autorinnen und Autoren aus:

[25] 2.1. Ausführlich beschäftigt sich Nunner-Krautgasser (Zur Beweislastverteilung betreffend das [Nicht-]Vorliegen einer Saisonbranche, DRdA infas 2023, 72) mit diesem Thema. Ihrer Ansicht nach beziehe sich die Richtigkeitsvermutung (besser: „Richtigkeitsgewähr“) kollektivvertraglicher Regelungen iSd Judikatur darauf, dass kollektivvertraglichen Regelungen im Zweifel unterstellt werden dürfe, dem verfassungsrechtlichen Legalitätsprinzip gerecht zu werden. Damit sei jedoch keine beweisrechtlich relevante Vermutungsregelung verbunden, 315 aus der sich eine Vermutung hinsichtlich des Anwendungsbereichs einer kollektivvertraglichen Norm im System der Rechtsordnung ableiten ließe, die durch den Beweis der Nichtigkeit der kollektivvertraglichen Norm zu entkräften wäre. Insb begründe auch der Umstand, dass ein KollV eine ausdrückliche Regelung enthalte, nach der in den erfassten Branchen Saisonbetriebe überwiegen, keine Vermutungsbasis iSd § 270 ZPO. Daher sei die Frage der Beweislastverteilung auch in Fällen, in denen der betreffende KollV eine ausdrückliche Regelung enthalte, nach der in den erfassten Branchen Saisonbetriebe überwiegen, stets nach der Grundregel über die Beweislastverteilung zu klären, ob eine kollektivvertragliche Norm überhaupt von der gesetzlichen Ermächtigung in § 1159 ABGB gedeckt sei. Da § 1159 ABGB regelungstechnisch die Basis, die jeweilige kollektivvertragliche Bestimmung betreffend Saisonbranchen hingegen die Ausnahmeregelung darstelle, sei der AG, der die Ausnahmeregelung der kürzeren kollektivvertraglichen Kündigungsfrist für sich in Anspruch nehmen wolle, behauptungs- und beweispflichtig für das Vorliegen einer Saisonbranche und die daran geknüpfte Anwendbarkeit der kürzeren kollektivvertraglichen Kündigungsfrist. Bleibe unklar, ob eine für die Anwendbarkeit der kürzeren kollektivvertraglichen Kündigungsfrist vorausgesetzte Saisonbranche vorliegt (non liquet), dann sei nach der allgemeinen Beweislastgrundregel so zu entscheiden, als wäre festgestellt worden, dass eine Saisonbranche nicht vorliege. In diesem Fall seien die gesetzlichen Kündigungsfristen und -termine des § 1159 ABGB als Entscheidungsgrundlage heranzuziehen.

[26] 2.2. Grillberger verweist in einer Anmerkung zu 9 ObA 116/21f (wbl 2022/114, 403 [406]) darauf, dass Bestimmungen in Kollektivverträgen, die eine ausdrückliche Regelung enthielten, wonach in deren Branchen Saisonbetriebe überwiegen, nach dieser Entscheidung nur deklarative Bedeutung hätten, weshalb sie auch nicht als Beweislastregel verstanden werden könnten. Berufe sich der AG auf eine kürzere kollektivvertragliche Kündigungsfrist, obliege ihm im Streitfall der Nachweis, dass der KollV die gesetzlichen Voraussetzungen des § 1159 Abs 2 letzter Satz ABGB erfülle.

[27] 2.3. Radlingmayr (Zur Beweislast bei der Kündigungsfrist für Arbeiter im Hotel- und Gastgewerbe, ecolex 2023/320, 516 [517 f]) hält ebenfalls daran fest, dass in einem derartigen Leistungsstreitverfahren [Anm: wie dem vorliegenden] die allgemeinen Beweislastregeln zur Anwendung kämen. Noga (siehe Pkt IV.3.1.) hält er entgegen, dass der AN die Nichtigkeit gar nicht einwenden müsse, weil sich aus der gesetzlich angeordneten, längeren Kündigungsfrist der Anspruch auf die Kündigungsentschädigung bereits zweifelsfrei ergebe. Der AN müsse sich in diesem Fall keineswegs auf das Nichtvorliegen einer Saisonbranche stützen, und dementsprechend auch keinen Beweis darüber führen. Möchte der AG die Zahlung der Kündigungsentschädigung verhindern, müsse er sich als einzige Ausnahme von der Grundregel des § 1159 Abs 2 ABGB auf die Saisonbranchenbestimmung des letzten Satzes stützen. Hierbei handle es sich um eine für den AG günstigere Norm, deren Voraussetzungen ausschließlich er unter Beweis zu stellen habe, weil die Ausnahmeregelung des Abs 2 geeignet sei, den klägerischen Anspruch abzuwehren, da in diesem Fall die kürzere Kündigungsfrist des KollV zur Anwendung komme. Es handle sich also um einen anspruchsvernichtenden Einwand. Gelinge dem AG im Verfahren der Nachweis nicht, dass das Hotel- und Gastgewerbe eine Saisonbranche sei, sei der Klage auf Kündigungsentschädigung demnach stattzugeben.

