Moder/Quinz/Tamesberger/Theurl/Witzani-Haim (Hrsg)Mit einer Jobgarantie zum Recht auf gute Arbeit. Ansätze fortschrittlicher Arbeitsmarktpolitik in Österreich
Verlag des ÖGB, Wien 2024, 390 Seiten, broschiert, € 24,90
Moder/Quinz/Tamesberger/Theurl/Witzani-Haim (Hrsg)Mit einer Jobgarantie zum Recht auf gute Arbeit. Ansätze fortschrittlicher Arbeitsmarktpolitik in Österreich
„Der Bundesminister (...) hat mit allen zu Gebote stehenden Mitteln zur Erreichung und Aufrechterhaltung der Vollbeschäftigung und zur optimalen Funktionsfähigkeit des Arbeitsmarktes beizutragen.
“ Seit 1969 wird dieses Ziel gesetzlich in § 1 Abs 1 Arbeitsmarktförderungsgesetz (AMFG) und darauf aufbauend auch in § 29 Abs 1 Arbeitsmarktservicegesetz (AMSG) proklamiert. Die Realität ist von diesem Ziel doch deutlich entfernt: Im dritten Jahr der Rezession waren in Österreich im Jänner 2025 insgesamt 445.513 Personen als arbeitslos oder in Schulung gemeldet (AMS, Übersicht über den Arbeitsmarkt – Jänner 2025 [2025] 1). Der Reiz einer Jobgarantie ist damit auch schon schnell – und bereits im Editorial des zu rezensierenden Werkes – erklärt: Der Staat soll bei einer Knappheit an Arbeitsplätzen und einhergehender Erwerbsarbeitslosigkeit als „employer of last resort“ einspringen und für Vollbeschäftigung sorgen (Wray, Government as Employer of Last Resort: Full Employment without Inflation, working paper no. 213, 5 ff). Die potentiellen Gegenstimmen und Kritikpunkte an einem solchen Konzept sind leicht zu antizipieren, werden allerdings Beitrag um Beitrag in dem Sammelband eindrucksvoll entkräftet.
Den Start macht der neue Finanzminister der Republik Österreich Marterbauer, in dem er die Wirtschaftspolitik Österreichs nach dem II. Weltkrieg in bemerkenswerter Prägnanz darstellt und die Eigenheiten des austrokeynesianischen Erfolgsmodells schildert. Dabei weist er wiederholt auf die Bedeutung staatlicher Investitionen als Teil einer antizyklischen Budgetpolitik hin, und zeigt auch, wie dadurch in Österreich selbst nach der Rezession im Zuge des ersten Ölschocks in den 1970ern die Arbeitslosenquote unter 2 % gehalten werden konnte.
Altreiter/Flecker widmen sich dem Zusammenhang zwischen demokratischer Partizipation und der Qualität der Arbeitsbedingungen. Sie stützen sich dabei – wie viele der folgenden Beiträge des Sammelbandes – mitunter auf die bahnbrechenden Ergebnisse der Marienthal- Studie (Jahoda/Lazarsfeld/Zeisel, Die Arbeitslosen von Marienthal [1933]) und darauf aufbauender Forschung. Demnach erfüllt Arbeit neben der manifesten Funktion, 355 der materiellen Existenzsicherung, auch fünf weitere latente Funktionen: Zeitstruktur, soziale Kontakte, Status und Identität, die Erfahrung des Mitwirkens in einem Kollektiv und eine regelmäßige Beschäftigung (Jahoda, Wieviel Arbeit braucht der Mensch? – Arbeit und Arbeitslosigkeit im 20. Jahrhundert3 [1986] 136). Die Auswirkungen von Arbeitslosigkeit gehen demnach weit in soziale Sphären des Individuums. Aber auch die Qualität der Arbeit spielt eine gewichtige Rolle, gerade wenn es um politische Partizipation geht. Überlange Arbeitszeiten lassen wenig Zeit, sich mit politischen Themen zu befassen, schlechte soziale Absicherung lähmt und klassenbedingte Abwertungserfahrungen zehren am Selbstwertgefühl. Die Autor:innen verbinden dabei geschickt Gedanken von Hegel, Smith, Bourdieu und Honneth, um aufzuzeigen, warum das Recht auf gute Arbeit eine zentrale demokratiepolitische Forderung ist.
Der Beitrag von Bacher/Hubmann/Kannonier-Finster/Ziegler belegt, dass die Ausführungen von Jahoda auch heute noch ihre Gültigkeit haben. Zwar könnten einzelne latente Funktionen durchaus auch anders erfüllt werden, jedoch gewährleistet Erwerbsarbeit die Erfüllung aller Funktionen unverändert am besten. Besonders erwerbslose Personen würden unverändert durch Deprivation dieser Funktionen unter psychischen Beeinträchtigungen leiden.
