38Berücksichtigung der Sonderzahlungen bei der Bemessung des Krankengeldes trotz voller Weitergewährung?
Berücksichtigung der Sonderzahlungen bei der Bemessung des Krankengeldes trotz voller Weitergewährung?
Das Krankengeld hat Lohnersatzfunktion: Es soll den durch die Arbeitsunfähigkeit erlittenen Entgeltverlust (zumindest teilweise) ersetzen und den Unterhalt des Versicherten während der Zeit der Arbeitsunfähigkeit sicherstellen. Im Allgemeinen soll eine vollständige Kompensation des Einkommensausfalls dadurch aber nicht bewirkt werden.
Umso weniger sollte es durch den Krankengeldbezug zu einer – sozialversicherungsrechtlich allgemein unerwünschten – „Überversorgung“ kommen, was sich nicht zuletzt auch aus ausdrücklich statuierten Ruhensbestimmungen ergibt.
Auch die in § 125 Abs 3 ASVG vorgesehene Berücksichtigung von Sonderzahlungen durch einen prozentuellen Zuschlag zur Bemessungsgrundlage ist vom generellen Regelungsgedanken der Lohnersatzfunktion des Krankengeldes getragen.
Fehlt es in Ansehung der Sonderzahlungen an einem auszugleichenden Einkommensausfall, weil dem Versicherten aufgrund kollektiv- oder einzelvertraglicher Regelung ausnahmsweise auch noch im Zeitraum des Krankengeldbezugs ein Anspruch auf ungeschmälerte Fortzahlung der Sonderzahlungen gegenüber seinem AG zukommt, so haben Sonderzahlungen bei der Ermittlung der Bemessungsgrundlage des Krankengeldes nach § 125 ASVG überhaupt außer Betracht zu bleiben.
[1] Der Kl war von 8.4.2022 bis 5.7.2023 als Angestellter der W* GmbH zur SV gemeldet und bezog im März 2023 ein Bruttoentgelt von 2.918,03 €. Von 29.3. bis 11.10.2023 war er aufgrund von Krankheit als arbeitsunfähig gemeldet. Auch während der Zeit des Krankengeldbezugs hatte er gegenüber seinem AG weiterhin Anspruch auf Auszahlung der Sonderzahlungen in unverkürztem Ausmaß.
[2] Strittig ist im vorliegenden Verfahren lediglich, ob diese Sonderzahlungen bei der Bemessung der Höhe des Krankengeldes zu berücksichtigen sind. [3] Mit dem angefochtenen Bescheid vom 9.10.2023 wies die Bekl den Antrag des Kl ab, ihm ein höheres Krankengeld als 24,32 € brutto täglich für den Zeitraum von 1.4. bis 7.4.2023, als 29,18 € brutto täglich für den 7.6.2023 sowie für den Zeitraum von 9.6. bis 5.7.2023 und als 58,36 € brutto täglich für den Zeitraum von 21.7. bis 11.10.2023 zu gewähren.
[3] Mit dem angefochtenen Bescheid vom 9.10.2023 wies die Bekl den Antrag des Kl ab, ihm ein höheres Krankengeld als 24,32 € brutto täglich für den Zeitraum von 1.4. bis 7.4.2023, als 29,18 € brutto täglich für den 7.6.2023 sowie für den Zeitraum von 9.6. bis 5.7.2023 und als 58,36 € brutto täglich für den Zeitraum von 21.7. bis 11.10.2023 zu gewähren.
[4] In seiner dagegen gerichteten Klage begehrt der Kl die Zuerkennung von Krankengeld von 1.4.2023 bis 11.10.2023 in der gesetzlichen Höhe. Entgegen § 125 Abs 3 ASVG iVm § 21 Abs 2 der Satzung der Bekl habe die Bekl die Bemessungsgrundlage des Krankengeldes nicht um einen Zuschlag von 17 % für die in einem Kalenderjahr gebührenden Sonderzahlungen iSd § 49 Abs 2 ASVG erhöht. Eine rechtliche Grundlage für die Nichtberücksichtigung der Sonderzahlungen liege nicht vor. Der Zuschlag sei unabhängig davon zu berücksichtigen, ob eine Sonderzahlung faktisch ausbezahlt werde oder nicht.
[5] Die Bekl hält dem entgegen, der Zuschlag für Sonderzahlungen gebühre nicht, gelange doch § 125 Abs 3 ASVG nur dann zur Anwendung, wenn damit auch tatsächlich der Ausfall der Sonderzahlungen mitabgegolten werden solle. Hier bleibe aber der Anspruch des Kl auf ungekürzte Sonderzahlungen gegenüber seinem AG auch während des Krankengeldbezugs bestehen. Die Berücksichtigung des pauschalen Sonderzahlungszuschlags würde in diesem Fall zu einem nach der Judikatur zu vermeidenden Doppelbezug führen. Ein auszugleichender Entfall des arbeitsrechtlichen Anspruchs auf Sonderzahlungen liege gerade nicht vor.
[6] Das Erstgericht wies das [...] Klagebegehren ab.
[7] Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. [...]
[8] Die Revision ließ das Berufungsgericht zu [...].
[11] Die Revision ist [...] zulässig, sie ist jedoch nicht berechtigt.
[12] 1. Der Kl macht in seiner Revision zusammengefasst geltend, zwar seien im Sozialversicherungsrecht mitunter Bestimmungen vorgesehen, die der Vermeidung etwaiger Doppelbezüge dienten (§§ 90, 90a, 143 ASVG). Es bestehe jedoch keine rechtliche Grundlage dafür, unter Rückgriff auf ein daraus abgeleitetes Grundprinzip die hier maßgebliche Bestimmung des § 125 Abs 3 ASVG betreffend die pauschale Erhöhung der Bemessungsgrundlage des Krankengeldes um einen Zuschlag von 17 % im Fall des Weiterbezugs von Sonderzahlungen unangewendet zu lassen. Der klare Wortlaut dieser Regelung, systematische Erwägungen sowie der Normzweck stünden der vom Berufungsgericht in der Sache vorgenommenen teleologischen Reduktion entgegen.
