GudertDie kündigungsrechtliche Relevanz von öffentlich geäußerter Kritik am Arbeitgeber

Verlag Dr. Kovac, Hamburg 2024, 308 Seiten, kartoniert, € 99,80

BARBARA TROST (LINZ)

„Meinungsfreiheit“ ist das Stichwort zu dieser wissenschaftlichen Arbeit! In einer Zeit, in der „Meinung“ gelegentlich in den Ruch des Bösen gerät und selbst faktenbasierte Meinungen mitunter als „Fake“ gebrandmarkt werden, freuen sich Wissenschafter über eine gründliche Untersuchung der Meinungsfreiheit im Arbeitsrecht. Die vorliegende Forschungsarbeit wurde in Hamburg als Dissertation approbiert. Aus der Sicht österreichischer Leser könnten sich folgende Fragen auftun: (1) Wie relevant sind die für die deutsche Rechtslage getroffenen Aussagen für Österreich? (2) Kann ein Buch wie dieses für Praktiker zum Zweck der effizienten Information über die Thematik empfohlen werden? Und dann vielleicht noch (3) Kann/Muss/Darf eine wissenschaftliche Analyse zur Meinungsfreiheit „politisch“ sein und welche Forderungen wären allenfalls daraus abzuleiten?

Ad (1): Das deutsche Bestandschutzrecht unterscheidet sich in zentralen Punkten vom österreichischen. Zu erwähnen ist die Grundkonzeption, wonach in Deutschland Kündigungen prinzipiell nicht wirken, es sei denn, sie wären gerechtfertigt, während in Österreich Kündigungen prinzipiell wirken, es sei denn, sie wären nicht gerechtfertigt (= rechtsunwirksam, weil verboten/sittenwidrig; oder anfechtbar, weil ein Anfechtungsgrund vorliegt). (Zur deutschen Grundkonzeption siehe S 22 ff.) Von derartigen Konstruktionsunterschieden abgesehen, bleibt durchaus Anwendbares für das österreichische Arbeitsrecht übrig: Es geht nämlich im Wesentlichen um verhaltensbedingte Kündigungen und die Frage, ob Meinungsäußerungen in der Form einer (negativen, S 20) Kritik am AG eine Kündigung verhaltensbedingt machen und damit rechtfertigen können. Für das österreichische Arbeitsrecht hieße das vereinfacht: Stellt eine negative Kritik am AG, die diesen zur Kündigung veranlasst, einen Umstand gem § 105 Abs 3 Z 2 lit a ArbVG dar, der im Ergebnis der erfolgreichen Anfechtung entgegenstünde? Zusätzlich müsste man sich noch mit der Frage beschäftigen, ob nicht eine Kündigung wegen Meinungsäußerung sittenwidrig gem § 879 ABGB sein könnte.

Von der Grundstruktur ähnlich sind demgegenüber die Nebenpflichten aus dem Arbeitsverhältnis aufgebaut. Die Ausführungen zur Treuepflicht (S 27 ff) bilden eine wichtige Basis für die rechtliche Beurteilung.

Ad (2): Was die praktische Anwendbarkeit betrifft, so sollte sich der Leser keine Blitzinformation zum Thema erwarten. Die dogmatischen Hintergründe sind komplex – und genauso werden sie auch hier diskutiert. Was die Lesbarkeit für Praktiker erleichtert, sind Kurzzusammenfassungen, welche naturgemäß manches vereinfachen. Ein Beispiel: Im Zwischenfazit auf S 43 ist von dem Erfordernis des Verschuldens bei Pflichtverletzung die Rede, wobei dieses im Kontext mit der negativen Prognose zu prüfen sei; drei Absätze weiter geht es – ohne Hinweis auf die Prüfstufe – kommentarlos um die Interessenabwägung. Weiter vorne allerdings (S 37), wo die Verschuldensprüfung im Zentrum steht, wird nach Ausführungen über die Prüfung im Rahmen der Prognose schließlich explizit festgestellt, dass die Verschuldensprüfung eben nicht auf der Ebene der Pflichtverletzung, sondern auf jener der Interessenabwägung stattzufinden habe – ein Befund, der sich im Zwischenfazit nicht deutlich widerspiegelt.

