Florian KleinUnbillige Weisungen des Arbeitgebers und ihre Folgen – Zugleich ein Beitrag zu ausgewählten Grundlagenfragen des Weisungsrechts
Nomos Verlag, Baden-Baden 2024, 524 Seiten, kartoniert, € 169,–
Florian KleinUnbillige Weisungen des Arbeitgebers und ihre Folgen – Zugleich ein Beitrag zu ausgewählten Grundlagenfragen des Weisungsrechts
Florian Klein untersucht in seiner Dissertation zentrale Fragen des Weisungsrechts – von der Rechtsgrundlage bis zu den Grenzen des Weisungsrechts. Der Schwerpunkt der Arbeit sind die Rechtsfolgen unbilliger Weisungen.
1. Zur Rechtsgrundlage des Weisungsrechts
Im Jahr 2002 hat der deutsche Gesetzgeber mit § 106 dGewO eine ausdrückliche Regelung zu Inhalt und Grenzen des Weisungsrechts geschaffen. Dadurch wurde die Diskussion über die Rechtsgrundlage des Weisungsrechts neu angefacht, wobei sich die Begründungsversuche im Wesentlichen in zwei Lager teilen lassen – die Gesetzestheorie und die Vertragstheorie (S 52 ff). Klein arbeitet überzeugend heraus, dass sowohl gegen die Ableitung des Weisungsrechts aus dem Arbeitsvertrag als auch gegen die Ableitung aus dem Gesetz berechtigte Einwände erhoben werden können. Die wechselseitigen Argumente werden ausführlich diskutiert und einer kritischen Betrachtung unterzogen. Im Ergebnis schließt sich Klein der Gesetzestheorie an; das Weisungsrecht des AG folge unmittelbar aus § 106 dGewO. Vor der Einführung dieser Regelung sei das Weisungsrecht hingegen (konkludent) durch Vertrag begründet worden (S 88 ff). Für die inhaltliche Reichweite des Weisungsrechts ist jedoch in beiden Fällen primär auf die vertragliche Vereinbarung abzustellen (S 119 ff).
Auf die österreichische Rechtslage lassen sich die Ausführungen nicht übertragen: Eine ausdrückliche Regelung des Weisungsrechts findet sich nur in Sondergesetzen (zB § 10 GutsangestelltenG). Die ganz hA geht daher davon aus, dass das Weisungsrecht seine Grundlage im Arbeitsvertrag hat (statt vieler Rebhahn in Neumayr/Reissner [Hrsg], ZellKomm3 § 1151 ABGB Rz 58 [Stand 1.1.2018, rdb.at]).
2. Gegen höherrangiges Recht verstoßende Weisungen
Vertraut dürfte österreichischen Leser:innen die Diskussion über die Rechtsnatur der einzelnen Weisung sein. Klein schließt sich hier der sowohl in Deutschland als auch in Österreich hA an, dass es sich bei der Weisung um eine einseitige, empfangsbedürftige Willenserklärung handle. Selbst untergeordnete Weisungen mit rein arbeitslenkender Funktion (zB das Kommando „Hau Ruck!“) seien als Willenserklärung und nicht bloß als reine Faktizität anzusehen (S 97 ff).
Dem Weisungsrecht komme eine durch § 106 dGewO festgelegte „originäre Reichweite“ zu, die durch Arbeitsvertrag, kollektivrechtliche Regelungen und Gesetz ausgedehnt oder eingeschränkt werden könne (S 120 ff). Sieht man die Grundlage des Weisungsrechts – wie Klein dies tut – in § 106 dGewO, so ist diese Ansicht konsequent. Nicht zu folgen ist hingegen dem Versuch, dieses Ergebnis auch aus der grundrechtlich geschützten Berufsfreiheit abzuleiten (S 121 f). Zwar mag es zutreffen, dass der AG zur Verwirklichung dieser Freiheit ein (umfassendes) Weisungsrecht benötigt. Daraus folgt aber nicht, dass der Gesetzgeber dem AG ein Weisungsrecht eines bestimmten Umfangs verschaffen müsste. Vielmehr ist es ausreichend, dass sich der AG dieses Weisungsrecht im Rahmen der Privatautonomie selbst verschaffen kann. Praktisch relevant ist die Existenz einer „originären Reichweite“ des Weisungsrechts aber ohnehin nur in Zweifelsfällen: Beim vertragsakzessorischen Ansatz sei ein Weisungsrecht im Zweifel abzulehnen, beim gesetzesakzessorischen Ansatz sei es hingegen im Zweifel zu bejahen (S 120 f).