[28] 2.4. Auch nach Tinhofer (Längere Kündigungsfristen für Arbeiter in Hotels und Gastronomie, Der Standard 2022/19/02) ist die Klage eines AN auf Kündigungsentschädigung, gestützt auf die längeren Kündigungsfristen des § 1159 ABGB, nur dann abzuweisen, wenn der AG nachweisen könne, dass die vom in OGH9 ObA 116/21f geforderten Voraussetzungen für Saisonbetriebe in der Branche tatsächlich erfüllt seien.

[29] 2.5. Reissner (Kündigungszeiten im Hotel- und Gastgewerbe – Überwiegen von Saisonbetrieben nicht belegt, JAS 2023, 145 [161 f]) zitiert die Ausführungen von Nunner-Krautgasser und untersucht die dogmatischen Grundlagen der Rechtsfolgen von einschlägigen kollektivvertraglichen Regelungen. Träfen ein grundsätzlich einseitig zwingendes Gesetz und ein dem Gesetz im Stufenbau untergeordneter KollV aufeinander, bestimme sich das Verhältnis zwischen diesen beiden Rechtsquellen nach § 1164 Abs 1 ABGB. Demnach könnten „die Berechtigungen des Dienstnehmers“, die sich ua aus § 1159 ABGB ergeben, „durch den Dienstvertrag oder durch Normen der kollektiven Rechtsgestaltung nicht aufgehoben oder beschränkt werden“. Es sei daher zu prüfen, ob der KollV das Gesetz „aufhebt oder beschränkt“ oder ob dieser als für die AN günstigere Rechtsquelle bestehen bleibe. Diesbezüglich sei also eine Günstigkeitsprüfung vorzunehmen, die mittels eines Günstigkeitsvergleichs durchzuführen sei. Aus (objektiver) Sicht des AN sei es günstiger, wenn der AG kündige und die Abwicklungszeit länger andauere. Das bedeute für den Fall einer gesetzwidrigen Festlegung einer 14-tägigen Kündigungsfrist für beide Seiten durch den KollV, dass die Regelung im Hinblick auf die AG-Kündigung an § 1159 ABGB scheitere, während diese hinsichtlich der Kündigung von Seiten des AN als günstigere Regelung gültig sei.

[30] 3. Hingegen treten für die Rechtsauffassung, dass der gekündigte AN, der unter Berufung auf das Gesetz eine Kündigungsentschädigung fordert, jene Tatsachen zu beweisen hat, aus denen sich die Nichtigkeit einer kollektivvertraglichen Regelung über Kündigungsfristen und -termine ergibt, folgende Autorinnen und Autoren ein:

[31] 3.1. Noga (Die gerichtliche Inhaltskontrolle abweichender kollektivvertraglicher Kündigungsfristen und -termine, ASoK 2022, 281 [285 ff]) setzt zentral an der (widerlegbaren) Richtigkeitsvermutung kollektivvertraglicher Regelungen und ihrer normativen Wirkung an und verknüpft diese mit weitreichenden Folgen (auch) für die Beweislastverteilung. Insoweit geht er davon aus, dass in 316 einschlägigen Individualprozessen die Nichtigkeit der kollektivvertraglichen Regelung nach den allgemeinen Beweislastregeln vom AN zu behaupten und die insoweit erforderlichen Tatsachen von ihm zu beweisen seien. Könne das Gericht nicht feststellen, ob es sich bei einer Branche um eine Saisonbranche handelt oder nicht, so treffe den AN, der die Nichtigkeit behauptet, das Beweislastrisiko.