2. Dazu ist auszuführen:
[13] 2.1. Nach § 141 ASVG wird als gesetzliche Mindestleistung das Krankengeld im Ausmaß von 50 vH der Bemessungsgrundlage für den Kalendertag gewährt (Abs 1). Ab dem 43. Tag einer mit Arbeitsunfähigkeit verbundenen Erkrankung erhöht es sich auf 60 vH der Bemessungsgrundlage für den Kalendertag (Abs 2).
[14] Das Krankengeld hat Lohnersatzfunktion: Es soll den durch die Arbeitsunfähigkeit erlittenen Entgeltverlust (zumindest teilweise) ersetzen und den Unterhalt des Versicherten während der Zeit der Arbeitsunfähigkeit sicherstellen (RS0106773 [T1]). Im Allgemeinen soll eine vollständige Kompensation des Einkommensausfalls dadurch aber nicht bewirkt werden. Das Krankengeld gebührt vielmehr bloß im Ausmaß der zuvor angeführten Prozentsätze der Bemessungsgrundlage (vgl Drs in Mosler/Müller/Pfeil, Der SV-Komm § 141 ASVG Rz 1 [Stand 1.3.2020, rdb.at] mwN).
[15] Umso weniger sollte es durch den Krankengeldbezug zu einer – sozialversicherungsrechtlich allgemein unerwünschten – „Überversorgung“ kommen, was sich nicht zuletzt auch aus jenen ausdrücklich statuierten Ruhensbestimmungen ergibt, denen die 327 Zielsetzung zugrunde liegt, Leistungen nicht zu gewähren, wenn ein Sicherungsbedürfnis vorübergehend weggefallen ist (vgl 10 ObS 142/23i Rz 22 mwN).
[16] 2.2. Die Bemessungsgrundlage für das Krankengeld ergibt sich aus § 125 ASVG. Sonderzahlungen nach § 49 Abs 2 ASVG sind bei der Bemessung des Krankengeldes gem § 125 Abs 3 ASVG in der Weise zu berücksichtigen, dass die Bemessungsgrundlage nach Abs 1 und 2 um einen durch die Satzung des Versicherungsträgers allgemein festzusetzenden Hundertsatz erhöht wird.
[17] Nach § 21 Abs 2 der Satzung der Bekl beträgt der Zuschlag für die in einem Kalenderjahr gebührenden Sonderzahlungen 17 %; er darf ein Sechstel der Höchstbeitragsgrundlage (§ 45 Abs 1 ASVG) nicht übersteigen.
[18] Die Bestimmung des § 125 Abs 3 ASVG wurde mit dem ASVG 1955 (BGBl Nr 189/1955) eingeführt. In den Materialien wird dazu ausgeführt, die im bisherigen Recht (§ 12 Abs 4 Rentenbemessungsgesetz) vorgesehene Art der Berücksichtigung der Sonderzahlungen bei der Bemessung der Geldleistungen der KV habe bei der praktischen Durchführung große Schwierigkeiten bereitet. Die Sonderzahlungen seien bisher in der Weise zu berücksichtigen gewesen, dass zum Grundlohn ein Zuschlag hinzuzurechnen gewesen sei, der dem auf einen Kalendertag entfallenden Teil der beitragspflichtigen Sonderzahlungen, die im Jahr des Eintritts des Versicherungsfalls fällig geworden seien, entsprochen habe. Diese Regelung sei nicht mehr übernommen worden. Vielmehr solle die Berücksichtigung der Sonderzahlungen pauschalmäßig durch Erhöhung der Bemessungsgrundlage um einen – in der Satzung des Versicherungsträgers festzulegenden – Hundertsatz erfolgen, wodurch die Berechnung der Geldleistungen wesentlich vereinfacht werde (ErläutRV 599 BlgNR 7. GP 51).
[19] Anhaltspunkte dafür, dass der Gesetzgeber des ASVG 1955 die Einrechnung des prozentuellen Zuschlags in die Bemessungsgrundlage des Krankengeldes bewusst unabhängig vom tatsächlichen Ausfall des Anspruchs des Versicherten gegenüber seinem DG auf Bezug von Sonderzahlungen statuieren wollte, also entsprechend dem undifferenzierten Wortlaut der Regelung auch für den Fall, dass dem Versicherten dieser Bezug ohnedies auch während seiner Arbeitsunfähigkeit zu Gute kommt, ergeben sich aus den Materialien nicht. Die entsprechende Prämisse des Kl, nach dem Willen des historischen Gesetzgebers sollte mit der pauschalen Erhöhung gerade auch ein bloß möglicher Ausfall von Sonderzahlungen „ausgeglichen“ werden, findet folglich in den Gesetzesmaterialien keine Stütze. Es scheint vielmehr naheliegend, dass der Gesetzgeber, hätte er der Regelung, in deutlicher Abkehr vom Grundgedanken des Einkommensersatzcharakters des Krankengeldes, ein solches Verständnis unterstellen wollen, dies deutlich zum Ausdruck gebracht hätte. Er hatte bei Statuierung der Bestimmung des § 125 Abs 3 ASVG erkennbar den Regelfall vor Augen, dass nach Ausschöpfung des Entgeltfortzahlungsanspruchs des DN gegenüber dem DG im Fall der Krankheit – man mangels gegenteiliger Abrede – auch Sonderzahlungen nicht mehr gebühren (RS0030306).
