27Eine Frage der Effektivität des Rechtsschutzes?
Eine Frage der Effektivität des Rechtsschutzes?
Art 10 und 12 RL 92/85 stehen einer nationalen Regelung entgegen, gemäß der eine schwangere AN, die erst nach der Frist zur Klagserhebung gegen eine Kündigung von ihrer Schwangerschaft Kenntnis erlangt, eine solche Klage nur dann erheben kann, wenn sie binnen zwei Wochen einen Antrag auf Zulassung der verspäteten Klage stellt und die Verfahrensmodalitäten geeignet sind, die Umsetzung der Rechte von Art 10 RL 92/85 der schwangeren AN übermäßig zu erschweren.
1 Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der RL 92/85/EWG des Rates vom 19.10.1992 über die Durchführung von Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes von schwangeren AN, Wöchnerinnen und stillenden AN am Arbeitsplatz (zehnte Einzel-RL iSd Art 16 Abs 1 der RL 89/391/EWG) (ABl 1992, L 348, S 1).
2 Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen TC und der Firma Haus Jacobus Alten- und Altenpflegeheim gGmbH (im Folgenden: Haus Jacobus), einer Gesellschaft deutschen Rechts, die eine Pflegeeinrichtung für ältere Menschen betreibt, über die Kündigung von TC, die zum Zeitpunkt der Kündigung schwanger war.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
3 Art 2 Buchst a der RL 92/85 definiert als „schwangere Arbeitnehmerin“ „jede schwangere Arbeitnehmerin, die den Arbeitgeber gemäß den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und/oder Gepflogenheiten von ihrer Schwangerschaft unterrichtet
“.
4 Art 10 („Verbot der Kündigung“) der RL 92/85 sieht vor:
„Um den Arbeitnehmerinnen im Sinne des Artikels 2 die Ausübung der in diesem Artikel anerkannten Rechte in Bezug auf ihre Sicherheit und ihren Gesundheitsschutz zu gewährleisten, wird Folgendes vorgesehen:
1. Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen, um die Kündigung der Arbeitnehmerinnen im Sinne des Artikels 2 während der Zeit vom Beginn der Schwangerschaft bis zum Ende des Mutterschaftsurlaubs nach Artikel 8 Absatz 1 zu verbieten; davon ausgenommen sind die nicht mit ihrem Zustand in Zusammenhang stehenden Ausnahmefälle, die entsprechend den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und/oder Gepflogenheiten zulässig sind, wobei gegebenenfalls die zuständige Behörde ihre Zustimmung erteilen muss.
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2. Wird einer Arbeitnehmerin im Sinne des Artikels 2 während der in Nummer 1 genannten Zeit gekündigt, so muss der Arbeitgeber schriftlich berechtigte Kündigungsgründe anführen.
3. Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen, um Arbeitnehmerinnen im Sinne des Artikels 2 vor den Folgen einer nach Nummer 1 widerrechtlichen Kündigung zu schützen.“
5 Art 12 („Rechtsschutz“) der Richtlinie bestimmt:
„Die Mitgliedstaaten erlassen die innerstaatlichen Vorschriften, die notwendig sind, damit jede Arbeitnehmerin, die sich durch die Nichterfüllung der Verpflichtungen aus dieser Richtlinie für beschwert hält, ihre Rechte gerichtlich und/oder entsprechend den innerstaatlichen Rechtsvorschriften und/oder Gebräuchen durch Befassung anderer zuständiger Stellen geltend machen kann.“
Deutsches Recht
6 § 17 („Kündigungsverbot“) des Gesetzes zum Schutz von Müttern bei der Arbeit, in der Ausbildung und im Studium (Mutterschutzgesetz) vom 23.5.2017 (BGBl 2017 I S 1228, im Folgenden: MuSchG) lautet wie folgt:
„(1) Die Kündigung gegenüber einer Frau ist unzulässig
während ihrer Schwangerschaft,
bis zum Ablauf von vier Monaten nach einer Fehlgeburt nach der zwölften Schwangerschaftswoche und
bis zum Ende ihrer Schutzfrist nach der Entbindung, mindestens jedoch bis zum Ablauf von vier Monaten nach der Entbindung,
wenn dem Arbeitgeber zum Zeitpunkt der Kündigung die Schwangerschaft, die Fehlgeburt nach der zwölften Schwangerschaftswoche oder die Entbindung bekannt ist oder wenn sie ihm innerhalb von zwei Wochen nach Zugang der Kündigung mitgeteilt wird. Das Überschreiten dieser Frist ist unschädlich, wenn die Überschreitung auf einem von der Frau nicht zu vertretenden Grund beruht und die Mitteilung unverzüglich nachgeholt wird. Die Sätze 1 und 2 gelten entsprechend für Vorbereitungsmaßnahmen des Arbeitgebers, die er im Hinblick auf eine Kündigung der Frau trifft.
(2) Die für den Arbeitsschutz zuständige oberste Landesbehörde oder die von ihr bestimmte Stelle kann in besonderen Fällen, die nicht mit dem Zustand der Frau in der Schwangerschaft, nach einer Fehlgeburt nach der zwölften Schwangerschaftswoche oder nach der Entbindung in Zusammenhang stehen, ausnahmsweise die Kündigung für zulässig erklären. Die Kündigung bedarf der Schriftform und muss den Kündigungsgrund angeben. ...“
7 Das Kündigungsschutzgesetz vom 25.8.1969 (BGBl 1969 I S 1317) in seiner auf den Ausgangsrechtsstreit anwendbaren Fassung (im Folgenden: KSchG) bestimmt in § 4 („Anrufung des Arbeitsgerichtes“):
„Will ein Arbeitnehmer geltend machen, dass eine Kündigung sozial ungerechtfertigt oder aus anderen Gründen rechtsunwirksam ist, so muss er innerhalb von drei Wochen nach Zugang der schriftlichen Kündigung Klage beim Arbeitsgericht auf Feststellung erheben, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung nicht aufgelöst ist. Im Falle des § 2 ist die Klage auf Feststellung zu erheben, dass die Änderung der Arbeitsbedingungen sozial ungerechtfertigt oder aus anderen Gründen rechtsunwirksam ist. Hat der Arbeitnehmer Einspruch beim Betriebsrat eingelegt (§ 3), so soll er der Klage die Stellungnahme des Betriebsrates beifügen. Soweit die Kündigung der Zustimmung einer Behörde bedarf, läuft die Frist zur Anrufung des Arbeitsgerichtes erst von der Bekanntgabe der Entscheidung der Behörde an den Arbeitnehmer ab.“
8 In § 5 KSchG („Zulassung verspäteter Klagen“) heißt es:
„(1) War ein Arbeitnehmer nach erfolgter Kündigung trotz Anwendung aller ihm nach Lage der Umstände zuzumutenden Sorgfalt verhindert, die Klage innerhalb von drei Wochen nach Zugang der schriftlichen Kündigung zu erheben, so ist auf seinen Antrag die Klage nachträglich zuzulassen. Gleiches gilt, wenn eine Frau von ihrer Schwangerschaft aus einem von ihr nicht zu vertretenden Grund erst nach Ablauf der Frist des § 4 Satz 1 Kenntnis erlangt hat.