[32] 3.2. Rauch (ASoK Spezial Arbeitsrecht 2023, 2.16.1. Ist das Hotel- und Gastgewerbe eine Saisonbranche und sind daher die 14-tägigen Kündigungsfristen [nach dem Arbeiter-KollV] weiterhin anwendbar?) teilt diese Ansicht ohne weitere Begründung.

[33] 3.3. Kietaibl (Die Beweislastverteilung in Bezug auf das [Nicht-]Vorliegen einer Saisonbranche im Anwendungsbereich eines Kollektivvertrages mit abweichenden Kündigungsbestimmungen, ASoK 2023, 234 [237 ff]) legt seinen Ausführungen ebenfalls zugrunde, dass beweispflichtig grundsätzlich der ist, der die Gesetz- oder Sittenwidrigkeit und damit Nichtigkeit einer Abrede behauptet (Ausnahmecharakter). Bei Vorhandensein einer kollektivvertraglichen Regelung sei daher nach herrschender Lehre zunächst ebenfalls von deren Wirksamkeit auszugehen und der beweisbelastet, der die Unwirksamkeit behauptet. Zudem sei grundsätzlich von einer Richtigkeitsgewähr des KollV auszugehen. Übertrage man diese Grundsätze auf den Fall abweichender kollektivvertraglicher Kündigungsbestimmungen, so wäre auf Basis der dargelegten Grundsätze zur Beweislast und kollektivvertraglichen Richtigkeitsgewähr zunächst von der Wirksamkeit der abweichenden Kündigungsbestimmung im KollV auszugehen, sodass bei Behauptung ihrer Nichtigkeit auch die nichtigkeitsbegründenden Tatsachen zu beweisen wären, in concreto also jene für das Nichtvorliegen einer Saisonbranche, woraus dann rechtlich die Überschreitung der kollektivvertraglichen Regelungsbefugnis und die Nichtigkeit der kollektivvertraglichen Kündigungsmodalitäten wegen Gesetzwidrigkeit folgen würden. Angesichts der Anforderungen an den Nachweis der von § 1159 Abs 2 Satz 2 ABGB normierten Voraussetzungen würde eine Beweislast desjenigen, der sich auf einen vorhandenen KollV mit abweichenden Kündigungsbestimmungen stütze, regelmäßig dazu führen, dass die kollektivvertragliche Kündigungsbestimmung im Ergebnis allein dadurch unanwendbar (außer Kraft gesetzt) würde, dass die andere Arbeitsvertragspartei die Regelungsbefugnis des KollV bestreite. Dem Gesetzgeber könne aber nicht unterstellt werden, dass die gesetzliche Regelungsermächtigung in § 1159 Abs 2 Satz 2 ABGB dadurch im Individualverfahren de facto beseitigt werde.

[34] 3.4. Dehn (Unbefristetes Unbestimmtes? In FS Neumayr II, 2467 [2474 ff]) argumentiert, dass die Erklärung eines KollV, die von ihm geregelte Branche sei eine Saisonbranche iSd § 1159 ABGB, nur eine Orientierung sein, aber keine abschließende Richtigkeitsgewähr bieten könne. Die Kollektivvertragsparteien könnten im Streben um die Schaffung von Rechtsklarheit zwar auf das Überwiegen von Saisonbetrieben in der Branche hinweisen, diesen Umstand aber nicht normativ festlegen, weil ihre Regelungsbefugnis ja erst einsetze, wenn der Tatbestand tatsächlich erfüllt sei. Grundsätzlich sei eine kollektivvertragliche Regelung nicht im Hinblick auf ihre Rechtswirksamkeit, sondern auf ihre allfällige Rechtsunwirksamkeit hin zu prüfen. Im Individualprozess bedürfte es demnach nicht im Interesse der Prozesspartei, die sich auf die kollektivvertragliche Regelung berufe, der Feststellung von Tatsachen für die Annahme ihrer Wirksamkeit, sondern vielmehr im Interesse der Gegenpartei, die sich auf die gesetzliche Frist berufe, der Feststellung von Tatsachen für die Nichtigkeit der kollektivvertraglichen Frist. Daher wäre die Prozesslast im Falle einer Negativfeststellung über die zu behauptenden Tatsachen von demjenigen zu tragen, der die kollektivvertragliche Regelung nicht angewendet wissen wolle.

