Brameshuber/Aubauer/Rosenmayr-Khoshideh (Hrsg)SVS-ON – Kommentar

Manz Verlag, Wien 2024, LXXVI, 2.670 Seiten, Leinen, € 418,–

LEONIE OBERMEYR (SALZBURG)

Das österreichische Sozialversicherungsrecht ist einzigartig. Seine große Besonderheit ist die fast flächendeckende flächendeckende Umfassung aller Erwerbstätigen. Zweifelsohne machen hier unselbständig Erwerbstätige bzw dienstnehmerähnliche freie DN als dem ASVG Unterworfene den größten Anteil der Versicherten aus. Spätes tens seit dem Sozialversicherungs-Organisationsgesetz (SV-OG, BGBl I 2018/100 ) ist aber auch das Sozialversicherungsrecht der Selbständigen wieder Gesprächsthema geworden. Seitdem ist die Sozialversicherung der Selbständigen (SVS) alleiniger Träger der KV, UV und PV aller Selbständigen, Freiberufler:innen und Bäuerinnen bzw Bauern. Eine einheitliche Rechtslage für alle diese Berufsgruppen gibt es aber immer noch nicht. Das Selbständigen-Sozialversicherungsgesetz (SVSG) beinhaltet zwar Regelungen zur Organisation des Versicherungsträgers; die bisherigen Materienversicherungsgesetze (Gewerbliches Sozialversicherungsgesetz [GSVG], Freiberuflichen-Sozialversicherungsgesetz [FSVG] und Bauern-Sozialversicherungsgesetz [BSVG]) gelten aber weiterhin. Daraus ergibt sich ein nur schwer überschaubares Konglomerat aus diversen Bestimmungen, das bisher nur teilweise bearbeitet wurde.

Einer umfassenden Bearbeitung dieser Materie hat sich nun erstmalig das Herausgeber:innenteam, bestehend aus Univ.-Prof.in Dr.in Elisabeth Brameshuber (Universität Wien), Dipl.-Ing. Dr. Hans Aubauer, CFA (SVS) und Dr.in Martina Rosenmayr-Khoshideh (SVS), gewidmet. Gemeinsam mit über 100 Autor:innen aus Wissenschaft und Praxis haben sie in einem schon umfangmäßig beeindruckenden Werk das selbständige Sozialversicherungsrecht beackert. Es wurden nicht nur die besonderen Versicherungsgesetze der Selbständigen aufgearbeitet, sondern auch die für diese Erwerbstätigen relevanten Bestimmungen in ASVG und APG. Zudem wurden auch die organisationalen Normen im SVSG erläutert.

Die Kommentierungen selbst fassen wortlautgleiche Bestimmungen in GSVG und BSVG zusammen, um Wiederholungen zu vermeiden. Angesichts des Umfangs des Werkes (fast 3.000 Seiten) und der Beschränkung auf einen Band sind auch die Gesetzeskommentierungen nicht ausufernd ausgestaltet und begnügen sich teilweise mit rein deskriptiven Darstellungen. Zu nennen sind beispielsweise die Kommentierungen der §§ 81 und 99a GSVG im Bereich der medizinischen Rehabilitation. Zweifelsohne helfen in diesem komplizierten Bereich zwar Zusammenfassungen der geltenden Rechtslage. Angesichts dessen, dass es sich dabei aber um eine Querschnittsmaterie handelt, wäre es hilfreich gewesen, zumindest auf das Verhältnis zu §§ 157 ff GSVG zu verweisen. Außerdem sind die Autor:innen auch durchaus zu ermutigen, öfter zu widergegebenen Aussagen Stellung zu beziehen, Kritik zu äußern oder auf Meinungsverschiedenheiten in der Literatur hinzuweisen. Zu erwähnen sei hier etwa der bloße Verweis auf eine von Windisch-Graetz vertretene Auffassung im SV-Komm oder die kritiklose Annahme der Möglichkeit der reinen Ermessensprüfung durch die Arbeits- und Sozialgerichte im Rahmen der sukzessiven Kompetenz. Zugegebenermaßen wäre es aber wohl angesichts des Umfangs des Werks nicht möglich, auf alle Aspekte der jeweiligen Bestimmungen im Detail einzugehen, insb wenn diese besonders komplex sind.

