SchwertnerKollektive Rechtssetzung und Arbeitnehmerähnlichkeit

Manz Verlag, Wien 2024, XLII, 244 Seiten, broschiert, € 68

SUSANNE AUER-MAYER (WIEN)

Mit der digitalen Transformation geht eine Flexibilisierung der Arbeitserbringung einher. Die Eingliederung in klassische betriebliche Strukturen ist vielfach nicht mehr notwendig, es kann zunehmend „remote“ gearbeitet werden und über Online-Plattformen können Arbeitsaufträge ganz leicht einer Vielzahl potenzieller „Auftragnehmer“ angeboten werden. Schon seit einigen Jahren steht daher unter Schlagworten wie „Crowdwork“, „Plattformarbeit“ oder „Gig-Economy“ die arbeitsrechtliche Absicherung neuer Arbeitsformen im Fokus und hat zur Veröffentlichung mehrerer Monografien geführt (vgl nur Warter, Crowdwork [2016]; Schneider-Dörr, Crowd Work und Plattformökonomie [2021]; daneben jüngst etwa auch Lutz/Gruber-Risak [Hrsg], Virtuelle Arbeitnehmer:innen [2025]). Die 2024 erlassene Plattformarbeits-RL (EU) 2024/2831 lässt erwarten, dass hier demnächst weitere folgen werden. Auch losgelöst von der Plattformarbeit wurde und wird in der Literatur zurecht intensiv über die Grenzen des geltenden AN-Begriffes sowie die Notwendigkeit dessen Erweiterung auf arbeitnehmerähnliche Personen diskutiert (vgl exemplarisch nur mwN Mosler, Brauchen wir einen neuen Arbeitnehmer*innenbegriff? DRdA 2022, 399 ff). Fragen der kollektiven Rechtssetzung für arbeitnehmerähnliche Personen wurden demgegenüber zwar ebenfalls bereits erörtert, eine umfassende monografische Aufarbeitung dazu fehlte in Österreich aber bisher. Das vorliegende Werk Schwertners schließt diese Lücke, indem es eingehend untersucht, inwieweit Instrumente der kollektiven Rechtssetzung unter Beachtung der unionsrechtlichen Rahmenbedingungen für arbeitnehmerähnliche Selbständige – de lege lata, aber auch de lege ferenda – nutzbar gemacht werden können (vgl auch das Vorwort, S III, sowie die Ausführungen zum Gegenstand der Untersuchung, Rz 1 ff). Grundlage des – flüssig geschriebenen und sehr gut lesbaren – Werkes ist Schwertners an der Universität Wien approbierte Dissertation.

Das Buch ist in fünf Hauptkapitel gegliedert. Eine thesenartige Zusammenfassung der Ergebnisse rundet das Werk ab. Die Übersicht wird neben einem Stichwortverzeichnis auch durch die Untergliederung des Textes in Randziffern sowie durch Zusammenfassungen am Ende jedes Kapitels und – bei längeren Unterkapiteln – ergänzende Zwischenfazits erleichtert.