[35] V. Den überzeugenden Rechtsausführungen von Dehn, die der Senat teilt, sind folgende Grundsätze voranzustellen:

[36] 1. Gem § 11 Abs 1 ArbVG sind die Bestimmungen des KollV, soweit sie nicht die Rechtsbeziehungen zwischen den Kollektivvertragsparteien regeln, innerhalb seines fachlichen, räumlichen und persönlichen Geltungsbereichs unmittelbar rechtsverbindlich. In diesem Geltungsbereich wirken die Bestimmungen des KollV normativ, sie schaffen objektives Recht und sind als Gesetz im materiellen Sinn zu qualifizieren (RS0050914; Reissner in Zell- Komm3 § 11 ArbVG Rz 5 mwN; Pfeil in Gahleitner/Mosler, Arbeitsverfassungsrecht12 § 11 ArbVG Rz 5; Resch in Jabornegg/Resch, ArbVG § 11 Rz 4).

[37] 2. Nach der Rsp ist eine mit zwingendem Recht in Widerspruch stehende Kollektivvertragsbestimmung nicht rechtsgültig und daher wirkungslos (RS0050828) bzw nichtig (vgl RS0034517 [T12, T18]; Mosler/Felten in Gahleitner/Mosler, Arbeitsverfassungsrecht12 § 2 ArbVG Rz 23; Runggaldier in Brameshuber/Tomandl, Arbeitsverfassungsgesetz § 2 ArbVG Rz 37). Auch dann, wenn die Kollektivvertragsparteien ihre vom Gesetz (§ 2 Abs 2 ArbVG) eingeräumte Ermächtigung überschritten haben, kommt der kollektivvertraglichen Regelung nicht die Normwirkung des § 11 Abs 1 ArbVG zu (vgl 8 ObA 98/02y; vgl Strasser in Strasser/Jabornegg/Resch, ArbVG § 2 Rz 10).

[38] 3. § 43 Abs 1 ASGG, wonach der Inhalt kollektivvertraglicher Normen von Amts wegen zu ermitteln ist, enthält keine Beweislastregel. Kollektivvertragliche Regelungen weisen eine „Richtigkeitsvermutung“ bzw „Richtigkeitsgewähr“ auf (vgl Mosler/Felten in Gahleitner/Mosler, Arbeitsverfassungsrecht12 § 2 ArbVG Rz 7). Diese stellt in der Sache eine Vermutung für die Angemessenheit, Sachlichkeit und Rechtsrichtigkeit des Kollektivvertrags dar. Den Kollektivvertragsparteien darf nämlich grundsätzlich unterstellt werden, dass sie eine vernünftige, zweckentsprechende und praktisch durchführbare Regelung treffen sowie einen gerechten Ausgleich der sozialen und wirtschaftlichen Interessen herbeiführen wollten, weshalb bei mehreren an sich in Betracht kommenden Auslegungsmöglichkeiten, wenn alle anderen Auslegungsgrundsätze 317 versagen, jener der Vorzug zu geben ist, die diesen Anforderungen am meisten entspricht (RS0008828; RS0008897). Dennoch steht es den Parteien frei, im gerichtlichen Verfahren die Unwirksamkeit kollektivvertraglicher Normen, etwa wegen Überschreitung der gesetzlichen Ermächtigung, geltend zu machen.

[39] 4. Nach den allgemeinen Beweislastregeln hat jede Partei die Voraussetzungen der ihr günstigen Norm zu behaupten und zu beweisen (RS0109832 [T1]; RS0039939 [T30]), und es trifft denjenigen die Beweislast, der behauptet, es liege eine Ausnahme von einer allgemeinen Regel vor (RS0040188; RS0109832 [T6]). Hier stellt sich nicht die Frage, ob ein konkreter Sachverhalt die Voraussetzungen einer bestimmten Norm erfüllt, sondern ob eine bestimmte Norm selbst überhaupt rechtswirksam ist. Spricht eine Prozesspartei einer kollektivvertraglichen Bestimmung die Normwirkung ab, dann hat sie die allenfalls erforderlichen Tatsachenbehauptungen aufzustellen, aus denen sich die Unwirksamkeit der Bestimmung – hier die Überschreitung der gesetzlichen Ermächtigung – ableiten lässt.