[20] Somit ist auch die in § 125 Abs 3 ASVG vorgesehene Berücksichtigung von Sonderzahlungen durch einen prozentuellen Zuschlag zur Bemessungsgrundlage vom generellen Regelungsgedanken der Lohnersatzfunktion des Krankengeldes getragen; sie verfolgt – mit anderen Worten – das Ziel, dem Versicherten den Ausfall seines Anspruchs auf Bezug von Sonderzahlungen während der entgeltfortzahlungsfreien Zeit der Arbeitsunfähigkeit zu kompensieren.
[21] 2.3. Angesichts dieser klar erkennbaren grundsätzlichen rechtspolitischen Zielsetzung mit dem gesetzlichen Regime des Krankengeldes als solchen, aber auch mit dem Zuschlag nach § 125 Abs 3 ASVG, dem Versicherten bloß eine Einkommensersatzleistung zu gewähren, sprechen teleologische Erwägungen deutlich dafür, dass der undifferenzierte Wortlaut der Bestimmung gemessen am zugrunde liegenden Regelungsgedanken zu weit geraten ist und damit einer Einschränkung durch teleologische Reduktion bedarf: Fehlt es in Ansehung der Sonderzahlungen an einem auszugleichenden Einkommensausfall, weil dem Versicherten aufgrund kollektivoder einzelvertraglicher Regelung ausnahmsweise auch noch im Zeitraum des Krankengeldbezugs ein Anspruch auf ungeschmälerte Fortzahlung der Sonderzahlungen gegenüber seinem AG zukommt, so haben Sonderzahlungen bei der Ermittlung der Bemessungsgrundlage des Krankengeldes nach § 125 ASVG überhaupt außer Betracht zu bleiben (ähnlich bereits zum Wochengeld 10 ObS 33/11t [ErwGr 4. und 5.]; 10 ObS 46/12f [ErwGr 3.3.]; 10 ObS 113/17s [ErwGr 5.1. ff]; dieser Rsp zustimmend Drs in Mosler/Müller/Pfeil, Der SV-Komm § 162 ASVG Rz 48 [Stand 1.3.2020, rdb.at] mwN).
[22] Wieso methodische Erwägungen gegen diese teleologische Reduktion des § 125 Abs 3 ASVG sprechen sollen, legt der Kl in seiner Revision nicht nachvollziehbar dar. Dass – wie die Revision ausführt – das Gesetz in den §§ 90, 90a, 143 ASVG im Zusammenhang mit dem Krankengeld ausdrückliche Ruhensbestimmungen kennt, spricht nicht gegen die teleologische Reduktion des § 125 Abs 3 ASVG. Denn gerade aus diesen Bestimmungen leuchtet die Absicht des Gesetzgebers, Doppelbezüge hintanzuhalten, deutlich hervor; ohne die hier vorzunehmende teleologische Reduktion käme es jedoch in Form der Erhöhung der Bemessungsgrundlage zur doppelten Berücksichtigung der Sonderzahlungen.
[23] 2.4. Die Vorinstanzen haben vor diesem Hintergrund § 125 Abs 3 ASVG im vorliegenden Fall zu Recht unangewendet gelassen. [...]
[25] 2.5. Unklar bleibt schließlich, welche für ihn positiven Folgerungen der Kl aus seinem Rechtsmittelvorbringen abzuleiten gedenkt, wonach der „arbeitsrechtliche“ Anspruch auf Sonderzahlungen und der sozialversicherungsrechtliche Anspruch auf Krankengeld auf jeweils unterschiedlichen Rechtsgrundlagen beruhten, unterschiedliche Zwecke verfolgten und daher nicht vermischt werden dürften. Vielmehr spricht die ständige arbeitsrechtliche Judikatur zu § 125 Abs 3 ASVG davon, der 328 Gesetzgeber gehe davon aus, dass für die Dauer des Krankengeldbezugs keine Sonderzahlungen zu leisten seien, weil es sonst zu einem sachlich problematischen Doppelbezug käme (9 ObA 2047/96m; 8 ObA 2059/96v; 9 ObA 2132/96m; 9 ObA 151/09k). Auch diese Erwägung bestätigt die dargestellte teleologische Reduktion.
2.6. Als Ergebnis der vorstehenden Erwägungen wird festgehalten:
[26] Fehlt es insoweit an einem auszugleichenden Einkommensausfall des Versicherten, als diesem – aufgrund kollektivvertraglicher oder einzelvertraglicher Regelung – ausnahmsweise auch noch im Zeitraum des Krankengeldbezugs ein Anspruch auf ungeschmälerte Fortzahlung der Sonderzahlungen gegenüber seinem AG zukommt, so haben Sonderzahlungen bei der Ermittlung der Bemessungsgrundlage des Krankengeldes nach § 125 ASVG überhaupt außer Betracht zu bleiben. § 125 Abs 3 ASVG gelangt diesfalls nicht zur Anwendung. [...]
In der vorliegenden E geht es um folgende Frage: Sind bei einem Versicherten, der gegenüber seinem AG Anspruch auf Auszahlung des Urlaubs- und Weihnachtsgeldes auch für Zeiten hat, in denen sein Entgeltfortzahlungsanspruch bereits ausgeschöpft ist, diese Sonderzahlungen dennoch bei der Bemessung der Höhe seines Krankengeldanspruchs gem § 125 Abs 3 ASVG zu berücksichtigen? Aus dem Sachverhalt geht nicht hervor, auf welcher Grundlage der Versicherte den Anspruch auf die Sonderzahlungen für Zeiten ohne Entgelt hatte. Zur vorliegenden E gibt es bereits Folgeentscheidungen. In einer dieser (OGH 19.11.2024, 10 ObS 109/24p) war Grundlage der KollV für Angestellte und Lehrlinge in Handelsbetrieben.