Ist eine Weisung rechtswidrig, weil sie gegen Gesetz, kollektivrechtliche Regelungen oder den Arbeitsvertrag verstößt, so ist sie sowohl nach hA 349 als auch nach Ansicht Kleins rechtsunwirksam. Die dogmatische Begründung der Unwirksamkeit variiert, ohne dass dies praktisch bedeutsame Folgen zeitigen würde (S 171 ff). Von solchen rechtswidrigen Weisungen werden im deutschen Schrifttum jedoch Weisungen unterschieden, die „nur“ unbillig sind. Diese unbilligen Weisungen und ihre Rechtsfolgen sind der Kern der vorliegenden Arbeit.
3. Unbillige Weisungen und ihre Folgen
Auch unbillige Weisungen verstoßen insofern gegen höherrangiges Recht als sie § 106 dGewO verletzen. Der wesentliche Unterschied liegt darin, dass sich die Rechtswidrigkeit der Weisung erst aus einer Abwägung aller wesentlichen Umstände des Einzelfalls ergibt (S 145). Dabei verbleibe dem AG ein Entscheidungsspielraum, typischerweise habe er die Wahl zwischen mehreren „richtigen“ Optionen (S 147 f). Ob eine Weisung billig ist, sei bei Zugang der Weisung zu prüfen; spätere Änderungen der Umstände seien für die Billigkeitsprüfung unbeachtlich (S 153 f). Der AG habe seine Interessen mit den Interessen des AN abzuwägen. Beachtlich seien dabei nur Umstände, die dem AG bekannt oder schuldhaft unbekannt geblieben sind. Andere Interessen müsse der AG hingegen nicht berücksichtigen (S 155 f). Hier zeigt sich eine zentrale Schwäche der von Klein gewählten Auslegung: Da für die Billigkeitsprüfung nur jene Umstände relevant sind, die dem AG bei Wirksamwerden der Weisung erkennbar waren, müsste der AN seiner Mitteilungsobliegenheit nachkommen, bevor er den Inhalt der Weisung kennt. Das kann – was Klein betont – in manchen Konstellationen durchaus möglich sein, in vielen Konstellationen wird das hingegen nicht (sinnvoll) möglich sein (S 164 ff). Die Billigkeitskontrolle wird dadurch massiv entwertet, ohne dass es überzeugende Gründe dafür geben würde, nicht auch Mitteilungen unmittelbar nach Zugang der Weisung ausreichen zu lassen. Denkbar sei in diesen Fällen aber ein Leistungsverweigerungsrecht nach § 275 Abs 2 oder 3 dBGB (S 153 f, 165).
Hinsichtlich der Rechtsfolgen einer unbilligen Weisung stellt sich primär die Frage, ob diese bis zur gerichtlichen Klärung vorübergehend verbindlich (so BAG 22.2.2012, 5 AZR 249/11) oder sogleich unwirksam ist (so BAG 18.10.2017, 10 AZR 330/16). Klein legt überzeugend dar, dass es für eine vorübergehende Verbindlichkeit einer unbilligen Weisung weder eine überzeugende dogmatische Begründung noch ein tatsächliches Bedürfnis gibt (S 231 ff). Unbillige Weisungen seien jedoch nicht eo ipso unwirksam, die Unwirksamkeit sei vom AN geltend zu machen, wobei die Geltendmachung binnen angemessener Frist zu erfolgen habe (S 264 ff). Diese Lösung entspricht im Ergebnis der österreichischen Rsp, nach der die Unwirksamkeit einer Weisung (zB einer Versetzung) vom AN binnen angemessener Frist aufzugreifen ist (vgl zB OGH 19.3.2013, 9 ObA 12/13z). Überschießend erscheint die Ansicht Kleins, dass neben der (auch konkludent möglichen) Geltendmachung der Unwirksamkeit in manchen Fällen auch noch ein ausdrücklicher Hinweis des AN erforderlich sei, dass er der Weisung nicht nachkommen werde (S 277 ff).
Auf weiteren rund 180 Seiten befasst sich Klein mit den Auswirkungen einer unbilligen Weisung, wobei er danach differenziert, ob der AN der Weisung nachkommt oder nicht. Im Zentrum der Betrachtung stehen die Entgeltfortzahlung (S 291 ff), die Beschäftigungspflicht (S 342 ff) und die Pflicht zur Neuausübung des Weisungsrechts (S 402 ff).
4. Schluss
Wenngleich die Erkenntnisse dieser Arbeit aufgrund der abweichenden Ausgangssituation nicht unmittelbar für Österreich relevant sind, ist die Lektüre der Arbeit dennoch auch aus österreichischer Sicht lohnend, regt sie doch zu einer umfassenden kritischen Reflexion des Weisungsrechts an. Für wissenschaftlich interessierte Leser:innen sei die Lektüre daher uneingeschränkt empfohlen.