Das erste Kapitel dient, wie bei Monografien üblich, der Einleitung und der Darlegung von Gegenstand, Aufbau und Methodik der Untersuchung. Mit dem zweiten Kapitel geht die Verfasserin sodann sogleich in medias res, indem sie den rechtlichen Status quo zur kollektiven Rechtssetzung für „Nicht-Arbeitnehmer“ in Österreich darstellt. Hierbei beschränkt sie sich, wie schon der rund 60 Seiten betragende Umfang des Kapitels deutlich macht, keineswegs auf eine deskriptive Wiedergabe der gesetzlichen Ausgangslage, sondern unternimmt eine grundsätzliche Analyse unter Bedachtnahme auf die Schutzbedürfnisse (arbeitnehmerähnlicher) Selbständiger, die historische Entwicklung kollektiver Rechtssetzungsmechanismen und deren Funktion sowie die grundrechtliche Dimension. Richtig weist Schwertner darauf hin, dass die historischen ökonomischen Besonderheiten des Arbeitsmarktes im 21. Jahrhundert einerseits nicht auf alle Wirtschaftszweige und AN-Gruppen gleichermaßen zutreffen, andererseits aber die für das Arbeitsverhältnis als typisch erachtete „Paritätsstörung“ auch nicht auf dieses beschränkt ist. Vielmehr lassen sich derartige „Paritätsstörungen“ auch auf den Märkten Selbständiger feststellen; dies insb, soweit die Ausübung der Tätigkeit maßgeblich durch den Einsatz der eigenen Arbeitskraft geprägt ist. Zurecht konstatiert Schwertner sohin, dass sich der gewählte Vertragstyp letztlich für die Schutzbedürftigkeit des Leistungserbringers kaum noch als aussagekräftig erweist, wobei sie als plakatives Beispiel auch den unter arbeitsrechtlichem Schutz stehenden „millionenverdienenden Fußballprofi“ nennt (vgl insb Rz 45). Folgerichtig macht sie daher eine Diskrepanz zwischen dem telos des KollV, „wirtschaftliche Unfreiheit“ durch kollektive „Gegenmachtbildung“ auszugleichen und der normativen Anknüpfung des persönlichen Geltungsbereiches am AN-Begriff des § 1151 ABGB – und damit an der persönlichen Abhängigkeit – aus (Rz 65 ff). 345

Sehr instruktiv sind auch die folgenden Ausführungen zu Genese, Rechtsstellung und Charakteristik der arbeitnehmerähnlichen Person im österreichischen Recht. Der (ein wenig knapp begründeten) These der analogen Anwendbarkeit auch der Kündigungsfristen des § 1159 ABGB nF auf freie Dienstverhältnisse (Rz 95) ist der OGH jüngst mit ausführlicher Begründung entgegengetreten (OGH 27.2.2025, 8 ObS 4/24g). Demgegenüber bewegt sich die Autorin mit der Annahme der Nichtgeltung des Kollektivvertragsrechts für Arbeitnehmerähnliche de lege lata nicht nur auf dem Boden von Rsp und hL, sondern untermauert diese Auffassung auch mit beachtlichen Argumenten (Rz 138 ff). Mangels Bestehens einer (anfänglichen oder auch nachträglichen) planwidrigen Lücke lehnt sie hierbei auch eine analoge Anwendbarkeit der §§ 1 ff ArbVG auf arbeitnehmerähnliche Personen ab (Rz 144 ff).

Das Herzstück des Werks stellt sodann das dritte Kapitel dar, welches der umfassenden Erörterung der unionsrechtlichen Rahmenbedingungen kollektiver Rechtssetzung für schutzbedürftige Selbständige gewidmet ist (Rz 156 ff). Der EuGH hat wiederholt (so etwa auch in der von der Verfasserin zu einem späteren Zeitpunkt [Rz 309] thematisierten Rs Danosa) eine weite Auslegung des AN-Begriffs erkennen lassen. Dennoch geht Schwertner mit der hA wohl zurecht davon aus, dass der EuGH arbeitnehmerähnliche Personen in den meisten Fällen nicht unter den autonomen AN-Begriff iSd Art 45 AEUV subsumieren würde (Rz 156 ff, insb Rz 163). Letztlich dürfte das Ergebnis hier freilich auch nicht unwesentlich von der Argumentation im Vorlageverfahren abhängen.

Nach einigen weiteren grundlegenden Ausführungen nimmt – angesichts des Themas wenig überraschend – die Prüfung der aus dem Kartellverbot resultierenden Grenzen breiten Raum ein (Rz 176 ff). Zurecht verweist Schwertner darauf, dass kollektive arbeitsrechtliche Vereinbarungen aus wettbewerbsrechtlicher Perspektive einen „Fremdkörper“ darstellen (Rz 177) – immerhin bezwecken diese ja gerade eine Beschränkung des Wettbewerbs (vgl dazu auch die instruktiven Ausführungen der Verfasserin bei Rz 214 ff sowie, zum Entstehen zwischenstaatlicher Beschränkungen, Rz 226 ff). Selbständige Leistungserbringer sind auch, anders als AN, grundsätzlich als Unternehmen iSd funktionalen Unternehmensbegriffs des Wettbewerbsrechts anzusehen. Gerade hinsichtlich der in der Arbeit näher untersuchten Gruppe der Arbeitnehmerähnlichen ist dies indes nicht so klar, hat der EuGH diesbezüglich doch auch mit der, in der Literatur vielfach kritisierten, Rs FNV Kunsten mehr Verwirrung gestiftet als Klarheit gebracht (vgl Rz 186 ff).