Die im Zentrum der gegenständlichen E stehende Bestimmung des § 125 Abs 3 ASVG regelt die Berücksichtigung der Sonderzahlungen bei der Bemessung der Barleistungen in der KV. Lässt sich nun aus der Formulierung: „Die Sonderzahlungen [...] sind bei der Bemessung der Barleistungen der Krankenversicherung in der Weise zu berücksichtigen [...]
“ ableiten, dass dies stets zu geschehen hat, also auch dann, wenn der Versicherte die Sonderzahlungen ohnehin von seinem AG in vollem Umfang weiter erhält? Oder gebietet dies der Zweck der Regelung? Oder gebietet das der Zweck der Regelung gerade nicht? Diesen und anderen Fragen wird im Rahmen der gegenständlichen Besprechung nachgegangen.
Die im Zentrum der gegenständlichen E stehende Bestimmung des § 125 Abs 3 ASVG regelt die Berücksichtigung der Sonderzahlungen bei der Bemessung der Barleistungen in der KV. Lässt sich nun aus der Formulierung: „Die Sonderzahlungen [...] sind bei der Bemessung der Barleistungen der Krankenversicherung in der Weise zu berücksichtigen [...]
“ ableiten, dass dies stets zu geschehen hat, also auch dann, wenn der Versicherte die Sonderzahlungen ohnehin von seinem AG in vollem Umfang weiter erhält? Oder gebietet dies der Zweck der Regelung? Oder gebietet das der Zweck der Regelung gerade nicht? Diesen und anderen Fragen wird im Rahmen der gegenständlichen Besprechung nachgegangen.
Wie ist nun § 125 Abs 3 ASVG auszulegen? Diese Bestimmung regelt jedenfalls nicht explizit, ob die Sonderzahlungen unabhängig davon in die Bemessungsgrundlage Bemessungsgrundlage des Krankengeldes einzubeziehen sind, ob diese dem AN ohnehin auch während entgeltfreier Zeiten gebühren. Eine solche explizite Regelung findet sich auch nicht an anderer Stelle im ASVG. Wenn man den Wortlaut des § 125 Abs 3 ASVG betrachtet, ergibt sich aus diesem zunächst das unstrittige Faktum, dass die Sonderzahlungen bei der Bemessung der Barleistungen in der KV grundsätzlich zu berücksichtigen sind. Der Wortlaut gibt hingegen keinen Anhaltspunkt in die Richtung, dass der Gesetzgeber damit ausdrücken wollte, dass diese jedenfalls stets – unabhängig von den konkreten Umständen – in die Bemessung des Krankengeldes einzubeziehen sind. Der Wortlaut spricht mE dafür, dass der Gesetzgeber hier vorrangig regeln wollte, auf welche Art und Weise die Sonderzahlungen bei der Bemessung der Barleistungen in der Krankenversicherung zu berücksichtigen sind („Die Sonderzahlungen [...] sind [...] in der Weise zu berücksichtigen
“). Dies stützen auch die vom OGH herangezogenen Materialien zum ASVG, die im Zusammenhang mit § 125 Abs 3 ausführen: „Die im bisherigen Recht [...] vorgesehene Art der Berücksichtigung der Sonderzahlungen bei der Bemessung der Geldleistungen der Krankenversicherung bereitete bei der praktischen Durchführung große Schwierigkeiten.
“ (vgl EB zur RV 599 BlgNR 7. GP 51). Eindeutigen Aufschluss für die vorliegende Frage gibt der Wortlaut jedoch nicht. Daher soll nun im zweiten Schritt ein Blick auf die Hintergründe der Regelung des § 125 Abs 3 ASVG geworfen werden. Dazu findet sich in den Materialien zum Rentenbemessungsgesetz (RBG, BGBl 1954/151 ), welches auch der OGH in der zu besprechenden E erwähnt hat, Näheres.
Trotz verschiedener Maßnahmen herrschte in den betroffenen Kreisen zur damaligen Zeit große Unzufriedenheit mit der Höhe der Sozialversicherungsrenten. Der Abfall vom Aktivitäts- zum Rentenbezug war zT außerordentlich stark. Es sollte daher auch im Zusammenhang mit dem bereits in Vorbereitung stehenden ASVG eine Reform der Rentenversicherung in Angriff genommen werden. Die Ungeduld der Rentner war schon so groß, dass man bereits vor Erlassung des ASVG Maßnahmen setzen wollte. Im Vordergrund stand das Ziel, die Renten in ein bestimmtes Verhältnis zum tatsächlichen Gesamtarbeitseinkommen zu bringen (vgl AB 327 BlgNR 7. GP 1 f; Berichterstatter Hillegeist in der 44. Sitzung des NR, 7. GP 1865 sowie Steiner, SozSi 2019, 257). Zur Deckung des sich aus den diversen Maßnahmen zur Erhöhung der Renten ergebenden Mehraufwandes sah man die Notwendigkeit einer Neuregelung der Beitragseinnahmen. Neben ua einer Erhöhung der Höchstbeitragsgrundlage sollte als weitere Maßnahme auf der Beitragsseite eine Einbeziehung bisher beitragsfreier Lohnbestandteile erfolgen. Dies stellte ausweislich der Gesetzesmaterialien keine Neuerung dar, denn auch diese Lohnbestandteile seien bis 1938 sozialversicherungspflichtig gewesen. Erst aufgrund der 329 reichsrechtlichen Vorschriften über den Entgeltbegriff hätten sich Konsequenzen ergeben, die dazu führten, dass beträchtliche Lohnbestandteile von der Beitragspflicht in der SV ausgenommen wurden. Dies bedeute eine Unterversicherung für den Betroffenen, denn die bisher beitragsfreien Lohnbestandteile bleiben auch bei der Berechnung der Barleistungen der SV außer Betracht. Wenn nun die Beitragspflicht dieser Lohnbestandteile ausgesprochen wird, bedeute dies nicht nur die Wiederherstellung österreichischer Rechtsgrundsätze in der SV, sondern auch die Beseitigung einer für die Versicherten nachteiligen Unterversicherung. Die Vorlage sehe etwa hinsichtlich des 13. und 14. Bezugs vor, dass diese Sonderzahlungen in Form eines Sonderbeitrages, der administrativ unschwer ermittelt werden könne, beitragspflichtig werden sollen. Da die Sonderzahlungen für das Beitragsaufbringen in der SV herangezogen werden, seien sie auch auf der Leistungsseite zu berücksichtigen. Der Sonderbeitrag führe zu einer Erhöhung der Leistungen in allen Sozialversicherungszweigen, ua in der KV zu höheren Barleistungen (AB 327 BlgNR 7. GP 4 f). Das Rentenbemessungsgesetz (RBG) bezeichnete in der Folge in § 11 das Weihnachts- und Urlaubsgeld ausdrücklich als Sonderzahlungen iSd Gesetzes. Die Beitragspflicht für Sonderzahlungen regelte § 12 Abs 1 und 2 RBG. Gem § 12 Abs 4 RBG waren diese Sonderzahlungen bei der Bemessung der Geldleistungen der KV in der Weise berücksichtigt, dass zum Grundlohn ein Zuschlag hinzugerechnet wurde (vgl näher § 12 Abs 4 RBG als Vorläuferbestimmung von § 125 Abs 3 ASVG).