Schönherr streicht die Wichtigkeit der Qualität der Arbeit hervor, dazu analysiert er die Zufriedenheit von Beschäftigten mit ihrer Arbeit. Wenig überraschend nimmt die Zufriedenheit mit zunehmender Prekarität der Arbeitsweise ab (Befristung, Teilzeit, niedriges Entgelt). Auch schlechte Arbeitsbedingungen würden sich bereits sehr stark auf die psychische Gesundheit auswirken und in dieser Hinsicht der Erwerbslosigkeit ähneln, weshalb der Autor treffend von einer Drehtüre zwischen Erwerbslosigkeit und schlechter Arbeit spricht.
Der jüngeren Arbeitsmarktentwicklung in Österreich und den Maßnahmen der Arbeitsmarktpolitik widmen sich Eppel/Mahringer. Dabei schildern sie unterschiedliche Maßnahmen der Arbeitsmarktpolitik und deren Effektivität. Ein wenig skeptisch zeigen sie sich, dass eine Jobgarantie tatsächlich außerhalb enger quantitativer Grenzen wirksam wäre.
Dieser Skepsis nimmt Witzani-Haim durch Schilderung internationaler Vorbilder für eine Jobgarantie sogleich den Wind aus den Segeln. Allen voran steht natürlich der New Deal unter Roosevelt in den USA: Acht Millionen Beschäftigte alleine beim größten Beschäftigungsprogramm (WPA). Im Rahmen der New Deal-Programme wurden ua neue Straßen (1 Mio Kilometer), Brücken und Gebäude errichtet, zusätzliche Kindergärten betrieben, Schulkindern Mahlzeiten zubereitet und Kulturveranstaltungen ermöglicht. Auch die erwähnten Beispiele aus Argentinien, Indien, Griechenland und Frankreich zeigen die Potentiale, aber auch die Herausforderungen solcher Programme auf.
Es folgen Beiträge von Reiter/Willsberger (Aktion 8.000), Diry/Moder (Jobgarantie und berufliche Inklusion) und Hausegger/Krüse/Hausegger (Aktion 20.000), die sich jüngeren Projekten der österreichischen Arbeitsmarktpolitik und den Herausforderungen für am Arbeitsmarkt benachteiligter Personen widmen. Insb die Aktion 20.000, die für eben diese Anzahl an langzeitbeschäftigten Arbeitslosen über 50 Jahren eine Beschäftigung liefern sollte, brachte bereits in den ersten sieben Monaten 4.000 Langzeitarbeitslose in Beschäftigung. Ein Regierungswechsel führte dann allerdings zum abrupten Ende dieses Projekts.
Die Beiträge von Quinz und Kasy/Lehner befassen sich mit dem international für Furore sorgenden Arbeitsmarktprojekt des AMS Niederösterreich (Berichterstattung im New Yorker, Spiegel, ARTE, ZDF und ORF). Das Modellprojekt Arbeitsplatzgarantie Marienthal (MAGMA) bot allen langzeitarbeitslosen Bewohner:innen Marienthals einen garantierten Arbeitsplatz. Unter wissenschaftlicher Begleitung durch die Universität Oxford wurden die positiven wirtschaftlichen und sozialen Effekte dieser Maßnahme empirisch belegt.
Schließlich widmet sich der letzte Teil des Sammelbandes mit Beiträgen von Krapfenbauer, Schultheiß/Witzani-Haim, Heck/Bohnenberger und Ehnts/Diekmann auch noch umfassend unterschiedlichen Aspekten der Frage, wie eine Jobgarantie umgesetzt werden kann. Ebenso in dieses Kapitel fällt der in den Augen des Rezensenten besonders hervorhebenswerte Beitrag von Tamesberger/Theurl, in dem völlig schlüssig dargelegt wird, dass eine Jobgarantie eine Frage des politischen Wollens und nicht der Kosten ist. Nicht weil die Kosten unerheblich wären, sondern weil der Refinanzierungsgrad sehr hoch ist und sich die Kosten einer Jobgarantie langfristig amortisieren, ohne dabei die sozialpolitisch wünschenswerten Folgen (wie bspw die Verringerung der Armut) oder die gesundheitlich positiven Effekte auf die Betroffenen samt einhergehender Kostenersparnissen für den Staat berücksichtigt zu haben. Zugespitzt laufe es auf die banal anmutende (aber zwischen den Interessenblöcken Kapital und Arbeit machtpolitisch höchst relevante) Frage hinaus, was man in Österreich lieber finanziert: Arbeitslosigkeit oder Arbeitsplätze?
Der Sammelband, verfasst von Ökonom:innen und Soziolog:innen, bleibt trotz seiner wissenschaftlichen Ausrichtung leicht zugänglich und verzichtet weitestgehend auf ausschließenden Fachjargon. Auch für fachfremde Leser:innen – wie den Rezensenten – ist der Sammelband anregend und sehr angenehm zu lesen. Die Lektüre ist dringend zu empfehlen und bietet gut aufbereitete Informationen über die österreichische Arbeitsmarktpolitik und eine Fülle an Denkanstößen für die Gestaltung des Arbeitsmarktes von morgen. 356