Schwertner untersucht sodann die nach Art 101 AEUV verbotenen Koordinierungsformen, wobei sie überzeugend die Ansicht vertritt, dass etwa auch rechtlich unverbindliche „Honorarempfehlungen“ von Branchenverbänden (zumindest) als „abgestimmte Verhaltensweisen“ dem Kartellverbot unterliegen können. Ebenso wenig schließt ein System der Verbandsmitgliedschaft oder die gesetzliche Anordnung einer „Außenseiterwirkung“ (wie nach § 12 ArbVG) die kartellrechtliche Kontrolle aus (Rz 198 ff, insb Rz 204 und 208 ff).

Nach der zurecht kurz gehaltenen, weil wenig ergiebigen, Prüfung der aus Art 101 AEUV resultierenden Grenzen des Kartellverbots (insb der Freistellungsvoraussetzungen nach Abs 3 leg cit; Rz 234 ff) widmet sich die Verfasserin – unterbrochen durch einen (vielleicht an dieser Stelle nicht ganz ideal positionierten) Exkurs zu Regelungsansätzen in anderen Staaten (Rz 249 ff) – eingehend der persönlichen und auch der materiellen Reichweite (dazu Rz 384 ff) der durch den EuGH mit der Rs Albany grundgelegten Bereichsausnahme für Tarifvereinbarungen (Rz 272 ff). Sie schließt sich hierbei, auch unter Verweis auf die Ausführungen des Generalanwalts, jenen Stimmen an, die davon ausgehen, dass die durch den EuGH in der Rs FNV Kunsten erfolgte Übertragung der Albany-Ausnahme (nur) auf „Scheinselbständige“ nicht auch die Erfassung Arbeitnehmerähnlicher impliziere. Vielmehr diene das Abstellen auf „Scheinselbständige“ lediglich der Abgrenzung „echter“ AN iSd Art 45 AEUV von bloß nach dem nationalen Recht nicht als AN qualifizierten Personen. Unter dieser – zwar nicht zwingenden, aber jedenfalls sehr gut vertretbaren – Prämisse äußert Schwertner folgerichtig auch Rechtssicherheitsbedenken bezüglich der Leitlinien der Kommission zur Ausnahme gewisser „Solo-Selbständiger“ vom Kartellverbot (Rz 295 ff, insb 300), die sie an späterer Stelle zurecht auch in ihrer inhaltlichen Gestaltung nicht uneingeschränkt positiv sieht (dazu Rz 401 ff).

Ob die Einschätzung der Kommission den EuGH davon abhalten wird, in Kollektivvereinbarungen zugunsten arbeitnehmerähnlicher Personen eine unzulässige Wettbewerbsbeschränkung zu erblicken, ist in der Tat alles andere als gewiss. In der Sache täte er indes gut daran. Denn, wie Schwertner richtig herausarbeitet (Rz 305 ff), sprechen vor allem teleologische Gründe zunächst schon dagegen, den zur Freizügigkeit entwickelten AN-Begriff eins zu eins auf andere Regelungsbereiche zu übertragen. Mit überzeugenden Argumenten gelangt die Verfasserin sohin nach eingehender Analyse auch zum Ergebnis, dass der Schutzbereich des Grundrechts auf Kollektivverhandlungen (Art 28 GRC) als „Arbeitnehmer“ auch arbeitnehmerähnliche Selbständige umfasst (Rz 325 ff). Dafür spricht letztlich auch, dass Art 28 GRC sowohl AN als auch AG und deren Organisationen ein Grundrecht auf Kollektivverhandlungen einräumt, sohin offenkundig „beide Seiten“ des Beschäftigungsverhältnisses erfassen will. Soweit (vermeintliche) Selbständige wegen wirtschaftlicher Unselbständigkeit nicht der AG-, sondern der AN-Seite nahestehen, ist es sachgerecht, sie auch „verhandlungsseitig“ den AN zuzuordnen. Überzeugend konstatiert die Verfasserin an späterer Stelle (Rz 419 ff) auch, dass mit einem dieserart bejahten Recht auf Kollektivverhandlungen ebenso die Anerkennung kollektiver Maßnahmen arbeitnehmerähnlicher Selbständiger und deren „Freistellung“ von Art 101 AEUV einhergehen muss.