(2) Mit dem Antrag ist die Klageerhebung zu verbinden; ist die Klage bereits eingereicht, so ist auf sie im Antrag Bezug zu nehmen. Der Antrag muss ferner die Angabe der die nachträgliche Zulassung begründenden Tatsachen und der Mittel für deren Glaubhaftmachung enthalten.
(3) Der Antrag ist nur innerhalb von zwei Wochen nach Behebung des Hindernisses zulässig. Nach Ablauf von sechs Monaten, vom Ende der versäumten Frist an gerechnet, kann der Antrag nicht mehr gestellt werden. ...“
9 § 7 KSchG („Wirksamwerden der Kündigung“) sieht vor:
„Wird die Rechtsunwirksamkeit einer Kündigung nicht rechtzeitig geltend gemacht (§ 4 Satz 1, §§ 5 und 6), so gilt die Kündigung als von Anfang an rechtswirksam ...“
Ausgangsverfahren und Vorlagefrage
10 TC war aufgrund eines auf ein Jahr befristeten Arbeitsvertrags ab dem 1.8.2022 bei Haus Jacobus als Pflegehelferin beschäftigt.
11 Mit Schreiben vom 6.10.2022 kündigte Haus Jacobus der TC mit Wirkung zum 21.10.2022.
12 Am 9.11.2022 wurde bei TC eine Schwangerschaft in der siebten Woche ärztlich festgestellt. Hiervon unterrichtete sie Haus Jacobus am 10.11.2022.
13 Mit Schreiben vom 13.12.2022 reichte TC beim Arbeitsgericht Mainz (Deutschland), dem vorlegenden Gericht, Klage gegen ihre Kündigung mit der Begründung ein, dass sie zum Zeitpunkt der Kündigung schwanger gewesen sei.
14 Das vorlegende Gericht weist darauf hin, dass nach der Rsp des Bundesarbeitsgerichts (Deutschland) § 4 Satz 4 KSchG – der vorsieht, dass, soweit die Kündigung der Zustimmung einer Behörde bedarf, die Frist zur Anrufung des Arbeitsgerichts erst mit Bekanntgabe der Entscheidung der Behörde an den AN zu laufen beginnt – im Fall nachträglich dem AG mitgeteilter Schwangerschaft nicht anwendbar sei, so dass das Versäumen der Dreiwochenfrist 268 des § 4 Satz 1 KSchG gem § 7 KSchG trotz des Sonderkündigungsschutzes nach § 17 MuSchG zur Wirksamkeit der Kündigung führe, sofern nicht ein Antrag auf Zulassung der verspäteten Klage nach § 5 KSchG gestellt werde.
15 Da TC einen derartigen Antrag nicht gestellt habe, sei ihre Klage mithin nach diesen Bestimmungen des KSchG abzuweisen. Das vorlegende Gericht hat jedoch Zweifel an deren Vereinbarkeit mit dem Unionsrecht, insb im Hinblick auf das OGHUrteil vom 29.10.2009, Pontin (C-63/08, im Folgenden: Urteil Pontin, EU:C:2009:666), in dem der Gerichtshof entschieden habe, dass die Klagemöglichkeiten für eine Schwangere in Einklang mit dem Effektivitätsgrundsatz geregelt sein müssten.
16 [...]
Zur Zulässigkeit des Vorabentscheidungsersuchens
19 [...]
25 Zum anderen ist zu dem in Rn 21 des vorliegenden Urteils genannten Vorbringen festzustellen, dass die vorgelegte Frage nicht die Effektivität des in § 5 KSchG vorgesehenen Rechtsbehelfs betrifft, sondern die Frage, ob die Verpflichtung, auf einen solchen Rechtsbehelf zurückzugreifen, um die Rechte aus der RL 92/85 geltend zu machen, mit den sich aus dem Effektivitätsgrundsatz ergebenden Anforderungen vereinbar ist.
26 Folglich ist das Vorabentscheidungsersuchen zulässig.
Zur Vorlagefrage
27 Mit seiner Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob die Art 10 und 12 der RL 92/85 dahin auszulegen sind, dass sie einer nationalen Regelung entgegenstehen, nach der eine schwangere AN, die von ihrer Schwangerschaft erst nach Ablauf der für die Erhebung einer Klage gegen ihre Kündigung vorgesehenen Frist Kenntnis erlangt hat, eine solche Klage nur dann erheben kann, wenn sie binnen zweier Wochen einen Antrag auf Zulassung der verspäteten Klage stellt.
28 In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass die Mitgliedstaaten nach Art 10 Nr 1 der RL 92/85 die erforderlichen Maßnahmen treffen müssen, um die Kündigung der AN iSd Art 2 dieser Richtlinie während der Zeit vom Beginn der Schwangerschaft bis zum Ende des Mutterschaftsurlaubs nach Art 8 Abs 1 dieser Richtlinie zu verbieten; davon ausgenommen sind die nicht mit ihrem Zustand in Zusammenhang stehenden Ausnahmefälle, die entsprechend den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und/oder Gepflogenheiten zulässig sind, wobei gegebenenfalls die zuständige Behörde ihre Zustimmung erteilen muss.
29 Nach Art 12 der RL 92/85 sind die Mitgliedstaaten außerdem verpflichtet, die innerstaatlichen Vorschriften zu erlassen, die notwendig sind, damit jede AN, die sich durch die Nichterfüllung der Verpflichtungen aus dieser Richtlinie, darunter derjenigen aus Art 10, für beschwert hält, ihre Rechte gerichtlich geltend machen kann. Art 10 Nr 3 der Richtlinie sieht insb vor, dass die Mitgliedstaaten die erforderlichen Maßnahmen treffen müssen, um die schwangeren AN vor den Folgen einer nach Art 10 Nr 1 widerrechtlichen Kündigung zu schützen.