[40] 5. Die hier zu beurteilende Rechtsfrage kann aber nicht abschließend beantwortet werden, weil dazu Feststellungen fehlen.

[41] 6. Da die Parteien (unstrittig) keine Vereinbarung iSd § 1159 Abs 3 zweiter Halbsatz ABGB getroffen haben, endet die Kündigungsfrist nach § 1159 Abs 2 Satz 1 ABGB jedenfalls mit Ablauf des Kalendervierteljahres.

[42] 7. Pkt 15 des KollV für Angestellte im Hotel- und Gastgewerbe, wonach das unbefristete Dienstverhältnis nach den Bestimmungen des Angestelltengesetzes mit der Maßgabe gekündigt werden kann, dass es jeweils zum 15. oder Letzten des Kalendermonats aufgekündigt werden kann (§ 20 Abs 3 AngG), ist auf Arbeiter im Hotel- und Gastgewerbe, die einem anderen KollV unterliegen, nicht analog anwendbar. Ein Analogieschluss würde eine Gesetzeslücke voraussetzen, was heißt, dass der Rechtsfall nach dem Gesetz nicht beurteilt werden kann (RS0098756 [T12]; RS0010089 [T40]). Dass dies hier der Fall wäre, behauptet aber selbst die Revisionswerberin nicht. Es ist zudem nicht Aufgabe des Gerichts, vermeintlich unbefriedigende Gesetzesbestimmungen (hier Kollektivvertragsbestimmungen) zu ändern (RS0008880). Richtig ist zwar, dass der Gesetzgeber mit 1.7.2018 eine gewisse Angleichung der Kündigungsfristen und -termine für Arbeiter/-innen an die Systematik der Angestellten nach dem Angestelltengesetz getroffen hat (BGBl I 2017/153 ), eine völlige Angleichung hat der Gesetzgeber jedoch nicht vorgenommen (9 ObA 131/19h).

[43] 8. Die diese E tragenden Erwägungen können wie folgt zusammengefasst werden:

[44] 8.1. Macht der vom AG unter Berufung auf die 14-tägige Kündigungsfrist des Pkt 21 lit a KollV gekündigte AN auf Basis der gesetzlichen Kündigungsfrist des § 1159 Abs 2 ABGB Kündigungsentschädigung geltend, so muss nicht der AG das Vorliegen einer Saisonbranche und damit die Rechtswirksamkeit der kollektivvertraglichen Regelung behaupten und beweisen. Vielmehr trägt der klagende AN im Prozess die Behauptungs- und Beweislast dafür, dass in einer Branche Betriebe, die keine Saisonbetriebe sind, überwiegen und die kollektivvertragliche Bestimmung des Pkt 21 lit a KollV daher wirkungslos ist, weshalb nicht die kürzere kollektivvertragliche, sondern die längere gesetzliche Kündigungsfrist zum Tragen kommt.

[45] Der OGH verkennt nicht die – gerade auch im konkreten Fall – mit dieser Beweisführung verbundenen Schwierigkeiten. Es ist jedoch nicht Aufgabe der – ordentlichen – Gerichte, unbefriedigende Gesetzesbestimmungen zu ändern, sondern der Gesetzgebung (RS0008880).

[46] 8.2. Kann nicht festgestellt werden, ob eine Saisonbranche vorliegt (non liquet), dann trifft den diesbezüglich behauptungs- und beweispflichtigen AN die Beweislast. In diesem Fall sind die gesetzlichen Kündigungsfristen und -termine des § 1159 Abs 2 ABGB nicht als Entscheidungsgrundlage heranzuziehen.

[47] 8.3. Pkt 15 des KollV für Angestellte im Hotelund Gastgewerbe, wonach das unbefristete Dienstverhältnis nach den Bestimmungen des Angestelltengesetzes mit der Maßgabe gekündigt werden kann, dass es jeweils zum 15. oder Letzten des Kalendermonats aufgekündigt werden kann (§ 20 Abs 3 AngG), ist auf AN, die dem KollV für Arbeiterinnen und Arbeiter im Hotel- und Gastgewerbe unterliegen, nicht analog anwendbar.