Zu Irritation könnte beim schnellen Durchlesen auch der letzte Satz auf S 37 führen: „Vertragswidrig ist ein Verhalten dann, wenn es dem Arbeitnehmer zuzurechnen und vorzuwerfen ist.“ Zumindest für das österreichische Rechtsverständnis wäre der Satz eher nachvollziehbar, würde er mit „Kündigungsrechtlich relevant ist ...“ beginnen, weil doch die Vertragswidrigkeit eine Frage der Rechtswidrigkeit ist, während die Vorwerfbarkeit auf der Verschuldensebene zu prüfen wäre. Fazit: Ein Verhalten kann naturgemäß zwar vertragswidrig, jedoch mangels Verschuldens nicht vorwerfbar und daher auch kündigungsrechtlich nicht relevant sein.

Ad (3) gelangt man schließlich zum Kern des Themas, nämlich der Reichweite des grundrechtlich gesicherten Rechtes auf freie Meinungsäußerung im Verhältnis zu allfälligen arbeitsrechtlichen Einschränkungen (S 47 ff). Am Maßstab der mittelbaren Drittwirkung der Meinungsfreiheit ist vor allem auch der Umfang der Pflicht zur Rücksichtnahme gem § 241 Abs 2 BGB zu messen (S 50, S 90).

Zentral sind zweifellos die Ausführungen zu Umfang und möglichen Beschränkungen des Grundrechts auf Meinungsfreiheit gem Art 5 Abs 1 GG. Es mag vielleicht zunächst überraschen, wie weit tatsächlich der Begriff Meinung im Schutzbereich geht, wenn man sich die gut recherchierten Feststellungen zB zu Werturteilen, Tatsachenbehauptungen, Formalbeleidigungen und Schmähkritik durchliest (S 52 ff). Interessant – wenn auch gar nicht überraschend – ist etwa im Kontext mit (unwahren) Tatsachenbehauptungen, dass zwar rechtlich gesichert eine unbewusste Lüge dem Schutz unterliegt, jedoch die Frage, wann umgekehrt eine Aussage vorliege, „deren Unwahrheit bereits zum Zeitpunkt der 344 Äußerung evident sei“ (freilich zurecht vom BVerfG immer wieder am Beispiel der „Ausschwitzlüge“ judiziert; siehe S 54), bedauerlicherweise (möglicherweise gerade wegen des drastischen Ausgangsbeispiels) nun gerade in dramatischer Weise Grauzonenbereiche eröffnet. Wenn in den dankenswert gründlichen Ausführungen (S 53 ff) dieser eine Aspekt dann doch nicht so deutlich angesprochen wird, soll er hier quasi von Wissenschafter zu Wissenschafter zur Diskussion gestellt werden: Ist nach all dem iSd Art 5 Abs 1 GG die von einem Wissenschafter geäußerte (durchaus gründlich belegte) „Meinung“, der wissenschaftliche Mainstream befände sich gerade in einem Irrtum, eine geschützte „Meinung“ – oder wäre sie demnach eine bewusst falsche Tatsachenbehauptung, weil ja doch eine Mehrheitsmeinung jene Aussage als falsch beurteilt? Gleich im Anschluss liest man hier, dass sogar „verbotene Meinungen“ zunächst geschützte Meinungen sind (S 60). Das sollte für den Umgang mit (richtigen oder falschen oder vermeintlich falschen) Tatsachenbehauptungen doch zu denken geben. Auch der Umstand, dass das BVerfG (Zitat S 53) im Zusammenhang mit „Werturteilen“ sogar vom „Meinungskampf“ spricht, gibt zarte Hoffnung, dass dies im Ernstfall in Zukunft auch wieder für wissenschaftliche Meinungen – auch wenn sie aktuell nicht herrschend sind – gelten möge.

Dass bei der Abwägung im Falle eines „öffentlichen Meinungskampfes“ (auch im Rahmen von Diskussionen in privaten sozialen Netzwerken; siehe dazu S 228 ff) im Zweifel die Vermutung für die Meinungsfreiheit spricht, führt Philipp Gudert gründlich aus (S 258 ff) und lässt das Fazit daraus auch in die dankenswert klare und übersichtliche Gesamtzusammenfassung (S 287 ff) einfließen.

In Summe: Das Buch ist spannend, regt zum Denken an und ist dank übersichtlicher Zusammenfassungen sicher auch für Praktiker nützlich.