Es ergeben sich aus den Ausführungen in den Materialien zum RBG zwei Aspekte im Hinblick auf die vorliegende E. Für den Standpunkt des OGH spricht mE, dass ua die (Wieder-)Einführung der Beitragspflicht für Sonderzahlungen das erklärte und aus den Materialien zum RBG klar ersichtliche Ziel hatte, eine für den Versicherten nachteilige „Unterversicherung“ zu beseitigen. Die Leistungen sollten höher werden, um den Versicherten entsprechend abzusichern. Erhält nun aber der Versicherte ohnehin die entsprechenden Bezüge (hier: Sonderzahlungen) in ungekürztem Ausmaß von seinem AG, ist dies kein Fall, für den die genannte Zielsetzung einschlägig wäre. Betreffend die Sonderzahlungen ist der AN hier voll abgesichert, sein bisheriger Standard bleibt zur Gänze erhalten. Und dient die Einbeziehung vorher beitragsfreier Entgeltbestandteile der Lukrierung von Mehreinnahmen, um in Milderung einer „Unterversicherung“ höhere Leistungen auszahlen zu können, ist nicht anzunehmen, dass es iSd Gesetzgebers war, diese Mehreinnahmen durch Einbeziehung der Sonderzahlungen in die Bemessungsgrundlage auch in Fällen, in denen es diesbezüglich zu gar keinem Ausfall kommt, wieder zu schmälern.
Auf der anderen Seite könnte gegen die Ansicht des OGH ins Treffen geführt werden, dass ausweislich der Gesetzesmaterialien zum RBG der Sonderbeitrag in der Folge auch zu einer Erhöhung der Leistungen
führen sollte („Da die Sonderzahlungen für das Beitragsaufbringen in der Sozialversicherung herangezogen werden, sind sie auch auf der Leistungsseite zu berücksichtigen
“). Anders gewendet: Wenn der Versicherte (mehr bzw bestimmte) Beiträge leisten muss, soll er dann jedenfalls „etwas davon haben“? Umgelegt auf den vorliegenden Fall könnte man daher meinen: Da der Versicherte von den Sonderzahlungen Beiträge entrichtet hat, hat er auch Anspruch darauf, dass diese bei der Bemessung seines Krankengeld anspruchs jedenfalls entsprechend berücksichtigt werden, also auch dann, wenn er die Sonderzahlungen ohnehin weiter von seinem AG erhält. Ein solcher Grundsatz lässt sich aber dem Sozialversicherungsrecht nicht entnehmen, weshalb der angeführten Aussage in den Materialien zum RBG wohl auch nicht diese Bedeutung beigemessen werden kann. Das Sozialversicherungssystem ist nicht so konzipiert, dass man für das Eingezahlte stets das Entsprechende „herausbekommt“. Vor allem aus den Ruhensbestimmungen lässt sich grundsätzlich ableiten, dass man in Fällen, in denen nach Ansicht des Gesetzgebers ohnehin eine entsprechende Absicherung gegeben ist, keine bzw nicht die volle Leistung erhalten soll, wenngleich man vorher voll eingezahlt hat (dazu noch unten). Es gibt im Gegensatz zu früher auch keine (zwingende) Beitragsermäßigung mehr, wenn das Krankengeld wegen Entgeltfortzahlung ruht. § 9c Abs 1 Z 4 ArbeiterkrankenversicherungsG (Gesetz betreffend die Krankenversicherung der Arbeiter, StF RGBl 1888/33 idF der Kaiserlichen VO RGBl 1917/6 bzw der Novelle RGBl 1917/457) sah nämlich vor, dass durch das Statut bestimmt werden konnte, dass Versicherten, die im Erkrankungsfall Anspruch auf Fortzahlung des vollen Lohns oder Gehalts gegen den AG hatten, für die Dauer dieses Anspruchs Krankengeld gar nicht oder nicht in vollem Maß gewährt wird. In einem solchen Fall war eine entsprechende Beitragsermäßigung vorzusehen. Diese Beitragsermäßigung wurde später durch BGBl 1921/170 auf fakultativ umgestellt. Dies wurde damit begründet, dass vorgenannte Regelung für die Krankenkassen ein bedeutendes Einsparungspotenzial habe, welches ihnen gestatten würde, die Sachleistungen wesentlich zu verbessern. Die vorgesehene zwingende Beitragsermäßigung mache jedoch diesen Vorteil wieder größtenteils zunichte. Daher wollte man in Zukunft den Krankenkassen die Wahl überlassen, ob sie mit der Einschränkung des Krankengeldbezuges die Herabsetzung der Beiträge verbinden wollen oder nicht (217 BlgNR 1. GP 6). Auch dies zeigt, dass nach den Vorstellungen des Gesetzgebers nicht „voller Beitragsleistung“ auch „volle Sozialversicherungsleistung“ gegenüberstehen muss.
