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Mitnahme von Krankenstandszeiten aus dem alten Jahr – es gibt sie doch

NORA MELZER (GRAZ)
  1. Die Dauer des Entgeltfortzahlungsanspruchs nach § 2 Abs 1 EFZG verringert sich um alle innerhalb desselben Arbeitsjahres gelegenen Zeiträume, für die der AN bereits einen Entgeltfortzahlungsanspruch nach Abs 1 hatte. MaW: Die in § 2 Abs 1 geregelte Dauer des Entgeltfortzahlungsanspruchs darf innerhalb eines Arbeitsjahres nicht überschritten werden.

  2. Eine darüber hinausgehende „Arbeitsjahrbezogenheit“ des Entgeltfortzahlungsanspruchs sieht das Gesetz nicht vor. Weder aus §§ 2, 5 EFZG noch aus einer sonstigen Bestimmung des EFZG ergibt sich, dass der AN im Fall der Beendigung des Arbeitsverhältnisses während einer Arbeitsverhinderung oder im Hinblick auf eine Arbeitsverhinderung gem § 2 EFZG eine Entgeltfortzahlung nur bis zu jenem Zeitpunkt beanspruchen könnte, in dem das bei der Beendigung des Arbeitsverhältnisses laufende Arbeitsjahr (fiktiv) geendet hätte, wenn das Arbeitsverhältnis in diesem Zeitpunkt noch aufrecht gewesen wäre.

  3. Dem kranken AN soll „der volle Anspruch auf Ausschöpfung des nicht verbrauchten Kontingents an Entgeltfortzahlung aus dem laufenden Arbeitsjahr auch dann gewahrt bleiben, wenn die Beendigung des Arbeitsverhältnisses während der Arbeitsverhinderung erfolgt“. Die Ansicht, der AN könne die Entgeltfortzahlung nur bis zum (fiktiven) Ende des letzten Arbeitsjahres beanspruchen, würde diesen Zweck des § 5 EFZG aushöhlen und stünde auch mit dem oben wiedergegebenen Wortlaut des § 5 und des § 2 Abs 1, 4 EFZG in Widerspruch.

[...] [2] II. Der Kl war bei der Bekl von 6.3.2019 bis 28.2.2023 als Arbeiter beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis endete durch einvernehmliche Auflösung mit 28.2.2023. Die einvernehmliche Auflösung erfolgte während eines Krankenstands des Kl, der von 17.1.2023 bis 14.5.2023 dauerte. Die Bekl zahlte dem Kl das Entgelt bis einschließlich 5.3.2023 fort.

[3] Der Kl begehrte von der Bekl zuletzt 1.217,35 € brutto sA Entgeltfortzahlung für die Zeit von 6.3.2023 bis 6.4.2023. Es steht außer Streit, dass es sich dabei um den richtig berechneten Entgeltfortzahlungsbetrag bis zur Erschöpfung der gesetzlichen Entgeltfortzahlungsdauer für das am 6.3.2022 begonnene Arbeitsjahr (§ 2 Abs 1, Abs 4 EFZG) handelt.

[4] Die Bekl beantragte die Abweisung des Klagebegehrens und entgegnete, der Entgeltfortzahlungsanspruch sei jeweils als Kontingent eines Arbeitsjahres zu sehen. Da der 5.3.2023 der letzte Tag des am 6.3.2022 begonnenen Arbeitsjahres des Kl gewesen sei, ende die Entgeltfortzahlung an diesem Tag.

[5] Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses

beginne kein neues Arbeitsjahr mehr, sodass auch kein neuer Entgeltfortzahlungsanspruch entstehe. Allerdings könne ein noch nicht ausgeschöpfter Anspruch auf Entgeltfortzahlung aus dem alten Arbeitsjahr auch nicht erlöschen.

[6] Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und ließ die Revision mit der Begründung zu, es gebe keine höchstgerichtliche Rsp zur Frage, ob der Entgeltfortzahlungsanspruch mit dem fiktiven Beginn eines neuen Arbeitsjahres ende, auch wenn im alten Arbeitsjahr noch ein Entgeltfortzahlungsanspruch offen gewesen sei.

[7] Dagegen richtet sich die Revision der Bekl wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Abänderungsantrag, das Klagebegehren abzuweisen, und hilfsweise mit einem Aufhebungsantrag.