30 Diese Vorschriften und insb Art 12 der RL 92/85 sind im Kontext der Richtlinie spezifischer Ausdruck des Grundsatzes des effektiven gerichtlichen Schutzes der den Einzelnen durch das Unionsrecht verliehenen Rechte (Urteil Pontin, Rn 41).
31 Der Rsp zufolge sind die Mitgliedstaaten darüber hinaus zwar aufgrund von Art 12 der RL 92/85 nicht verpflichtet, eine bestimmte Maßnahme zu ergreifen; doch muss die gewählte Maßnahme geeignet sein, einen tatsächlichen und wirksamen gerichtlichen Rechtsschutz sicherzustellen, eine wirklich abschreckende Wirkung gegenüber dem AG haben und in jedem Fall in angemessenem Verhältnis zu dem erlittenen Schaden stehen (Urteil Pontin, Rn 42 und die dort angeführte Rsp).
32 Was den Grundsatz des effektiven gerichtlichen Schutzes der den Einzelnen durch das Unionsrecht verliehenen Rechte betrifft, dürfen nach stRsp die Verfahrensmodalitäten für Klagen, die den Schutz der den Einzelnen aus dem Unionsrecht erwachsenden Rechte gewährleisten sollen, nicht weniger günstig ausgestaltet sein als die für entsprechende innerstaatliche Klagen (Grundsatz der Äquivalenz) und die Ausübung der durch die Unionsrechtsordnung verliehenen Rechte nicht praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren (Grundsatz der Effektivität) (Urteil Pontin, Rn 43 und die dort angeführte Rsp).
33 Was den Äquivalenzgrundsatz betrifft, geht aus den dem Gerichtshof vorliegenden Akten nicht hervor, dass die im Ausgangsverfahren in Rede stehende nationale Regelung nicht mit diesem Grundsatz vereinbar wäre.
34 Zum Effektivitätsgrundsatz ergibt sich aus der Rsp des Gerichtshofs, dass jeder Fall, in dem sich die Frage stellt, ob eine nationale Verfahrensvorschrift die Anwendung des Unionsrechts unmöglich macht oder übermäßig erschwert, unter Berücksichtigung der Stellung dieser Vorschrift im gesamten Verfahren, des Verfahrensablaufs und der Besonderheiten des Verfahrens vor den verschiedenen nationalen Stellen zu prüfen ist. Dabei sind gegebenenfalls die Grundsätze zu berücksichtigen, die dem nationalen Rechtsschutzsystem zugrunde liegen, wie der Schutz der Verteidigungsrechte, der Grundsatz der Rechtssicherheit und der ordnungsgemäße Ablauf des Verfahrens (Urteil vom 21.12.2023, BMW Bank ua, C-38/21, C-47/21 und C-232/21, EU:C:2023:1014, Rn 304 und die dort angeführte Rsp).
35 In diesem Zusammenhang hat der Gerichtshof dementsprechend entschieden, dass die Festsetzung angemessener Ausschlussfristen für die Rechtsverfolgung im Interesse der Rechtssicherheit mit dem Unionsrecht vereinbar ist, da solche Fristen nicht geeignet sind, die Ausübung der durch die Unionsrechtsordnung verliehenen Rechte praktisch unmöglich zu machen oder übermäßig zu erschweren (vgl in diesem Sinne Urteil vom 12.2.2008, Kempter, C-2/06, EU:C:2008:78, Rn 58 und die dort angeführte Rsp). Der Gerichtshof hat zu Ausschlussfristen auch entschieden, dass es Sache der Mitgliedstaaten ist, für nationale 269 Regelungen, die in den Anwendungsbereich des Unionsrechts fallen, Fristen festzulegen, die insb der Bedeutung der zu treffenden Entscheidungen für die Betroffenen, der Komplexität der Verfahren und der anzuwendenden Rechtsvorschriften, der Zahl der potenziell Betroffenen und den anderen zu berücksichtigenden öffentlichen oder privaten Belangen entsprechen (vgl in diesem Sinne Urteil Pontin, Rn 48 und die dort angeführte Rsp, und Urteil vom 27.2.2020, Land Sachsen-Anhalt [Besoldung der Beamten und Richter], C-773/18 bis C-775/18, EU:C:2020:125, Rn 69).
36 Somit stehen insb im Hinblick auf den Grundsatz der Rechtssicherheit die Anforderungen des Effektivitätsgrundsatzes bei einer Klage auf Wiedereinstellung einer rechtswidrig gekündigten AN in das betreffende Unternehmen der Festlegung einer relativ kurzen Ausschlussfrist grundsätzlich nicht entgegen. Denn sowohl die schwangeren AN, denen gekündigt worden ist, als auch die AG können aus Gründen der Rechtssicherheit ein Interesse daran haben, dass eine solche Klagemöglichkeit zeitlich beschränkt ist, insb wegen der Folgen dieser Wiedereinstellung für alle Beteiligten, wenn diese erst nach erheblicher Zeit erfolgt (vgl in diesem Sinne Urteil Pontin, Rn 60 und 61).
37 Allerdings hat der Gerichtshof zu einer nationalen Regelung, die für eine Klage auf Nichtigerklärung einer Kündigung eine Ausschlussfrist von 15 Tagen vorsieht, zum einen entschieden, dass in Anbetracht insb der Situation, in der sich eine Frau zu Beginn der Schwangerschaft befindet, eine solche Frist als besonders kurz anzusehen ist, und zum anderen, dass es für eine AN, der während ihrer Schwangerschaft gekündigt worden ist, sehr schwierig ist, sich unter Einhaltung dieser Frist sachgerecht beraten zu lassen sowie gegebenenfalls eine Klage abzufassen und einzureichen (Urteil Pontin, Rn 62 und 65).
(Urteil Pontin, Rn 62 und 65). 38 Der Gerichtshof hat ferner im Hinblick auf die nationale Regelung, die Gegenstand der Rechtssache war, in der das Urteil Pontin ergangen ist, darauf hingewiesen, dass eine schwangere AN, die, aus welchem Grund auch immer, diese Fünfzehntagesfrist hat verstreichen lassen, ihre aus der Kündigung resultierenden Rechte nicht mehr mit einer Klage geltend machen kann (vgl in diesem Sinne Urteil Pontin, Rn 66).