Ein Argument für die Ansicht des OGH ist auch eine weitere Aussage in den Materialien zum RBG. Ausweislich dieser sollte der Entgeltbegriff im Bereich der SV erweitert und Sonderzahlungen in die Beitragsgrundlage einbezogen werden, um die Geldleistungen an die tatsächlich gezahlten Löhne und Gehälter möglichst anzupassen (AB 327 BlgNR 7. GP 11 f). Erhält der Versicherte jedoch ohnehin die Sonderzahlungen ungeschmälert weiter, besteht diesbezüglich kein „Anpassungsbedarf“. Natürlich 330könnte man dem entgegenhalten, dass diese Aussage in den Materialien so zu verstehen sei, dass durch die Mehreinnahmen die Schere zwischen der Höhe des Krankengeldes einerseits und dem vorher erzielten tatsächlichen Einkommen andererseits insgesamt verringert werden solle. Daraus könnte man schließen, dass der Zuschlag für die Sonderzahlungen unabhängig von deren Gebühren in entgeltfreien Zeiten in die Bemessungsgrundlage einzubeziehen ist, um das Krankengeld insgesamt zu erhöhen und daher die Sonderzahlungen hier nicht isoliert betrachtet werden dürften. Dagegen spricht jedoch mE die Bestimmung des § 125 Abs 3 ASVG, wo explizit und gesondert die Art und Weise der Berücksichtigung der Sonderzahlungen bei der Bemessung der Barleistungen geregelt wird.
Der OGH hat zur Untermauerung seiner Ansicht in der zu besprechenden E auch mit den Ruhensbestimmungen der §§ 90, 90a und 143 ASVG argumentiert, aus welchen die Absicht des Gesetzgebers, Doppelbezüge zu vermeiden, deutlich hervorleuchte. Wie von mir an anderer Stelle aufgrund einer historischen Analyse herausgearbeitet ( JAS 2022, 403 ff), wurden im Zusammenhang mit der Diskussion um die Ruhensbestimmungen verschiedene Erwägungen gegen einen Doppelbezug von Entgelt und Krankengeld vorgebracht, nämlich die Vermeidung einer Besserstellung des AN bei Nichtarbeit als bei voller Arbeitserbringung, die Vermeidung einer Doppelversorgung und die Notwendigkeit von Einsparungen seitens der Krankenkassen. Dass es in der gegenständlichen E nicht um ein Ruhen des Krankengeldanspruchs ging, ist insofern unerheblich, als im Zusammenhang mit § 125 Abs 3 ASVG dieselben Überlegungen ins Treffen geführt werden können. Aus diesen Gründen ist die vom OGH vorgenommene teleologische Reduktion durchaus nachvollziehbar. Bei einer teleologischen Reduktion wird eine Rechtsnorm auf einen bestimmten Fall nicht angewendet, auf den sie nach ihrem Wortlaut innerhalb des Begriffskerns anzuwenden wäre. Die Rechtfertigung liegt in der Diskrepanz zwischen Wortlaut und Zweck. Ersterer erweist sich im Verhältnis zu Letzterem als überschießend. Auch die teleologische Reduktion beruht auf einer planwidrigen Unvollständigkeit: Planwidrig ist das Fehlen einer Ausnahmevorschrift für die Fälle, in denen der Wortlaut über den der Rechtsnorm immanenten Zweck hinausreicht (vgl nur Schauer in Kletecka/Schauer [Hrsg], ABGB-ON1.02 § 7 Rz 18 mwN [Stand 1.3.2017, rdb.at]).
Im Zusammenhang mit dieser Diskussion muss jedoch noch die Ruhensbestimmung des § 143 Abs 1 Z 3 ASVG in den Fokus gerückt werden, da sich hier eine Sonderfrage auftut.
Das Problem
In der Folgeentscheidung 10 ObS 109/24p (vom 19.11.2024) hat der Kl offenbar damit argumentiert, § 143 Abs 1 Z 3 ASVG beziehe sich ausdrücklich nur auf Geld- und Sachbezüge iSd § 49 Abs 1 und nicht auf die in Abs 2 geregelten Sonderzahlungen. Der OGH ist auf dieses Vorbringen jedoch mit der Begründung nicht eingegangen, dass hieraus nichts zu gewinnen sei, da sich aus dem Wortlaut der gesetzlichen Ruhenstatbestände mit Blick auf ihre systematische Einbettung keine unmittelbaren Ableitungen für die maßgebliche Frage der Reichweite der Bestimmung des § 125 Abs 3 ASVG treffen ließen. In der Folgeentscheidung 10 ObS 75/24p vom 19.11.2024 hält der OGH dieses Argument deshalb nicht für stichhaltig, da das Ruhen eines Anspruchs erst in Betracht komme, wenn dieser überhaupt besteht. Da jedoch der OGH in der zu besprechenden E ua auch mit dieser Ruhensbestimmung argumentiert hat, wäre es doch angezeigt gewesen, in den Folgeentscheidungen näher auf diesen Einwand einzugehen. Kommt man nämlich zum Ergebnis, dass Sonderzahlungen gerade nicht zu einem Ruhen des Krankengeldanspruchs nach § 143 Abs 1 Z 3 ASVG führen, stellt sich folgende Frage: Kann man dann diese Norm überhaupt als Argument dafür heranziehen, dass die Sonderzahlungen zwecks Vermeidung einer Doppelversorgung nicht in die Bemessung des Krankengeldes einzubeziehen sind, wenn sie ohnehin auch in Zeiten ohne Entgelt gebühren? Wenn nämlich Sonderzahlungen nach dem Willen des Gesetzgebers nicht zu einem Ruhen des Krankengeldanspruchs gem § 143 Abs 1 Z 3 ASVG führen sollen, könnte man daraus schließen, dass er bei diesen einen etwaigen Doppelbezug eben in Kauf nimmt, was in der Folge auf § 125 Abs 3 ASVG durchschlagen könnte.