[8] Der Kl beantragt, die Revision zurückzuweisen und hilfsweise, ihr nicht Folge zu geben.

[9] Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig, aber nicht berechtigt.

[10] 1. § 5 EFZG geht davon aus, dass das Arbeitsverhältnis auch während einer Arbeitsverhinderung oder im Hinblick auf eine Arbeitsverhinderung gem § 2 EFZG beendet werden kann (vgl bereits 9 ObA 36/10z, 9 ObA 139/09w und 9 ObA 59/10g: „dass ein Krankenstand der Auflösung des Arbeitsverhältnisses während der Dauer der Arbeitsverhinderung nicht entgegensteht“). In den in § 5 EFZG genannten Fällen – darunter die einvernehmliche Auflösung des Arbeitsverhältnisses während einer Arbeitsverhinderung gem § 2 EFZG – bleibt aber der Entgeltfortzahlungsanspruch „für die nach diesem Bundesgesetz vorgesehene Dauer“ bestehen, „wenngleich das Arbeitsverhältnis früher endet“.

[11] 2. Die Dauer des Entgeltfortzahlungsanspruchs bei einer nicht vorsätzlich oder grob fahrlässig herbeigeführten Arbeitsverhinderung durch Krankheit (Unglücksfall) ergibt sich aus § 2 Abs 1 EFZG. Bei wiederholter Arbeitsverhinderung durch Krankheit (Unglücksfall) innerhalb eines Arbeitsjahres besteht der Entgeltfortzahlungsanspruch gem § 2 Abs 4 EFZG nur insoweit, als die Dauer gem Abs 1 noch nicht erschöpft ist. Diese Bestimmung hat (lediglich) die folgende Konsequenz: Die Dauer des Entgeltfortzahlungsanspruchs nach Abs 1 verringert sich um alle innerhalb desselben Arbeitsjahres gelegenen Zeiträume, für die der AN bereits einen Entgeltfortzahlungsanspruch nach Abs 1 hatte. MaW: Die in Abs 1 geregelte Dauer des Entgeltfortzahlungsanspruchs darf innerhalb eines Arbeitsjahres nicht überschritten werden.

[12] 3. Eine darüber hinausgehende „Arbeitsjahrbezogenheit“ des Entgeltfortzahlungsanspruchs sieht das Gesetz nicht vor. Weder aus §§ 2, 5 EFZG noch aus einer sonstigen Bestimmung des EFZG ergibt sich, dass der AN im Fall der Beendigung des Arbeitsverhältnisses während einer Arbeitsverhinderung oder im Hinblick auf eine Arbeitsverhinderung gem § 2 EFZG eine Entgeltfortzahlung nur bis zu jenem Zeitpunkt beanspruchen könnte, in dem das bei der Beendigung des Arbeitsverhältnisses 282 laufende Arbeitsjahr (fiktiv) geendet hätte, wenn das Arbeitsverhältnis in diesem Zeitpunkt noch aufrecht gewesen wäre. Der Senat kommt damit zum selben Auslegungsergebnis wie die Vorinstanzen sowie Drs (Entgeltfortzahlung und Beendigung des Arbeitsverhältnisses, DRdA 2011, 285 [Pkt 2.2.2. aE]) und Schimanko (Zur Grenze der Entgeltfortzahlung nach dem EFZG, RdW 2011/104, 98 [103 f]).

[13] 4. Die in der Revision für die gegenteilige Ansicht der Bekl ins Treffen geführten Argumente – die den Ausführungen von Rauch folgen (Jüngste Judikatur zum Krankenstand, ASoK 2005, 122; EFZG2 § 5 Rz 2.3) – überzeugen den Senat nicht:

[14] 4.1. Der OGH betonte – den Gesetzesmaterialien folgend (RV 1105 BlgNR 13. GP 14) – wiederholt, dass mit Beginn eines neuen Arbeitsjahres ein „neuer Anspruch“ auf Entgeltfortzahlung entstehe (8 ObA 163/98y; 8 ObA 215/98w). Bei ununterbrochen fortdauernder krankheitsbedingter Arbeitsverhinderung entstehe mit Beginn des nächsten Arbeitsjahres ein neuer Entgeltfortzahlungsanspruch auch dann, wenn der AN zuerst wegen Ausschöpfung des Entgeltfortzahlungsanspruchs kein Entgelt mehr erhalten habe (RS0111429 [Abgehen von 8 ObA 2132/96d]). Ende das Arbeitsverhältnis vor Beginn des neuen Arbeitsjahres und könne daher kein neues Arbeitsjahr zu laufen beginnen, so gebe § 5 EFZG trotz weiterdauernden Krankenstandes „keine geeignete Grundlage“ dafür ab, einen neuen Entgeltfortzahlungsanspruch nach § 2 Abs 1 EFZG entstehen zu lassen (RS0126339 [Abgehen von 9 ObA 115/05k]). Diese Entscheidungen sind hier aber von vornherein nicht einschlägig, weil der Kl keinen „neuen“ Entgeltfortzahlungsanspruch geltend macht, sondern nur die „alte“ Entgeltfortzahlung jenes Arbeitsjahres ausschöpft, in dem die Beendigung seines Arbeitsverhältnisses erfolgte.

[15] 4.2. Der OGH bezeichnete die Regelungen des § 2 Abs 1, 4 EFZG mehrmals als „Kontingentsystem“ (8 ObA 163/98y; 8 ObA 215/98w; 9 ObA 144/03x; 8 ObA 44/08s; 9 ObA 174/08s). Der Entgeltfortzahlungsanspruch sei „auf das Arbeitsjahr abgestellt“ (8 ObA 163/98y; 8 ObA 215/98w; 9 ObA 144/03x). Jüngst hielt er (auch) zur vergleichbaren Bestimmung des § 8 Abs 1 AngG fest, dass sie „die Kontingente der Entgeltfortzahlung“ auf das Arbeitsjahr beziehe (9 ObA 73/23k). Die Bekl nennt das „Grundsatz der Jahreskontingenz“. Daraus folgt aber nicht, dass der AN in einem Fall des § 5 EFZG eine Entgeltfortzahlung nur bis zum (fiktiven) Ende seines letzten Arbeitsjahres beanspruchen könnte. Eine solche „Arbeitsjahrbezogenheit“ des Entgeltfortzahlungsanspruchs sieht das Gesetz nicht vor. Vielmehr gewährleistet § 5 EFZG in den darin geregelten Fällen die Ausschöpfung des noch nicht verbrauchten Kontingents des Entgeltfortzahlungsanspruchs für das laufende Arbeitsjahr (8 ObA 53/17b; 9 ObA 25/21y; 9 ObA 22/21g). Dem kranken AN soll „der volle Anspruch auf Ausschöpfung des nicht verbrauchten Kontingents an Entgeltfortzahlung aus dem laufenden Arbeitsjahr auch dann gewahrt bleiben, wenn die Beendigung des Arbeitsverhältnisses während der Arbeitsverhinderung erfolgt“ (9 ObA 36/10z; 9 ObA 139/09w; 9 ObA 59/10g). Die Ansicht der Bekl, der AN könne die Entgeltfortzahlung nur bis zum (fiktiven) Ende des letzten Arbeitsjahres beanspruchen, würde diesen Zweck des § 5 EFZG aushöhlen und stünde auch mit dem oben wiedergegebenen Wortlaut des § 5 und des § 2 Abs 1, 4 EFZG in Widerspruch.

[16] 5. Der Revision war daher nicht Folge zu geben. Der Anregung der Revisionswerberin, die Sache vor einen verstärkten Senat des OGH zu bringen, war mangels Vorliegens der Voraussetzungen des § 8 OGHG nicht zu folgen (vgl RS0071080).

[17] [...]

ANMERKUNG
1.
Der Kontext der E

Bei der vorliegenden E musste sich der OGH wieder einmal mit dem Fall einer Dienstverhinderung auseinandersetzen, bei der ein längerer Krankenstand vom alten in das neue Arbeitsjahr hineinreicht, während sich das Arbeitsverhältnis schon im Auflösungsstadium befindet. Fraglich ist bei solchen Konstellationen vor allem, ob der Eintritt des neuen Arbeitsjahres auch zu einem weiteren oder neuen Anspruch auf Entgeltfortzahlung führt oder nicht. Besonders dringlich erscheint die Frage, weil der Grund für die Beendigung von Arbeitsverhältnissen bei Dienstverhinderungen, die schon länger gedauert haben oder noch länger dauern könnten, im Wesentlichen darin liegt, „noch mehr“ Entgeltfortzahlung zu vermeiden.