Dass der EuGH arbeitnehmerähnliche Personen tatsächlich als „Arbeitnehmer“ in den Schutzbereich des Art 28 GRC einbeziehen wird, scheint freilich alles andere als gesichert, legt dieser doch – trotz aller Betonung der Beachtung des Regelungszusammenhangs – letztlich der autonomen Auslegung stets (auch) die zur Freizügigkeit entwickelte Lawrie-Blum-Formel zugrunde. Auch unter dieser Prämisse sprechen teleologische Gründe allerdings mit Schwertner jedenfalls für eine mögliche Bereichsausnahme vom Wettbewerbsrecht 346 auch hinsichtlich kollektiver Vereinbarungen zugunsten arbeitnehmerähnlicher Selbständiger. Nicht zuletzt lässt sich hierfür auch das durch den Generalanwalt hervorgehobene, durch den EuGH aber leider nicht aufgegriffene Argument der Verhinderung von Sozialdumping zulasten der (echten) AN ins Treffen führen.

Ein (im Vergleich zum Wettbewerbsrecht vielleicht etwas knapp ausgefallenes, aber doch alles Wesentliche beinhaltendes) Kapitel zu den Grundfreiheiten rundet die unionsrechtliche Analyse ab (Rz 423 ff). Schwertner sieht hier zurecht die weite „Beschränkungsjudikatur“ des EuGH kritisch und spricht sich dafür aus, tarifvertragliche Regelungen zum Schutz Selbständiger nicht als Beschränkung der Niederlassungsfreiheit anzusehen; sie räumt aber ebenso ein, dass die bisherige Rsp des EuGH auf ein weiteres Verständnis der Beschränkung hindeutet. Vor diesem Hintergrund ist mit der Verfasserin (Rz 238) auch damit zu rechnen, dass der EuGH entsprechende Regelungen (umso mehr) als Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit qualifizieren würde. Überzeugend bejaht Schwertner jedoch (vorbehaltlich der Verhältnismäßigkeit der konkreten Ausgestaltung) die Möglichkeit einer Rechtfertigung durch „zwingende Gründe des Allgemeininteresses“, wobei sie insb den Schutz arbeitnehmerähnlicher Selbständiger, die Verhinderung von Sozialdumping (und damit Sicherung eines fairen Wettbewerbs) sowie die Sicherung der Stabilität des Sozialsystems als mögliche Rechtfertigungsgründe ins Treffen führt. Zurecht verweist sie auch auf die Notwendigkeit einer Berücksichtigung der grundrechtlich abgesicherten Tarifautonomie (Rz 439 ff).

Spannend ist schließlich auch das vierte Kapitel, in dem die Verfasserin mögliche Konturen eines Gesamtvertragssystems für arbeitnehmerähnliche Selbständige in Österreich de lege ferenda nachzeichnet (Rz 469 ff). Schwertner leistet hier mit Vorschlägen zum persönlichen Geltungsbereich, zur Organisation der Interessenvertretung und zur konkreten Ausgestaltung der kollektiven Vereinbarungen wichtige Pionierarbeit, auf welcher im Zuge einer allfälligen gesetzlichen Neuregelung gut aufgebaut werden könnte. Nicht nur den Regierungsparteien sei jedoch vor Umsetzung der „Möglichkeit der Anwendung von Kollektivverträgen auch für arbeitnehmerähnliche Personen“ (vgl Jetzt das Richtige tun. Für Österreich. Regierungsprogramm 2025-2029, S 97) eine Auseinandersetzung mit Schwertners Thesen empfohlen. Das vorliegende Werk sollte auch in den Bibliotheken von Universitäten und Interessenvertretungen keinesfalls fehlen!