Der OGH führt in der Folgeentscheidung 10 ObS 109/24p aus, es sei im Verfahren gar nicht strittig, dass ein Anspruch auf Sonderzahlung während des Krankengeldbezugs zu keinem Ruhen des Krankengeldanspruchs führt. In der Lehre ist diese Frage umstritten. Schober (in Sonntag [Hrsg], ASVG15 [2024] § 143 Rz 6) führt aus, dass sich § 143 Abs 1 Z 3 ASVG nur auf Geld- und Sachbezüge iSd § 49 Abs 1 ASVG bezieht. Demnach gehe aus der klaren Textierung, in der § 49 Abs 2 ASVG fehlt, hervor, dass für den Fall, dass dem AN während der Zeit des Krankengeldbezuges eine Sonderzahlung (zB Urlaubszuschuss) zusteht, der Anspruch auf Krankengeld nicht ruht. Dem folgt Wochner (in Poperl/Trauner/Weißenböck [Hrsg], ASVG Praxiskommentar § 143 Rz 8 [68. Lfg, Juli 2019]). Das OLG Wien (25.4.2024, 9 Rs 93/23x als Unterinstanz zu OGH 19.11.2024, 10 ObS 75/24p) sowie Hansemann/Wielander (DRdA-infas 2024, 215 f mit Ausführungen auch zur Frage, ob es bei Annahme eines Ruhenstatbestandes bezüglich der Sonderzahlungen faktisch überhaupt zu einem Ruhen des Krankengeldanspruchs kommen könnte) vertreten mit derselben Begründung wie Schober die Ansicht, dass Sonderzahlungen zu keinem Ruhen des Krankengeldes führen. Kritisch gegenüber dieser Auffassung äußert sich Drs (in Mosler/Müller/Pfeil [Hrsg],331 Der SV-Komm § 143 Rz 19 [Stand 1.3.2020, rdb.at]). Interpretiere man den Verweis in § 143 Abs 1 Z 3 ASVG so eng, dann dürfte man auch die in Abs 3 aufgezählten Ausnahmen vom Entgeltbegriff nicht als miterfasst sehen, was allerdings der hM widerspreche.
Zunächst ist festzuhalten, dass gemäß dem Wortlaut von § 143 Abs 1 Z 3 ASVG der Anspruch auf Krankengeld ruht, solange der Versicherte auf Grund gesetzlicher oder vertraglicher Bestimmungen Anspruch auf Weiterleistung [...] hat. Wie Hansemann/Wielander (DRdA-infas 2024, 213 f) ausführen, ist es auf kollektivvertraglicher Ebene nur in wenigen Branchen geregelt, dass AN auch in entgeltfreien Zeiten die Sonderzahlungen erhalten. Mit ihnen ist auch davon auszugehen, dass ein solcher Anspruch auf einzelvertraglicher Basis wohl nur selten besteht. Nun ist aber in § 143 Abs 1 Z 3 ASVG von einem Anspruch auf Grund kollektivvertraglicher Bestimmungen nicht die Rede, sodass man bei kollektivvertraglich vorgesehenen Sonderzahlungen schon deshalb ein Ruhen ausschließen könnte. Warum der Gesetzgeber den Anspruch auf Grund kollektivvertraglicher Bestimmungen nicht in den Text des § 143 Abs 1 Z 3 ASVG aufgenommen hat, bleibt – soweit ersichtlich – im Dunklen. In der Lehre wird jedoch offensichtlich davon ausgegangen, dass auch auf KollV beruhende Geldund Sachbezüge zu einem Ruhen führen können (vgl etwa M. Binder, Das Zusammenspiel arbeitsund sozialrechtlicher Leistungsansprüche [1980] 210: „Völliges Ruhen des Krankengeldanspruchs tritt auch dann ein, wenn der Versicherte das Entgelt teils auf gesetzlicher, teils auf kollektivvertraglicher Rechtsgrundlage fortbezieht, sofern nur die Summe dieser Fortzahlungen mehr als 50 % des vor Eintritt der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit erhaltenen Bezugs ausmacht
“; vgl auch den Erlass des BM für soziale Verwaltung vom 6.11.1959, II-121.252-4/1/59, abgedruckt in SozSi 1960, 31). In diesem Zusammenhang darf erwähnt werden, dass trotz des Umstandes, dass in § 40 AngG nur von einer Aufhebung oder Beschränkung der Rechte des Angestellten durch den Dienstvertrag die Rede ist, die hA und Judikatur davon ausgehen, dass solches auch nicht durch KollV (oder BV) erfolgen darf, sofern nicht ausdrücklich eine diesbezügliche Ermächtigung normiert ist (vgl zB Standeker in Reissner [Hrsg], AngG4 [2022] § 40 Rz 2 mwN; Kallab in Löschnigg/Melzer [Hrsg], AngG Bd 211 [2021] § 40 Rz 1 und zB die E OGH4 Ob 65/71 JBl 1972, 216 [Spielbüchler]: „Wenn auch der KollV nicht als Dienstvertrag [...] angesehen werden kann, [...] so gelten doch gem § 9 Abs 1 KVG [Anm: Kollektivvertragsgesetz 1947] seine Bestimmungen, soweit sie die Rechtsverhältnisse zwischen DG und DN regeln, als Bestandteil der Dienstverträge, die zwischen den kollektivvertragsangehörigen DG und DN abgeschlossen werden. Insoweit sind sie also Inhalt des Dienstvertrages
“).