In der vorliegenden E war das Dienstverhältnis zwar bereits beendet, und erst danach hatte ein neues Arbeitsjahr begonnen. In einem solchen bloß fiktiven neuen Arbeitsjahr entsteht grundsätzlich kein neuer Entgeltfortzahlungsanspruch. Trotzdem kam der OGH zum Ergebnis, dass für die laufende Dienstverhinderung ein Anspruch auf Entgeltfortzahlung besteht; es war nämlich der Anspruch aus dem vorangehenden Arbeitsjahr noch nicht verbraucht worden. Dem Ergebnis ist aus Sicht der Rezensentin voll zuzustimmen; die E wird im Folgenden dazu genützt, die Entgeltfortzahlung bei Dienstverhinderungen am Übergang von einem Arbeitsjahr in ein anderes zu untersuchen.

2.
Verhältnis Dauer der Entgeltfortzahlung und Eintritt des neuen Arbeitsjahres

Der Anspruch auf Entgeltfortzahlung besteht bei Dienstverhinderungen wegen Krankheit und Unfall grundsätzlich pro Arbeitsjahr und für eine gesetzlich vorherbestimmte Dauer; am Beginn eines jeden Arbeitsjahres entsteht der Entgeltfortzahlungsanspruch jeweils neu und in vollem Ausmaß (sogenanntes Arbeitsjahrprinzip). Die Dauer der Entgeltfortzahlung steigt im Laufe der Dienstzeit an (sogenanntes Senioritätsprinzip, zB von sechs Wochen voller und vier Wochen halber Entgeltfortzahlung 283 nach dem ersten Dienstjahr auf eine Dauer von acht Wochen voller und vier Wochen halber Entgeltfortzahlung pro Arbeitsjahr, vgl § 8 Abs 1 und 2 AngG sowie § 2 Abs 1 und 4 EFZG). Dieses Kontingent steht dem:r AN für jeweils ein Arbeitsjahr zu und kann auf einmal durch eine längere Dienstverhinderung oder in Teilen durch mehrere kurze Dienstverhinderungen verbraucht werden. Ist das jährliche Kontingent ausgeschöpft, besteht erst mit Beginn des neuen Arbeitsjahres ein neuer Anspruch.

Beruht die Dienstverhinderung auf einem Arbeitsunfall oder einer Berufskrankheit, besteht ein gesonderter Anspruch auf Entgeltfortzahlung, der pro Anlass, dh bei jedem Arbeitsunfall und jeder Berufskrankheit extra, aber unabhängig vom Arbeitsjahr sowie sonstigen Dienstverhinderungen zusteht (sogenanntes Anlassprinzip; § 8 Abs 2a AngG, § 2 Abs 5 EFZG). Beim jeweiligen Anlass gebührt für bis zu acht Wochen, ab dem 16. Arbeitsjahr bis zu zehn Wochen Entgeltfortzahlung in voller Höhe. Das Arbeitsjahr oder der Eintritt des:r AN in ein neues Arbeitsjahr wirkt sich bei Berufskrankheit und Arbeitsunfall insofern nicht weiter aus.

3.
Eintritt in das neue Arbeitsjahr im aufrechten Dienstverhältnis

Aufgrund der gesetzlichen Regelungen ist bei der Berücksichtigung des neuen Arbeitsjahres für den Anspruch auf Entgeltfortzahlung zwischen den Dienstverhinderungsgründen Krankheit (Unfall), Arbeitsunfall (Berufskrankheit) und den sogenannten Folgeverhinderungen zu unterscheiden.

3.1.
Krankheit (Unfall) und Arbeitsjahr

Kommt es zu längeren Dienstverhinderungen durch Krankheit oder Unfall am Übergang vom alten in das neue Arbeitsjahr des:r AN, so sind folgende Konstellationen denkbar:

Beginnt die Krankheit noch im alten Arbeitsjahr und reicht in das neue hinein, wird bis zum Ende des alten Arbeitsjahres das Kontingent des alten Arbeitsjahres und ab Beginn des neuen Arbeitsjahres das Kontingent des Entgeltfortzahlungsanspruchs für das neue Arbeitsjahr verbraucht (Rauch, Arbeitsrecht für Arbeitgeber [2022] Erl 20.15; Melzer in Löschnigg/Melzer [Hrsg], AngG-Komm [2021] § 8 AngG Rz 164). Wenn im alten Arbeitsjahr der Entgeltfortzahlungsanspruch nicht zur Gänze verbraucht worden ist, wird der verbliebene Rest nicht in das neue Arbeitsjahr mitgenommen (Drs in Neumayr/Reissner [Hrsg], ZellKomm [2018] § 2 EFZG Rz 15; Melzer § 8 AngG Rz 163; Burger in Reissner [Hrsg], AngG-Komm [2023] § 8 Rz 52). Nicht (voll) ausgeschöpfte Krankenstände können nicht angesammelt werden.

Beginnt während der Krankheit nicht nur ein neues Arbeitsjahr, sondern kommt es gleichzeitig zu einem sogenannten Senioritätssprung, dh der:die AN überschreitet mit seinen Arbeitsjahren die Grenze zu einer längeren Dauer der Entgeltfortzahlung, dann gilt bereits mit dem neuen Arbeitsjahr für die laufende Dienstverhinderung der höhere Entgeltfortzahlungsanspruch (OGH 4 Ob 96/81 ZAS 1982, 227 [Andexlinger] = DRdA 1983, 275 [Csebrenyak]).

Nach dem Arbeitsjahrprinzip entsteht mit Beginn des neuen Arbeitsjahres ein neuer Anspruch auf Entgeltfortzahlung; unabhängig davon, ob der:die AN in der Zwischenzeit die Arbeit, weil genesen, wieder aufgenommen hat; hier unterscheidet sich das seit 2018 vereinheitlichte neue Dienstverhinderungsrecht für alle AN deutlich vom alten Angestelltenrecht. Bei Krankheiten am Übergang von einem Arbeitsjahr in das andere kann es dem entsprechend auch ohne zwischenzeitlichen Wiederantritt zu recht langen Entgeltfortzahlungsansprüchen kommen: Erkrankt ein:e AN im dritten Arbeitsjahr zwölf Wochen vor dem Beginn des neuen Arbeitsjahres erstmals länger für insgesamt 24 Wochen, so wird im alten Arbeitsjahr zunächst das Kontingent von acht Wochen voller und vier Wochen halber Entgeltfortzahlung ausgeschöpft; gleich im Anschluss daran der Anspruch des neuen Arbeitsjahres im Ausmaß von acht Wochen voller und vier Wochen halber Entgeltfortzahlung (IA 2306/A 25. GP 7; Drs in ZellKomm § 8 AngG Rz 98/1, § 2 EFZG Rz 15). Der:Die AN hat in dieser Konstellation den Anspruch auf Entgeltfortzahlung von zwei Arbeitsjahren für „einen“ längeren Krankenstand auf einmal verbraucht.

Reicht die Dienstverhinderung während einer Krankheit des:r AN vom alten in das neue Arbeitsjahr hinein, so steht dem:r AN die Entgeltfortzahlung ab Beginn des neuen Arbeitsjahres auch dann zu, wenn das Kontingent des alten Arbeitsjahres längst verbraucht worden ist und im alten Arbeitsjahr keine Entgeltfortzahlung mehr gebührte (OGH 8 ObA 163/98y ZAS 1999, 167 [Pernkopf ] in Abkehr von OGH8 ObA 2132/96d DRdA 1998, 42 [Pfeil]; Löschnigg, Arbeitsrecht [2024] Rz 6/644). Der Beginn des neuen Arbeitsjahres lässt einen Anspruch auf Entgeltfortzahlung entstehen, obwohl für den laufenden Krankenstand aufgrund der Ausschöpfung des Kontingents im alten Arbeitsjahr kein Entgeltfortzahlungsanspruch mehr bestand.