39 Insb auf der Grundlage dieser Feststellungen hat der Gerichtshof entschieden, dass Verfahrensmodalitäten wie diejenigen, die diese nationale Regelung kennzeichnen, dadurch, dass sie Verfahrensnachteile mit sich bringen, die es schwangeren Frauen übermäßig erschweren können, ihre Rechte aus Art 10 der RL 92/85 durchzusetzen, den Erfordernissen in Bezug auf den Grundsatz der Effektivität nicht genügen, wobei die entsprechende Prüfung jedoch vom vorlegenden Gericht vorzunehmen ist (vgl in diesem Sinne Urteil Pontin, Rn 67 und 69).
40 Im vorliegenden Fall geht aus der Vorlageentscheidung hervor, dass nach § 4 Satz 1 KSchG eine Kündigungsschutzklage innerhalb von drei Wochen nach Zugang der schriftlichen Kündigung zu erheben ist. Eine nach Ablauf dieser Frist erhobene Klage einer schwangeren AN kann jedoch nach § 5 KSchG zulässig sein, wenn die AN, die erst nach Ablauf der genannten Dreiwochenfrist von ihrer Schwangerschaft Kenntnis erlangt hat, einen entsprechenden Antrag stellt. Dieser Antrag muss innerhalb von zwei Wochen nach Behebung des Hindernisses für die Klageerhebung gestellt werden.
41 Das vorlegende Gericht stellt fest, dass die im Ausgangsverfahren in Rede stehende AN, die innerhalb von drei Wochen nach Zugang der schriftlichen Kündigung keine Klage gegen ihre Kündigung erhoben habe, auch keinen derartigen Antrag gestellt habe, so dass ihre Klage abzuweisen wäre, es sei denn – wozu es neige –, die im Ausgangsverfahren in Rede stehende nationale Regelung verstoße gegen den Effektivitätsgrundsatz.
42 Die dreiwöchige Klagefrist des § 4 Satz 1 KSchG solle die Rechtssicherheit gewährleisten, und dies scheine auch für die in § 5 Abs 3 KSchG vorgesehene Frist von zwei Wochen für die Einreichung eines Antrags auf Zulassung der verspäteten Klage zu gelten.
43 Allerdings dürfen die Mitgliedstaaten, wie in Rn 35 des vorliegenden Urteils ausgeführt, bei der Festsetzung der Ausschlussfristen nicht nur die Rechtssicherheit heranziehen. Andere Parameter, wie die Bedeutung der zu treffenden Entscheidungen für die Betroffenen oder auch andere öffentliche oder private Belange, sind ebenfalls zu berücksichtigen.
44 In diesem Zusammenhang stellt der Kündigungsschutz für schwangere AN, wie er durch Art 10 der RL 92/85 gewährleistet wird, einen wichtigen Parameter dar, den die Mitgliedstaaten berücksichtigen müssen.
45 In Anbetracht der Gefahr, die eine mögliche Kündigung für die physische und psychische Verfassung einer schwangeren AN darstellt, hat der Unionsgesetzgeber in Art 10 der RL 92/85 nämlich einen besonderen Schutz für die Frau vorgesehen, indem er dieses Kündigungsverbot verfügt hat (vgl in diesem Sinne Urteil vom 22.2.2018, Porras Guisado, C-103/16, EU:C:2018:99, Rn 46 und die dort angeführte Rsp).
46 Zwar geht aus der Vorlageentscheidung hervor, dass § 5 KSchG die Erhebung einer verspäteten Klage mittels eines Zulassungsantrags ermöglicht, wenn die ordentliche Frist von drei Wochen für die Erhebung einer Kündigungsschutzklage verstrichen ist, die Frau aber aus einem von ihr nicht zu vertretenden Grund noch keine Kenntnis von ihrer Schwangerschaft erlangt hatte.
47 Erstens ist jedoch darauf hinzuweisen, dass dieser Antrag auf Zulassung der verspäteten Klage innerhalb von zwei Wochen nach Behebung des Hindernisses für die Klageerhebung zu stellen ist, was nach Auffassung des Gerichtshofs in Anbetracht insb der Situation, in der sich eine Frau zu Beginn der Schwangerschaft befindet, eine besonders kurze Frist darstellt (Urteil Pontin, Rn 62).
48 Zweitens ist diese zweiwöchige Frist kürzer als die in § 4 Satz 1 KSchG vorgesehene ordentliche Frist von drei Wochen für die Erhebung einer Kündigungsschutzklage. 270 49 Somit verfügt eine schwangere AN, die zum Zeitpunkt ihrer Kündigung Kenntnis von ihrer Schwangerschaft hat, über eine Frist von drei Wochen, um eine solche Klage zu erheben. Dagegen verfügt eine AN, die aus einem von ihr nicht zu vertretenden Grund vor Ablauf dieser Frist keine Kenntnis von ihrer Schwangerschaft hat, nur über zwei Wochen, um die Zulassung einer solchen Klage zu beantragen, was eine erhebliche Verkürzung der Frist bedeutet, um sich sachgerecht beraten zu lassen und gegebenenfalls nicht nur diesen Antrag auf Zulassung der verspäteten Klage, sondern auch die eigentliche Klage abzufassen und einzureichen. Wie die Kommission in ihren schriftlichen Erklärungen ausführt, sieht § 5 Abs 2 KSchG nämlich vor, dass die Klage grundsätzlich gleichzeitig mit diesem Antrag eingereicht wird.
50 Hierzu macht Haus Jacobus in ihren schriftlichen Erklärungen geltend, dass der Antrag auf Zulassung der verspäteten Klage keinen besonderen Formerfordernissen unterliege und dass er sogar mündlich bei der Geschäftsstelle jedes, auch unzuständigen, Gerichts gestellt werden könne. Die Kommission macht geltend, dass, auch wenn die bloße Erhebung einer Kündigungsschutzklage nicht für die Annahme ausreiche, ein solcher Antrag gestellt worden sei, dieser Antrag jedoch auch stillschweigend gestellt werden könne.