[48] 9.1. Die Parteien haben hier kein (ausreichendes) Vorbringen zur Beurteilung der Frage erstattet, ob Pkt 21 lit a KollV mit § 1159 Abs 2 ABGB in Widerspruch steht. Insb hat der behauptungs- und beweispflichtige Kl keine Behauptungen in Ansehung des Überwiegens von Betrieben in der Branche des Hotel- und Gastgewerbes, die keine Saisonbetriebe sind, aufgestellt und dafür Beweisanbote erstattet. [...]

[49] 9.2. Das Gericht darf die Parteien in seiner Entscheidung nicht mit einer Rechtsauffassung überraschen, die sie nicht beachtet haben und auf die sie das Gericht nicht aufmerksam gemacht hat (RS0037300). [...]

[50] In Stattgebung der Revision der Bekl waren die Entscheidungen der Vorinstanzen daher aufzuheben. [...]

ANMERKUNG
1.
Problemstellung

Die seit 1.10.2021 in Kraft stehenden Bestimmungen der § 1159 Abs 2 letzter Satz und Abs 4 letzter Satz ABGB ermächtigen die Kollektivvertragsparteien, für Arbeiterinnen und Arbeiter in Branchen, in denen Saisonbetriebe iSd § 53 Abs 6 ArbVG überwiegen, abweichende Kündigungsfristen und -termine festzulegen. Diese Regelungen haben sich von Anfang an als problematisch erwiesen; das betraf schon die Frage, ob bereits vor dem Inkrafttreten bestehende kollektivvertragliche Regelungen unberührt blieben oder durch die Neufassung des § 1159 ABGB überholt wurden. Auch die Begriffe „Branche“ und „Saisonbetrieb“ sowie „Überwiegen 318 von Saisonbetrieben“ waren unklar (vgl dazu OGH 24.3.2022, 9 ObA 116/21f; OGH 27.4.2022, 9 ObA 137/21v; RIS-Justiz RS0133981).

Besonders heikel ist die Verteilung der Behauptungs- und Beweislast im Individualprozess um Kündigungsentschädigung: Muss der auf Kündigungsentschädigung klagende AN behaupten und beweisen, dass die in einem KollV enthaltenen kürzeren Kündigungsfristen und -termine nichtig sind, weil keine Saisonbranche vorliegt, oder muss der bekl AG behaupten bzw beweisen, dass die kollektivvertraglichen, abweichenden Kündigungsfristen und -termine rechtsverbindlich sind, weil es sich um eine Saisonbranche handelt? Die entsprechende Problematik ist auch dann relevant, wenn der klagende AG unter Berufung auf die längere Kündigungsfrist des § 1159 ABGB einen unberechtigten vorzeitigen Austritt des AN behauptet (Nunner-Krautgasser, Zur Beweislastverteilung betreffend das [Nicht-]Vorliegen einer Saisonbranche, DRdA-infas 2023, 72 [76]). Der Zuweisung der Beweislast kommt in solchen Prozessen ganz zentrale Bedeutung zu, weil die Beweisführung überaus schwierig ist. Daher ist hier die Beweislastverteilung idR entscheidend für den Prozessausgang (vgl Prankl, Kündigungsfristen für Arbeiter in Saisonbranchen und Beweislast, ZAS 2025, 24).

2.
Verfassungskonformität der Regelungen

Der OGH stellte wegen verfassungsrechtlicher Bedenken hinsichtlich des Legalitätsprinzips und des Gleichheitsgrundsatzes zunächst einen Gesetzesprüfungsantrag an den VfGH (OGH 14.2.2024, 9 ObA 38/23p). Der VfGH teilte die Bedenken des OGH jedoch nicht und wies den Antrag ab (VfGH 25.6.2024, G 29/2024; zust Prankl, ZAS 2025, 25 f; krit Grillberger, Kündigungsfristen für Arbeiter in Saisonbranchen, wbl 2025, 13 [14 f]).