3.2.
Arbeitsunfall (Berufskrankheit) und Arbeitsjahr

Kommt es zu längeren Dienstverhinderungen durch Berufskrankheit oder Arbeitsunfall am Übergang vom alten in das neue Arbeitsjahr des:r AN, so können sich folgende Konstellationen ergeben, die unter Anwendung des Anlassprinzips zu lösen sind:

Reicht eine Dienstverhinderung wegen Arbeitsunfall oder Berufskrankheit in das neue Arbeitsjahr hinein, besteht ein Entgeltfortzahlungsanspruch maximal für die Dauer, die für den Anlassfall Berufskrankheit oder Arbeitsunfall vorgesehen ist. Das sind grundsätzlich acht (zehn) Wochen Entgeltfortzahlung in voller Höhe. Ist der Entgeltfortzahlungsanspruch für den konkreten Anlass verbraucht, entsteht trotz Eintritt in das nächste Arbeitsjahr kein neuer Anspruch (OGH 8 ObA 44/08s DRdA 2010, 343 [Kozak] = EvBl 2009, 363 [Löschnigg]; OGH9 ObA 174/08s ARD 5964/4/2009; weiters schon OGH4 Ob 52/76 Arb 9475; Löschnigg, 284 Arbeitsrecht Rz 6/652). Erst eine zwischenzeitliche Wiederaufnahme der Arbeit lässt im neuen Arbeitsjahr einen neuen Entgeltfortzahlungsanspruch entstehen, wenn und weil ein neuer Anlass vorliegt (zu Recht kritisch und ausführlich dazu Kallab/Hauser, EFZG § 2 EFZG Erl 26).

Die Entgeltfortzahlung steht bei einer Dienstverhinderung wegen Berufskrankheit und Arbeitsunfall immer nur pro Anlassfall zu (kurz anders zufolge OGH 9 ObA 13/06m ecolex 2006/403); ein neues Kontingent entsteht auch bei Hineinreichen der Dienstverhinderung in das neue Arbeitsjahr nicht (Holzer/Vinzenz, § 8 AngG Rz 24/5). Es kann lediglich beim Übergang vom 15. in das 16. Dienstjahr zu einer Verlängerung der Entgeltfortzahlungsdauer um zwei Wochen kommen. Abgesehen von der Verlängerung der Entgeltfortzahlungsdauer durch den Senioritätssprung ist der Eintritt des neuen Arbeitsjahres bei Arbeitsunfall und Berufskrankheit irrelevant (Melzer-Azodanloo, Neuerungen bei der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall, in Resch [Hrsg], Aktuelle Änderungen im Arbeitsrecht [2019] 17 [29]).

3.3.
Folgeverhinderung und Arbeitsjahr

Relevant ist der Eintritt in ein neues Arbeitsjahr bei jenen den sogenannten Folgeverhinderungen, dh bei jenen neuerlichen Dienstverhinderungen durch eine Arbeitsunfähigkeit, die medizinisch betrachtet ihre Ursache in vorangehenden Arbeitsunfällen oder Berufskrankheiten aus diesem Arbeitsjahr haben. Für derartige Folgeverhinderungen kommen zwar die Kontingente der Entgeltfortzahlung für Arbeitsunfall und Berufskrankheit zur Anwendung, dh acht (zehn) Wochen Entgeltfortzahlung in voller Höhe pro Anlass, zusätzlich ist allerdings das jeweilige Arbeitsjahr zu berücksichtigen (§ 8 Abs 2a vorletzter Satz AngG, § 2 Abs 5 vorletzter Satz EFZG); Folgeverhinderungen sind demnach nicht allein nach dem Anlassprinzip zu beurteilen. Für einen konkreten Arbeitsunfall oder eine Berufskrankheit und die daraus resultierenden Folgeverhinderungen besteht im vorliegenden Arbeitsjahr zusammen maximal ein Entgeltfortzahlungsanspruch von acht (zehn) Wochen in voller Höhe; dauert eine Folgeverhinderung oder gleich mehrere davon darüber hinaus, besteht kein Anspruch auf Entgeltfortzahlung gegenüber dem:r AG im vorliegenden Arbeitsjahr. Diese Einbeziehung des Arbeitsjahres bei Folgeverhinderung iVm dem Anlassprinzip bei Arbeitsunfall und Berufskrankheit weitergedacht, müssen die Folgeverhinderungen eines Arbeitsunfalls, die erst im nächsten Arbeitsjahr auftreten (zB eine Rehabilitation), wohl ebenfalls zusammen und als Anlass betrachtet werden, sodass wieder ein Entgeltfortzahlungsanspruch von insgesamt und maximal acht (zehn) Wochen besteht (Kallab/Hauser, EFZG § 2 Erl 26).