51 Selbst wenn sich dies nach den dem vorlegenden Gericht obliegenden Prüfungen als zutreffend erweisen sollte, ändert dies nichts daran, dass eine AN, wenn sie wie im vorliegenden Fall nach Ablauf einer Frist von drei Wochen nach ihrer Kündigung davon Kenntnis erlangt, dass sie schwanger ist, nicht nur Klage erheben, sondern auch innerhalb von zwei Wochen einen Antrag auf Zulassung dieser verspäteten Klage stellen muss, damit nicht zu ihren Lasten die Ausschlussfrist eingreift: Das bedeutet, dass ihr eine kürzere Frist zu Gebote steht als diejenige, die ihr zur Verfügung gestanden hätte, wenn sie zum Zeitpunkt ihrer Kündigung von ihrer Schwangerschaft Kenntnis gehabt hätte. Somit kann diese Frist von zwei Wochen dazu führen, dass es für diese AN sehr schwierig wird, sich sachgerecht beraten zu lassen und gegebenenfalls den Zulassungsantrag und die eigentliche Klage abzufassen und einzureichen.
52 Drittens scheint, wie auch die Kommission in ihren schriftlichen Erklärungen ausführt, der Beginn der in § 5 Abs 3 KSchG vorgesehenen Frist von zwei Wochen, dh der Zeitpunkt der „Behebung des Hindernisses“ für die Klageerhebung, nicht völlig eindeutig zu sein, was dazu beitragen kann, die Wahrnehmung der durch die RL 92/85 gewährleisteten Rechte zu erschweren.
53 Viertens schließlich geht aus der Vorlageentscheidung hervor, dass die gekündigte AN nach § 17 Abs 1 Satz 2 MuSchG verpflichtet ist, ihrem AG unverzüglich ihre Schwangerschaft mitzuteilen. In Anbetracht dieser Verpflichtung fragt sich das vorlegende Gericht, ob das zusätzliche Erfordernis, wonach diese AN bei einem Gericht einen Antrag auf Zulassung der verspäteten Klage stellen muss, als mit den Anforderungen des Prinzips effektiven Rechtsschutzes unvereinbar anzusehen ist.
54 Hierzu ist festzustellen, dass zwar der Umstand, dass die AN nicht nur verpflichtet ist, ihrem AG unverzüglich ihre Schwangerschaft mitzuteilen, sondern dass es ihr auch obliegt, innerhalb von zwei Wochen einen Antrag auf Zulassung der verspäteten Klage bei einem Gericht zu stellen sowie grundsätzlich die eigentliche Klage einzureichen, dazu beiträgt, aufzuzeigen, wie komplex das durch die im Ausgangsverfahren in Rede stehende nationale Regelung geschaffene System ist: Dieses sieht mehrere konkurrierende Pflichten vor, die unter Einhaltung unterschiedlicher, sich überschneidender Fristen teils gegenüber dem AG, teils gegenüber einem Gericht zu erfüllen sind.
55 Es kann indessen grundsätzlich nicht davon ausgegangen werden, dass eine schlichte Mitteilung an den AG der Einreichung eines Schriftsatzes bei Gericht gleichwertig wäre, der nach den nationalen Verfahrensvorschriften erforderlich ist, um eine Kündigung anzufechten oder zumindest die Ausschlussfrist für die Anfechtung dieser Kündigung auszusetzen.
56 Daraus folgt, dass das Erfordernis, einen Antrag auf Zulassung der verspäteten Klage bei einem Gericht stellen zu müssen, als solches nicht als mit den Anforderungen des Grundsatzes des effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes unvereinbar angesehen werden kann, und zwar auch dann nicht, wenn die nationale Regelung außerdem die betroffene AN dazu verpflichtet, ihrem AG unverzüglich ihre Schwangerschaft mitzuteilen.
57 Die Verfahrensmodalitäten für einen solchen Antrag auf Zulassung der verspäteten Klage können sich indessen gegebenenfalls als mit den Anforderungen des Grundsatzes des effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes unvereinbar erweisen.
58 Im vorliegenden Fall ist festzustellen, dass die in § 5 KSchG vorgesehene Frist von zwei Wochen vorbehaltlich der vom vorlegenden Gericht vorzunehmenden Prüfungen zu Verfahrensnachteilen zu führen scheint, die gegen den Grundsatz der Effektivität und damit gegen den Grundsatz des effektiven gerichtlichen Schutzes der den Einzelnen durch die RL 92/85 verliehenen Rechte verstoßen können. Diese Frist, die deutlich kürzer ist als die in § 4 KSchG vorgesehene ordentliche Frist, scheint nämlich in Anbetracht der Situation, in der sich eine Frau zu Beginn ihrer Schwangerschaft befindet, besonders kurz zu sein und es der schwangeren AN sehr schwierig zu machen, sich sachgerecht beraten zu lassen und gegebenenfalls einen Antrag auf Zulassung der verspäteten Klage sowie die eigentliche Klage abzufassen und einzureichen, zumal Unsicherheiten hinsichtlich des Beginns dieser Zweiwochenfrist und der Kumulierung von Pflichten nicht auszuschließen sind, für die jeweils unterschiedliche Fristen gelten und die teils gegenüber dem AG, teils gegenüber einem Gericht zu erfüllen sind.
59 Nach alledem ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass die Art 10 und 12 der RL 92/85 dahin auszulegen sind, dass sie einer nationalen Regelung entgegenstehen, nach der eine schwangere AN, die von ihrer Schwangerschaft erst nach Ablauf der für die Erhebung einer Klage gegen ihre Kündigung 271 vorgesehenen Frist Kenntnis erlangt hat, eine solche Klage nur dann erheben kann, wenn sie binnen zweier Wochen einen Antrag auf Zulassung der verspäteten Klage stellt, sofern die Verfahrensmodalitäten im Zusammenhang mit diesem Zulassungsantrag insoweit nicht den Anforderungen des Effektivitätsgrundsatzes genügen, als sie Nachteile mit sich bringen, die geeignet sind, die Umsetzung der Rechte übermäßig zu erschweren, die Art 10 dieser Richtlinie schwangeren AN vermittelt.
[...]
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Siebte Kammer) für Recht erkannt:
Art 10 und 12 der RL 92/85/EWG des Rates vom 19.10.1992 über die Durchführung von Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes von schwangeren AN, Wöchnerinnen und stillenden AN am Arbeitsplatz (zehnte Einzel-RL iSd Art 16 Abs 1 der RL 89/391/EWG) sind dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung entgegenstehen, nach der eine schwangere AN, die von ihrer Schwangerschaft erst nach Ablauf der für die Erhebung einer Klage gegen ihre Kündigung vorgesehenen Frist Kenntnis erlangt hat, eine solche Klage nur dann erheben kann, wenn sie binnen zweier Wochen einen Antrag auf Zulassung der verspäteten Klage stellt, sofern die Verfahrensmodalitäten im Zusammenhang mit diesem Zulassungsantrag insoweit nicht den Anforderungen des Effektivitätsgrundsatzes genügen, als sie Nachteile mit sich bringen, die geeignet sind, die Umsetzung der Rechte übermäßig zu erschweren, die Art 10 dieser Richtlinie schwangeren AN vermittelt.