Andere Stellen im Kommentar vermögen hingegen sehr wohl zu überzeugen. So ist etwa die Kommentierung des § 9 GSVG von Dullinger hervorzuheben, der – 354 soweit ersichtlich – in Zusammenschau mit anderen Kommentierungen dieser Bestimmung (zu nennen ist etwa Scheiber in Sonntag [Hrsg], GSVG/SVSG13 [2024] § 9 Rz 5 ff oder Kapuy in Neumann [Hrsg], GSVG für Steuerberater3 [2023] § 9 Rz 4) alleinig die Verfassungskonformität der Altersbegrenzung der Zusatzversicherung in Frage stellt. Diese bedingt faktisch, dass Personen über 60 keinen Antrag auf diese Zusatzversicherung mehr stellen und damit auch kein Krankengeld in Anspruch nehmen können. Ein Highlight des Kommentars sind aber jedenfalls auch die von den Autor:innen eingebrachten Hinweise auf die Verwaltungspraxis der SVS, die einen Einblick hinter die Kulissen geben. Auch die Vergleiche und Verweise auf Besonderheiten in den Materiengesetzen sind besonders hilfreich.

Der Kommentar zeichnet sich zudem durch eine weitere Besonderheit aus: Er umfasst nicht nur die entsprechenden Gesetzeskommentierungen, sondern bietet darüber hinaus Beiträge zu den wichtigsten Schnittstellen mit anderen Rechtsgebieten. Dieser Teil beginnt mit einer Synopse zu den gesetzlichen Unterschieden und deren Hintergründe (Brameshuber). Brameshuber geht dabei insb darauf ein, warum und in welchen Bereichen der Gesetzgeber besonders zwischen den verschiedenen Kategorien der selbständig Erwerbstätigen differenziert und ob dies (auch verfassungsrechtlich) geboten ist. Überzeugend erscheinen hier einerseits die Ausführungen zum Krankengeld nach GSVG. Eine Differenzierung nach beschäftigten DN ist durchaus diskutabel, angesichts der Inkaufnahme von einzelnen Härtefällen durch das Verfassungsrecht wohl aber gerechtfertigt. Mehr Kritik der Autorin hätte aber der darauffolgende Abschnitt zum (nicht existenten) Krankengeld im BSVG vertragen, insb vor dem Hintergrund, dass sowohl GSVG als auch BSVG Bestimmungen zur Betriebshilfe bei Erwerbsunfähigkeit infolge Krankheit als möglichen „Ersatz“ des Krankengeldes vorsehen. Aubauer liefert in weiterer Folge eine betriebswirtschaftliche Analyse von Divergenzen und Konvergenzen im Bereich der Sozialen Sicherheit. Sodann folgen sechs Teile zur rechtlichen Einordnung der Bestimmungen in Querschnittsbereichen, die wie folgt lauten: Vertragsrechtliche Gestaltungsmöglichkeiten (Ludvik), steuerrechtliche Bezüge (Schnittler/Höfle), gesellschaftsrechtliche Bezüge (Kalss), internationale Bezüge (Jüthner/Plascka-Rehberger), verwaltungsverfahrensrechtliche Bezüge (Kneihs/Reichl) und das sozialgerichtliche Verfahren (Sonntag). Die letzteren beiden Teile sind besonders aufschlussreiche Zusammenfassungen des komplexen Verfahrensrechts der SV. Im Bereich des sozialgerichtlichen Verfahrens wäre es aber durchaus hilfreich gewesen, die in den Gesetzeskommentierungen vorkommenden Aussagen zur Ermessensprüfung durch die Arbeits- und Sozialgerichte auch hier aufzugreifen und zu diskutieren.

Insgesamt erscheint der SVS-ON-Kommentar als ein umfassendes und kompaktes Werk. Die Herausgeber:innen planen angesichts der Dynamik des Sozialversicherungsrechts eine jährlich erscheinende Neuauflage. Dies verwundert nicht, so ist beispielsweise nur wenige Tage nach dem festgelegten Redaktionsschluss (1.1.2024) die E des OGH über die Nichtqualifizierung einer Covid-19-Infektion als Arbeitsunfall ergangen, die nun wohl in die entsprechende Kommentierung aufzunehmen ist. Zweifelsohne ist dieses Vorhaben aber ambitioniert und stellt, wie schon von Neumayr (ASoK 2024, 395) und Auer-Mayer (ZAS 2024, 334) festgehalten, eine Mammutaufgabe dar. SVS-ON reiht sich ein in eine Sammlung sozialrechtlicher Aufarbeitungen und wird an der Seite des SV-Komm (Mosler/Müller/Pfeil [Hrsg]) mit Sicherheit für mehr Klarheit in der SV sorgen. Den Herausgeber:innen und Autor:innen ist für diese Aufgabe viel Erfolg zu wünschen. In diesem Sinne: ad multos annos!