Kommt es am Übergang vom Arbeitsjahr, in dem der Arbeitsunfall oder die Berufskrankheit eingetreten ist, zu einer echten Folgeverhinderung, dh mit vorangehender Wiederaufnahme der Arbeit, stellt sich die Frage, ob das reine Anlassprinzip zur Anwendung kommt oder das neue Arbeitsjahr entsprechend zu berücksichtigen wäre. Die überwiegende Ansicht kombiniert hier Jahres- und Anlassprinzip: Reicht die Folgeverhinderung vom alten in das neue Arbeitsjahr hinein, so gebührt die Entgeltfortzahlung zunächst für den Rest von jenen acht (zehn) Wochen, die für den konkreten Arbeitsunfall noch nicht verbraucht sind. Wie bei den sonstigen auf das Arbeitsjahr bezogenen Entgeltfortzahlungsansprüchen würde bei einer echten, durchgehenden Folgeverhinderung der Eintritt ins neue Arbeitsjahr jedoch bei Bedarf zum Entstehen eines neuen Anspruchs auf Entgeltfortzahlung führen (Drs in ZellKomm § 8 Rz 99/2, § 2 EFZG Rz 20 mvwH; zur Judikatur siehe oben; zu Wertungswidersprüchen zwischen Dienstverhinderungen, die durchgehen, und solchen, die nach – wenn auch bloß kurzer – Wiederaufnahme der Arbeit auftreten, siehe Kallab/Hauser, EFZG § 2 Erl 26).

4.
Eintritt in das neue Arbeitsjahr in der Beendigungsphase des Dienstverhältnisses

Aufgrund ausdrücklicher gesetzlicher Regelungen ist eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses während einer Dienstverhinderung aufgrund Krankheit oder Unfall grundsätzlich zulässig. Der Gesetzgeber hat mit diesen Regelungen der Tatsache Rechnung getragen, dass die Pflicht, das Entgelt trotz Unterbleiben der Arbeitsleistung fortzuzahlen, eine finanzielle Belastung für den:die AG darstellt. Gleichzeitig muss verhindert werden, dass die Beendigung des Arbeitsverhältnisses während eines Krankenstands für den:die AG völlig folgenlos ist. Bei bestimmten Beendigungsformen – dies betrifft insb die AG-Kündigung, aber mittlerweile auch die einvernehmliche Beendigung – gebührt dem:r AN die Entgeltfortzahlung deshalb ausdrücklich auch über den Endtermin des Arbeitsverhältnisses hinaus; zumindest dann, wenn die Dienstverhinderung über das Ende hinausdauert und der Anspruch auf Entgeltfortzahlung nicht bereits verbraucht ist (§ 9 AngG, § 5 EFZG). Fraglich ist nun, ob und wie der Eintritt eines neuen Arbeitsjahres auch in der Beendigungsphase zu berücksichtigen ist, insb ob das neue Arbeitsjahr neue Entgeltfortzahlungsansprüche entstehen lassen kann; zumindest dann, wenn dies im aufrechten Dienstverhältnis der Fall wäre. Zu unterscheiden ist dabei zuerst, ob das Dienstverhältnis vor oder nach dem Eintritt des neuen Arbeitsjahres zu Ende gegangen ist oder nicht.

4.1.
Endtermin des Arbeitsverhältnisses liegt nach dem Beginn des neuen Arbeitsjahres

Reicht die Dienstverhinderung in das neue Arbeitsjahr hinein und fällt das Ende des Dienstverhältnisses ebenfalls erst in das neue Arbeitsjahr, so entsteht mit dem neuen Arbeitsjahr auch ein neuer Anspruch auf Entgeltfortzahlung; unabhängig davon, ob im Arbeitsjahr davor der Entgeltfortzahlungsanspruch ausgeschöpft worden ist oder nicht (OGH 8 ObA 163/98v ZAS 1999, 167 [Pernkopf ]; OGH 18.3.1999, 8 ObA 215/98w). Dies ergibt sich aus dem Gleichklang mit solchen Konstellationen 285 im aufrechten Arbeitsverhältnis (siehe oben 3.1.). Wie im sonstigen aufrechten Arbeitsverhältnis wird bei Krankheit und Unfall im neuen Arbeitsjahr daher auf den neuen Entgeltfortzahlungsanspruch zurückgegriffen.