Vorliegende E des EuGH zum Kündigungsschutz aufgrund Schwangerschaft bietet Gelegenheit zur Untersuchung, inwieweit sich die Wertung des EuGH auch auf die österreichische Rechtslage übertragen lässt und insoweit Veränderungsbedarf auslösen könnte, oder, ob aufgrund des unterschiedlichen Durchsetzungssystems kein Anwendungsbereich und somit kein Handlungsbedarf gegeben sind. Diese Meinung vertreten bereits Mertinz/Plese (EuGH zur Anfechtung von Kündigungen durch schwangere Dienstnehmerinnen, PV-Info 2024 H 10, 20 ff) oder Lindmayr (EuGH: Anfechtung einer unwirksamen Kündigung wegen Schwangerschaft, ARD 6924/9/2024).
Vergleichbar mit der österreichischen Rechtslage muss eine schwangere AN bei Kenntnis der Schwangerschaft diese innerhalb von zwei Wochen nach Zugang der Kündigung durch den/die AG diesem/ dieser melden. Ist die AN in Unkenntnis der Schwangerschaft und hat sie die Unkenntnis nicht zu vertreten, so hat sie die Meldung unverzüglich nach Wegfall des Hinderungsgrundes vorzunehmen. Die Rechtsfolge der Meldung ist dann die Rechtsunwirksamkeit der Kündigungserklärung. Unabhängig vom Zeitpunkt der Meldung nach Kenntnis der Schwangerschaft läuft die Frist der Nachmeldung gem deutschem Kündigungsschutzgesetz aber bereits ab Zugang der Kündigung des/der AG. Äußert sich dieser/diese nicht zur Meldung der Schwangerschaft durch die AN oder ist die Meldung bereits aufgrund der andauernden Unkenntnis außerhalb der Klagsfrist erfolgt, muss die Schwangere einen Antrag auf Zulassung der verspäteten Klage gleichzeitig mit ihrer Kündigungsschutzklage einbringen. Ein Zuwarten der AN auf eine Erklärung des/der AG auf die Schwangerschaftsmeldung ist sowohl bei der Drei- Wochen-Frist als auch bei der Zwei-Wochen-Frist aufgrund der faktischen Beratungsnotwendigkeiten und Formulierungen der relevanten Anträge und Klagen zeitlich nur eng begrenzt möglich.
In dieser Situation begünstigt nach Ansicht des EuGH die Rechtslage den/die die Kündigung aussprechenden AG mehr als die schwangere AN, deren Unkenntnis und die Belastungssituation einer beginnenden Schwangerschaft aufgrund des kurzen Fristenlaufs zu ihren Ungunsten ausschlägt. Ein Versäumnis der notwendigen Fristen erscheint somit wahrscheinlicher als die Bekämpfung der an sich rechtsunwirksamen Kündigung, da Grundvoraussetzung für das Verfahren die unverzügliche Meldung der Schwangerschaft an den/die AG ist.
Die Notwendigkeit eines zusätzlichen gerichtlichen Anbringens, wenn dieses nicht absolut formlos sein sollte, wurde demnach vom EuGH dann als Einschränkung des effektiven Rechtsschutzes schwangerer AN gegen rechtsunwirksame Kündigungen angesehen. Der EuGH verweist hier auf das komplexe System der deutschen Rechtsordnung, die unterschiedliche Formalhandlungen unter Einhaltung unterschiedlicher Fristen zum einen gegenüber dem/der AG, zum anderen gegenüber einem Gericht vorsieht.
Der EuGH prüfte aber nicht die Auswirkungen der laufenden Fristverkürzung einer Kündigungsschutzklage, wenn die AN im dreiwöchigen Zeitraum nach Ausspruch der Kündigung von der Schwangerschaft erfährt. Bekommt die AN am Tag der Kündigung Kenntnis von ihrer Schwangerschaft, zB durch einen Selbsttest, dann stehen ihr noch drei Wochen für die Klagserhebung zur Verfügung. Liegt diese Information jedoch erst am letzten Tag der dritten Woche vor, so verbliebe der schwangeren AN nur mehr dieser eine Tag, wenn die Gerichte in einem solchen Fall nicht einen Antrag auf Zulassung der verspäteten Klage positiv beurteilen. Hier zeigt sich, dass im Fall der Unkenntnis der Schwangerschaft bei Kündigung starre Fristen jedenfalls zu einer problematischen beschwerlichen Rechtsdurchsetzung iSd Entscheidung des EuGH führen. Vielmehr wäre hier auf den Zeitpunkt der Kenntnis der Schwangerschaft für den Beginn des Ablaufes der Frist abzustellen.
Ebenso wie in Deutschland ist die Meldung der Schwangerschaft konstitutiv für den Kündigungsschutz bzw, nach österreichischer Lesart, dessen 272 Wirksamkeit. Die rechtzeitige Meldung durch die AN bewirkt, dass die ausgesprochene Kündigung rechtswirksam nichtig wird (vgl etwa Burger-Ehrnhofer in Burger-Ehrnhofer/Schrittwieser/Bauer [Hrsg], Mutterschutzgesetz und Väter-Karenzgesetz3 [2020] § 10 MSchG Rz 29). Dies zieht nach der österreichischen Auffassung aber ein Feststellungsverfahren nach sich. Weder das MSchG noch das ABGB oder AngG sehen für diese Feststellungsklagen eine Frist zur Klagserhebung vor (Gahleitner, Aufgriffsobliegenheiten im Arbeitsrecht, FS Lovrek [2024] 179 [182]). Dennoch ist die zeitliche Möglichkeit zur Einbringung der Feststellungsklage durch die Figur der Aufgriffsobliegenheitsverpflichtung der Feststellung begehrenden AN begrenzt (vgl RISJustiz RS0111397). Je nach den Umständen gilt die Klage auch nach mehreren Monaten als rechtzeitig eingebracht, wobei die stRsp fixe Fristen aufgrund der Interessenabwägung im Einzelfall (auf Seiten des/der AG das Klarstellungsinteresse; auf Seiten der AN das Interesse an der Aufrechterhaltung des Arbeitsverhältnisses) ablehnt (zB OGH 19.3.2013, 9 ObA 12/13z). Da diese Aufgriffsobliegenheitsverpflichtung (das Schrifttum geht von einem Zeitraum bis zu sechs Monaten aus: Gahleitner in FS Lovrek 186; Weiß, Das Wahlrecht des besonders bestandgeschützten Arbeitnehmers und dessen Fris tengebundenheit, DRdA 2003, 551 [556]) keine prozessrechtliche Frist darstellt, sondern deren Verletzung die Klagsmöglichkeit vernichtet, ist die Versäumung des Aufgriffs keiner Wiedereinsetzung zugänglich. Es fällt also das Element des Antrags der Zulassung auf eine verspätete Klage im gegenständlichen österreichischen Verfahrensrecht zur Gänze weg.