Die Frage, ob Sonderzahlungen zu einem Ruhen des Krankengeldanspruchs führen können, ist tatsächlich schwer zu beantworten. Zunächst soll darauf hingewiesen werden, dass gem § 143 Abs 1 Z 3 in der Stammfassung des ASVG der Anspruch auf Krankengeld ruhte, solange der Versicherte auf Grund gesetzlicher oder vertraglicher Bestimmungen Anspruch auf Fortbezug des Entgelts iSd § 49 Abs 1, 3 und 4 hatte. Seit der Novelle BGBl 1960/87 (zu deren Hintergründen vgl Naderhirn, JAS 2022, 407 f) wird nur mehr auf die vollen Geld- und Sachbezüge (§ 49 Abs 1) abgestellt. Leider finden sich in den Materialien keine Hinweise dazu, warum dies so erfolgt ist.
ME kann der Umstand, dass § 143 Abs 1 Z 3 ASVG nur auf § 49 Abs 1 ASVG und nicht auch auf Abs 2 verweist, nicht als Argument dafür herangezogen werden, dass Sonderzahlungen zu keinem Ruhen des Krankengeldanspruchs führen. Eher im Gegenteil! Der Entgeltbegriff des § 49 Abs 1 ASVG erfasst ja grundsätzlich auch die Sonderzahlungen. Das ergibt sich eindeutig auch aus Abs 2, wo Sonderzahlungen ausdrücklich als Bezüge iSd Abs 1 bezeichnet werden. Der Gesetzgeber bezieht in Abs 2 nicht die Sonderzahlungen in den Entgeltbegriff des Abs 1 ein (wäre das so, würde der fehlende Verweis auf Abs 2 in § 143 Abs 1 Z 3 ASVG in der Tat für die Ansicht der hL sprechen), sondern diese sind vielmehr bereits in der Entgeltdefinition des Abs 1 inkludiert. Das wird erst durch Abs 2 iS einer Einschränkung „korrigiert“! Dafür, dass Sonderzahlungen zu keinem Ruhen führen, würde sprechen, dass gem § 49 Abs 2 ASVG diese als Entgelt nur nach Maßgabe der Bestimmungen des § 54 und der sonstigen Bestimmungen des ASVG, in denen die Sonderzahlungen ausdrücklich erfasst werden, zu berücksichtigen sind. Eine ausdrückliche Erfassung findet in § 143 Abs 1 Z 3 ASVG nicht statt. Allerdings verweist § 143 Abs 1 Z 3 ASVG eben nur auf § 49 Abs 1 ASVG. Wie dies vom Gesetzgeber tatsächlich beabsichtigt war, bleibt unklar.
Wenn man mit den zitierten Meinungen davon ausgeht, dass Sonderzahlungen zu keinem Ruhen führen können, könnte man dies als Argument dafür sehen, dass hinsichtlich dieser ein Doppelbezug eben vom Gesetzgeber in Kauf genommen wird (vgl 3.1.). Zwingend ist diese Schlussfolgerung jedoch nicht. Unklar ist zunächst, ob der Gesetzgeber bei Schaffung des § 143 Abs 1 Z 3 ASVG den Fall, dass ein AN auch in entgeltfreien Zeiten Anspruch auf Leistung der vollen Sonderzahlungen hat, überhaupt bedacht hat. Möglich ist auch, dass der Gesetzgeber diesen Fall zwar bezüglich § 143 Abs 1 Z 3 ASVG bedacht hat, nicht aber bezüglich § 125 Abs 3 ASVG. Anzumerken ist bei all dem, dass der Aspekt der sparsamen und nicht über das Notwendige hinausgehenden Verwendung der (bekanntlich ohnehin stets begrenzten) Mittel nicht nur in den Ruhensbestimmungen zum Ausdruck kommt, sondern auch anderweitig im Krankenversicherungsrecht. Hier soll als Stichwort § 133 Abs 2 ASVG („Maß des Notwendigen“) genügen. Auch im Lichte dessen ist es zumindest zweifelhaft, dass es tatsächlich dem Willen des Gesetzgebers entspricht, die Sonderzahlungen trotz deren Weiterleistung durch den AG in die Bemessung des Krankengeldes einzubeziehen. Es sprechen einige 332 Gründe dafür, mit dem OGH anzunehmen, dass der Gesetzgeber die Regelung des § 125 Abs 3 ASVG deshalb statuiert hat, weil er von einem Wegfall der Sonderzahlungen in entgeltfreien Zeiten ausgegangen ist, was zu der vom OGH vorgenommenen teleologischen Reduktion zu führen hat.
Die Ansicht des OGH in der vorliegenden E ist gut vertretbar. Eindeutig ist die Rechtslage jedoch nicht. Aufgrund dessen und angesichts der Tatsache, dass diese Problematik in der Praxis zunehmend an Bedeutung zu gewinnen scheint, wäre hier der Gesetzgeber berufen, eine Klarstellung zu treffen. Sollte sich dieser dazu entschließen, eine gesetzliche Regelung iSd Ansicht des OGH zu treffen, könnte er überlegen, im Gegenzug in diesen Fällen die Beitragspflicht für die Sonderzahlungen entsprechend zu senken.