Bei Arbeitsunfall und Berufskrankheit spielt nach dem Anlassprinzip das neue Arbeitsjahr und damit auch der Endtermin des Arbeitsverhältnisses eine bloß untergeordnete Rolle (siehe oben 3.2.), sodass für die laufende Dienstverhinderung am Übergang von einem Arbeitsjahr zum anderen lediglich der anlassbezogene Entgeltfortzahlungsanspruch verbraucht werden kann. Käme es kurz nach der laufenden Dienstverhinderung am Übergang vom alten zum neuen Arbeitsjahr, aber noch vor dem Endtermin des Arbeitsverhältnisses und nach einer Wiederaufnahme der Arbeit durch den:die AN im neuen Arbeitsjahr zu einer anderweitigen Dienstverhinderung wegen Arbeitsunfall (Berufskrankheit) oder Folgeverhinderung, so würde dem:r AN wiederum Entgeltfortzahlung für diese Anlässe maximal für acht (zehn) Wochen gebühren.

4.2.
Endtermin des Arbeitsverhältnisses vor Beginn des neuen Arbeitsjahres

Reicht die Dienstverhinderung zwar in ein neues Arbeitsjahr hinein, ist das Dienstverhältnis aber bereits vor dem neuen Arbeitsjahr zu Ende gegangen, so entsteht mit dem sogenannten fiktiven Arbeitsjahr kein neuer Anspruch auf Entgeltfortzahlung, weil ja das Arbeitsverhältnis nicht mehr aufrecht ist (OGH 22.10.2010, 9 ObA 36/10z, OGH 24.11.2010, 9 ObA 139/09w, OGH9 ObA 59/10g DRdA 2011, 453 [Kozak]; anders Drs, Entgeltfortzahlung und Beendigung des Arbeitsverhältnisses, DRdA 2011, 285 und Schimanko, Zur Grenze der Entgeltfortzahlung nach dem EFZG, RdW 2011, 98, auf die sich der OGH in der vorliegenden E bezieht). Ist der – alte – Entgeltfortzahlungsanspruch im Zuge der laufenden Dienstverhinderung oder schon davor erschöpft worden, so besteht für den:die AN daher trotz des neuen Arbeitsjahres kein Entgeltfortzahlungsanspruch mehr.

Ist der alte Anspruch aus dem vorangehenden Arbeitsjahr allerdings noch nicht erschöpft, so kann bei der laufenden Dienstverhinderung, die in das fiktive Arbeitsjahr hineinreicht, der alte Entgeltfortzahlungsanspruch aus dem vorangehenden Arbeitsjahr noch fertig verbraucht werden, obwohl das Arbeitsverhältnis schon zu Ende ist. Das neue Arbeitsjahr bringt zwar keinen eigenen, neuen Anspruch; es verhindert aber nicht, dass der alte Anspruch konsumiert werden kann. Hierin unterscheidet sich die Dienstverhinderung in der Beendigungsphase von der Dienstverhinderung im aufrechten Dienstverhältnis am Übergang von einem Arbeitsjahr in das andere; im aufrechten Dienstverhältnis können nicht ausgeschöpfte Entgeltfortzahlungsansprüche nicht mitgenommen werden. Allerdings entsteht dort mit Beginn des neuen Arbeitsjahres auch ein neuer Anspruch auf Entgeltfortzahlung.

5.
Zusammenfassung

Das Entgeltfortzahlungskontingent für Dienstverhinderungen wegen Krankheit und Unfall kann für das Arbeitsjahr bei aufrechtem Arbeitsverhältnis nur in diesem einen Arbeitsjahr ausgeschöpft werden; ein noch nicht verbrauchter Rest des Kontingents kann nicht in das nächste Arbeitsjahr mitgenommen werden. Die Mitnahme von unverbrauchten Krankenstandszeiten geht auch dann nicht, wenn eine durchgehende Dienstverhinderung wegen Krankheit oder Unfall in das neue Arbeitsjahr hineinreicht.

Ist das Arbeitsverhältnis jedoch vor dem Ende des Arbeitsjahres beendet, dessen Entgeltfortzahlungskontingent aufgrund der Dienstverhinderung wegen Krankheit oder Unfall gerade verbraucht wird, so kann das unverbrauchte Kontingent dieses Arbeitsjahres über die Beendigung hinaus noch in voller Länge ausgeschöpft werden. Auch der Beginn eines fiktiven neuen Arbeitsjahres beendet die Entgeltfortzahlung nicht.