In der Ratio der E des EuGH führte dies aber nicht per se zu einem Defizit an Rechtsschutz der schwangeren AN. So fällt die Beurteilung in Bezug auf den deutlich längeren Zeitraum, in welchem es möglich ist, eine Feststellungsklage zu erheben, im Vergleich zur deutschen Rechtslage hinsichtlich Effektivität des Kündigungsschutzes, positiv aus: Zum einen können die Erkundigungsnotwendigkeiten leichter durchgeführt werden und zum anderen spielt die Belastung der Nachricht des Eintritts der Schwangerschaft nicht so eine zentrale, gewichtige Rolle. So wiegt der längere Zeitraum die fehlende Möglichkeit einer Wiedereinsetzung nach Verlust des Klagerechts insofern auf, dass diese Rechtsfolge bei Beurteilung einer Durchsetzungseffektivität bei langen Zeiträumen nicht ins Gewicht fällt und so daher keine unionsrechtswidrige Rechtsschutzeinschränkung vorliegt.
Legt man den Fokus auf die rein prozessualen Aspekte der Durchsetzung des besonderen Kündigungsschutzes, entspricht daher die formelle Rechtslage jedenfalls den Vorgaben des EuGH.
Überträgt man jedoch die Wertung des EuGH weg von den formellen Fristen des Gerichtsverfahrens auf die eigentliche Meldeverpflichtung an den/die AG, kann man nicht mehr von einem klaren Befund der Unionsrechtskonformität sprechen. Bereits in der Rs Danosa (EuGH 11.11.2010, C-232/09, ECLI:EU:C2010:674, Rn 55) wies der EuGH darauf hin, dass die Informationspflichten der schwangeren AN gem Art 2 lit a RL 92/85, die nach den nationalen Gepflogenheiten gestaltet werden können, den effektiven Kündigungs- und Rechtsschutz von Art 10 RL 92/85 nicht in seiner Substanz schwächen dürfen.
Meldet die AN ihre Schwangerschaft im ungekündigten Arbeitsverhältnis, wirkt der besondere Kündigungsschutz mit Einlangen dieser Meldung. Da keine Kündigung erfolgt ist, besteht auch kein Zeitdruck: Die AN kann den Meldungszeitpunkt selbst wählen (einfache Meldung). Eine ärztliche Bestätigung der Schwangerschaft ist nur auf Verlangen des AG zu überbringen (§ 4 Abs 2 MSchG). Es reicht daher in diesem Stadium des Arbeitsverhältnisses eine mündliche Meldung der Schwangerschaft aus, um den besonderen Kündigungsschutz (und die Beschäftigungsverbote) zu effektuieren. Vielmehr liegt es in diesem Stadium am/an der AG, eine Bestätigung zu verlangen. Ist die AN in Kenntnis der Schwangerschaft, meldet diese aber entgegen der Meldepflicht nicht und wird vom/von der AG in Unkenntnis der Schwangerschaft gekündigt, verbleiben der AN gem § 10 Abs 2 MSchG immerhin noch fünf Arbeitstage, um die Schwangerschaft zu melden und somit die Effektuierung des besonderen Kündigungsschutzes zu bewirken (vgl etwa Burger-Ehrnhofer in Burger-Ehrnhofer/Schrittwieser/Bauer [Hrsg], MSchG und VKG3 § 10 MSchG Rz 32; Wolfsgruber-Ecker in Neumayr/Reissner [Hrsg], ZellKomm3 [2018] § 10 MSchG Rz 19 ff).
Befindet sich die AN aber in Unkenntnis ihrer Schwangerschaft bei Ausspruch der Kündigung, so hat sie ab dem Zeitpunkt, in welchem sie von der Schwangerschaft erfährt, die Meldung unverzüglich dem AG zu erstatten, falls die Fünf-Tagesfrist nach Kündigungsausspruch abgelaufen ist (vgl etwa Burger-Ehrnhofer in Burger-Ehrnhofer/Schrittwieser/Bauer [Hrsg], MSchG und VKG3 § 10 MSchG Rz 33, 45; Wolfsgruber-Ecker in ZellKomm3 § 10 MSchG Rz 24 ff). Erfährt sie unmittelbar oder innerhalb von fünf Arbeitstagen nach der Kündigung von ihrer Schwangerschaft, so verbleiben der schwangeren AN nur mehr die noch offene Meldefrist, bis hin zu einer unverzüglichen Meldung, wobei es jedenfalls als Hinderungsgrund anzusehen ist, falls die AN in dieser Zeit keinen Termin für die Einholung der ärztlichen Bestätigung bekommt.
Nach der stRsp des OGH und der Normierung im MSchG ist diese (qualifizierte) Meldung schriftlich und unter Beigabe einer ärztlichen Schwangerschaftsbestätigung vorzunehmen (vgl etwa Burger-Ehrnhofer in Burger-Ehrnhofer/Schrittwieser/Bauer [Hrsg], MSchG und VKG3 § 10 MSchG Rz 27, 35 f).