3.
Beweislastverteilung

Im fortgesetzten Verfahren hatte der OGH daher § 1159 Abs 2 letzten Satz und Abs 4 letzten Satz ABGB anzuwenden und die Frage der Beweislastverteilung zu klären. Insoweit schließt sich der 9. Senat – nach einem Referat der divergierenden Lehrmeinungen – im Weiteren den Ausführungen von Dehn (Unbefristet Unbestimmtes? in FS Neumayr II [2023] 2467 [2474 ff]) an: Die Behauptungs- und Beweislast soll demnach diejenige Prozesspartei treffen, welche die kollektivvertragliche Regelung nicht angewendet wissen will, in concreto also den klagenden AN. Diese Rechtsansicht korrespondiert mit der Annahme, dass eine Prozesspartei, die einer kollektivvertraglichen Bestimmung die Normwirkung abspricht, die allenfalls erforderlichen Tatsachenbehauptungen aufstellen müsse, aus denen sich die Unwirksamkeit der Bestimmung (hier also die Überschreitung der gesetzlichen Ermächtigung) ableiten lässt. Dahinter steht freilich ein umfassendes Verständnis der Richtigkeitsvermutung bzw -gewähr des KollV: Diese wird vom 9. Senat nicht bloß auf den Inhalt des

KollV, sondern darüber hinaus auch auf das Vorliegen einer entsprechenden Regelungsbefugnis bezogen (zust Prankl, ZAS 2025, 26). Dieses weite Verständnis ist allerdings kritisch zu sehen: Denn die Richtigkeitsvermutung iSd stRsp (insb RISJustiz RS0008897) bedeutet vor allem, dass kollektivvertraglichen Regelungen im Zweifel unterstellt werden darf, dem verfassungsrechtlichen Legalitätsprinzip gerecht zu werden. Eine beweisrechtlich relevante Vermutungsregelung hinsichtlich des Anwendungsbereichs einer kollektivvertraglichen Norm im System der Rechtsordnung, die durch den Beweis der Nichtigkeit der kollektivvertraglichen Norm zu entkräften wäre, ist damit aber nicht verbunden (so bereits Nunner-Krautgasser, DRdA-infas 2023, 80). Differenziert man insoweit zwischen Inhaltskontrolle und Anwendbarkeit einer kollektivvertraglichen Norm, so gelangt man zu einer völlig anderen Beurteilung der Beweislastverteilung, nämlich zu einer Beurteilung nach Maßgabe der Grundregeln über die Beweislastverteilung: Dabei ist zu beachten, dass § 1159 ABGB regelungstechnisch die Basis, die jeweilige kollektivvertragliche Bestimmung betreffend Saisonbranchen hingegen die Ausnahmeregelung darstellt (zum Ausnahmecharakter der Sonderregelung für Saisonbranchen vgl auch Grillberger, wbl 2025, 15). Da das (ausnahmsweise) Vorliegen einer Saisonbranche Voraussetzung für die gesetzliche Ermächtigung zur Festlegung einer kollektivvertraglichen Ausnahmeregelung ist, trifft die Beweislast konsequenterweise nicht die Prozesspartei, die sich auf die gesetzliche Grundregelung des § 1159 ABGB beruft, sondern jene Prozesspartei, welche sich auf die (den Prozessgegner belastende) kollektivvertragliche Ausnahmeregelung stützen will (in diesem Sinn auch OLG Wien 10 Ra 5/23p ARD 6861/7/2023 und OLG Innsbruck 25.4.2023, 13 Ra 35/22b, RIS-Justiz RI0100148).

4.
Ausblick

Positiv bleibt anzumerken, dass der OGH mit der vorliegenden E für ein gewisses Maß an Rechtssicherheit gesorgt hat. Allerdings wurde die Problematik für Arbeiterinnen und Arbeiter im Hotel- und Gastgewerbe pro futuro durch den neuen KollV mit Wirkung ab 1.11.2024 behoben: Denn nach dessen Pkt XXV Z 2 lit a können Arbeitsverhältnisse unter Einhaltung der jeweils geltenden Kündigungsfristen zu jedem Fünfzehnten oder Letzten eines Kalendermonats gekündigt werden; damit sind die gesetzlichen Kündigungsfristen des § 1159 ABGB angesprochen. Für andere Branchen bleibt es hingegen zumindest bis auf Weiteres bei dem fragwürdigen Befund, dass die schlichte Qualifikation als Saisonbranche im KollV (vgl etwa § 16 KollV für Tischler und Holzgestalter sowie § 4 KollV für Denkmal-, Fassaden- und Gebäudereiniger) über die Beweislastverteilung zT völlig inadäquate Erschwernisse bei der Rechtsdurchsetzung hervorzurufen vermag.319