Zum einen ist der Unterschied der Qualität der Schwangerschaftsmeldung je nach Zeitpunkt der Meldung nicht nachvollziehbar – das Klarstellungsinteresse des/der AG, in welchem Bereich die 273
schwangere AN weiterhin einsetzbar ist, wird noch durch das Klarstellungsinteresse der Gültigkeit der Kündigung ergänzt. Die Gewichtung der Änderung der Interessen des/der AG zulasten der schwangeren AN überzeugt aber nicht. In der Interessenlage des/der AG ändert sich lediglich, dass dieser/ diese eine Beendigungserklärung ausgesprochen hat. Konnte noch in der Zeit vor der Angleichung der Kündigungsfrist eine eventuelle kurze Beendigungsfrist als sachliche Rechtfertigung dienen, ist diese durch die Angleichung der Kündigungsfristen der Arbeiter an jene der Angestellten durch die Novelle BGBl I 2017/153 weggefallen. Die Länge der Kündigungsfristen und des Eintretens des Termins machen nun ein unverzügliches Handeln der schwangeren AN insb mit der erhöhten Nachweisverpflichtung nicht mehr argumentierbar. Die Referenz Grillberges auf den besonderen Kündigungsschutz der zum Präsenzdienst einberufenen AN oder jenen von Ersatzbetriebsräten konnte zur Zeit des Beitrages die unionsrechtliche Dimension noch nicht berücksichtigen. Grillberger führt zur Rechtfertigung der Bindung des besonderen Kündigungsschutzes an eine Meldung an, dass auch im Bereich des Einberufungsbefehls zum Präsenzdienst bzw die Meldung der Tätigkeit eines Ersatzmitglieds des BR die nicht rechtzeitige Meldung zum Verlust des Kündigungsschutzes führt, da diese schutzbegründenden Umstände „für den Arbeitgeber keinesfalls auf der Hand liegen
“. Grillberger sieht in der Folge durch § 10 Abs 2 MSchG die besondere Schutzwürdigkeit der schwangeren AN dadurch anerkannt, dass auch die vorherige Kenntnis der Schwangerschaft und deren leichte Mitteilung ebenso bei einer Mitteilung nach der Kündigung zur Rechtsunwirksamkeit der Kündigung führt (Grillberger in FS Strasser [1983] 248 f).
Dieser Ansicht kann insofern entgegnet werden, dass der Präsenzdienst bzw heute der Zivildienst jedenfalls – außer im Fall der Untauglichkeit – in das Leben tritt und daher für die AG erwartbar und planbar ist, ebenso wie das „Einspringen“ als Ersatz-BR in die betriebsrätliche Tätigkeit nicht zufällig passiert. Eine Meldung wird daher für die betroffenen Personen keine größere Herausforderung darstellen. Anders stellt sich dies für schwangere AN dar, die sich sowieso durch die Kündigung bereits in einer fragilen Lebenslage befinden und dazu noch die Nachricht einer Schwangerschaft verarbeiten müssen. Was für die Meldungen nach APSG und ArbVG daher zumutbar und einfach machbar erscheint, kann für Schwangere die Effizienz des Kündigungsschutzes gravierend einschränken, womit mE die faktischen Situationen nicht vergleichbar sind.
Die Wertungsunterschiede, die der Gesetzgeber zwischen AN, die in Kenntnis ihrer Schwangerschaft die Meldung nicht erstatten, und jenen Schwangeren, die keine Kenntnis von ihren Umständen haben (die Meldevoraussetzungen in letzterem Fall gestalten sich wie ausgeführt wesentlich strenger), vornimmt, erschließen sich nicht. So wies bereits Grillberger (Mutterschutzrechtliche Mitteilungsund Nachweispflichten der Arbeitnehmerin, in FS Strasser 243) darauf hin, dass diese Differenzierung „rechtspolitisch nicht besonders einleuchten will“. Zieht man für einen Wertungsvergleich die Maßnahmen der Sterbebegleitung (§ 14a AVRAG) oder der Begleitung schwerstkranker Kinder (§ 14b AVRAG) heran, zeigt sich, dass der Gesetzgeber kein besonderes Meldeverfahren im Zuge von Beendigungen des Arbeitsverhältnisses für betroffene AN vorsieht. Eine Beendigung, die wegen der beabsichtigten oder tatsächlich in Anspruch genommenen Maßnahme erfolgt, kann binnen 14 Tagen gem § 15 Abs 1 angefochten werden. Die Beendigung ist daher grundsätzlich rechtswirksam (Binder/Mair in Binder/Burger/Mair [Hrsg], AVRAG3 § 15 Rz 5, 7 [Stand 1.1.2017, rdb.at]). Die Maßnahme kann mE in dieser Zeit durch Erstattung der Meldung aber auch in der Kündigungszeit vollzogen werden. Eine vergleichbare Regelung liegt daher insofern nicht vor, dass der Gesetzgeber im Fall der Maßnahmen gem §§ 14a, 14b AVRAG eine Motivkündigungsanfechtung vorsieht, deren Erfolg davon abhängt, dass der/die AN das Vorliegen eines verpönten Motivs der Kündigung glaubhaft machen kann. Dies ist aber vergleichbar einer Anfechtung wegen Verletzung des Gleichbehandlungsgebotes wegen diskriminierender Beendigung aufgrund der Schwangerschaft. Diese Anfechtungsmöglichkeit, falls ein solches Kündigungsmotiv vermutet wird, kann von der schwangeren AN jedenfalls genutzt werden, auch wenn kein besonderer Kündigungsschutz aufgrund der Schwangerschaft bestehen sollte.
Der EuGH nahm aber nicht auf das gesamte mögliche Rechtsschutzpotential der deutschen Rechtsordnung Bezug, sondern beschränkte sich nur auf die Rechtsnormen, die die Auslösung und Durchsetzung des Kündigungsschutzes in Zusammenhang mit dem Bestehen einer Schwangerschaft regeln. Ein Gesamtvergleich zur Beurteilung einer Unionsrechtskonformität der Umsetzung von Art 10 und 12 RL 92/85, inwieweit schwangeren AN die Rechtsordnung insgesamt Möglichkeiten der Bekämpfung einer Kündigung bietet, ist daher nicht zulässig.
Rein auf das Verfahrensrecht vor Gericht reduziert, ist vorliegende E für die österreichische Rechtsordnung nicht von Bedeutung. Verlagert man aber die Anforderungen an eine wirksame Effektivität des Kündigungsschutzes, die die RL 92/85 gem Auslegung des EuGH an die nationalen Rechtsordnungen stellt, auf die Meldung der Schwangerschaft, dann entsprechen die strengen zeitlichen und inhaltlichen Anforderungen an die Meldung des § 10 Abs 2 MSchG spätestens seit der Angleichung der Kündigungsfristen von Arbeitern und Angestellten nicht (mehr) den unionsrechtlichen Vorgaben. Der Gesetzgeber ist also dazu aufgerufen, durch eine Novellierung dieser Bestimmung Rechtssicherheit zu schaffen. 274