32Verletzung der Arbeitnehmerfreizügigkeit durch Berücksichtigung bloß bei österreichischen Gebietskörperschaften verbrachter Dienstzeiten bei der Abfertigungsberechnung
Verletzung der Arbeitnehmerfreizügigkeit durch Berücksichtigung bloß bei österreichischen Gebietskörperschaften verbrachter Dienstzeiten bei der Abfertigungsberechnung
Die in § 84 Abs 5 VBG für die Abfertigungsberechnung vorgesehene Berücksichtigung von Dienstzeiten nur zu inländischen Gebietskörperschaften verletzt die AN-Freizügigkeit. Die gesetzliche Beschränkung auf inländische Zeiten ist daher unangewendet zu lassen und sind auch in einem anderen Mitgliedstaat bei einer Gebietskörperschaft verbrachte Dienstzeiten zu berücksichtigen.
[1] Die Kl war ab 14.9.1998 bei der Bekl als Vertragslehrerin beschäftigt; zum 31.10.2022 wurde das Dienstverhältnis aufgrund der Inanspruchnahme der Alterspension nach Vollendung des 60. Lebensjahres einverständlich aufgelöst.
[2] Der Berechnung ihres Abfertigungsanspruchs wurden Dienstzeiten von 24 Jahren, einem Monat und 17 Tagen zugrunde gelegt [...].
[3] Die Höhe des Monatsentgelts errechnete sich aufgrund eines Vorrückungsstichtags, für den eine Tätigkeit der Kl als Auslandslektorin am Institut für deutsche Philologie der „staatlichen“ Universität von Santiago de Compostela (Spanien) aufgrund eines „Arbeitsverhältnisses zur staatlichen Verwaltung in Spanien“ [...] als Vordienstzeiten angerechnet worden waren. Für die Berechnung der Abfertigung wurden diese Zeiten von der Bekl jedoch nicht berücksichtigt, weil es sich bei ihrem DG in Spanien nicht um eine inländische Gebietskörperschaft gehandelt habe, sodass die Dienstzeiten in diesem Dienstverhältnis der Dauer des Dienstverhältnisses gem § 84 Abs 5 VBG 1948 nicht zuzurechnen seien.
[4] Die Kl begehrt restliche Abfertigung [...]. § 84 Abs 5 VBG 1948 sei im Lichte von Art 45 AEUV und Art 7 VO (EU) Nr 492/2011 als „Dienstzeiten in Dienstverhältnissen zu einer innereuropäischen (statt inländischen) Gebietskörperschaft“ zu lesen, sodass die Dienstzeit der Kl mehr als 25 Jahre gedauert habe und ihr die Abfertigung in Höhe des Zwölffachen ihres letzten Monatsentgelts zustehe. Das isolierte Abstellen auf Dienstzeiten zu inländischen Gebietskörperschaften sei aufgrund der finanziellen Nachteile beim Abfertigungsanspruch nicht bloß geeignet, die Aufnahme einer unselbstständigen Arbeit in einem anderen Mitgliedstaat zu verhindern, sondern diese Regelung sei „direkt diskriminierend“. [...] 296
[5] Die Bekl bestritt, dass § 84 Abs 5 VBG 1948 aus unionsrechtlichen Gründen die Berücksichtigung von nicht inländischen Dienstzeiten gebiete. Die Abfertigung sei eine Treueprämie, deren Berechnung das Gesetz nach sachlichen Gesichtspunkten im Rahmen des nationalen gesetzgeberischen Gestaltungsspielraums dahin regle, dass es Vordienstzeiten bei AG, die nicht inländische Gebietskörperschaften seien, von der Berücksichtigung ausschließe. [...] Der Dienstvertrag sei mit der Universität Santiago de Compostela geschlossen worden, die eine eigene Rechtspersönlichkeit und keine Gebietskörperschaft sei; ein Vertrag zu einer spanischen Gebietskörperschaft (wie etwa dem spanischen Gesamtstaat/Bund) sei offensichtlich nicht begründet worden. [...]
[6] Das Erstgericht wies die Klage ab. Art 45 AEUV sei zwar grundsätzlich anwendbar, stehe jedoch dem § 84 Abs 5 VBG 1948 nicht entgegen [...]. Die Bestimmung sei mit den (Entgelt-, Fürsorge- und Treue-)Funktionen der Abfertigung vereinbar.
[7] Das Berufungsgericht [...] hob das Urteil des Erstgerichts auf und trug diesem die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung zur in der Berufung einzig noch relevierten Frage der Lektorentätigkeit in Spanien auf. § 84 Abs 5 VBG 1948 sei unionsrechtskonform iS von Art 45 AEUV sowie Art 7 VO (EU) Nr 492/2011 dahin auszulegen, dass auch Zeiten einer Tätigkeit für eine innereuropäische Gebietskörperschaft für den Abfertigungsanspruch zuzurechnen seien; in direkter Anwendung von Art 45 AEUV seien die Rechte von AN von den innerstaatlichen Gerichten zu wahren. Die Ausnahmebestimmung in Art 45 Abs 4 AEUV sei hier nicht anwendbar. Da § 84 Abs 5 VBG 1948 nicht auf die Tätigkeit bei einer einzigen Gebietskörperschaft als DG abstelle, sondern Dienstzeiten in Dienstverhältnissen zu (irgend-)einer inländischen Gebietskörperschaft zuzurechnen seien, verfange das Argument einer Treueprämie nicht. Aus der Feststellung, die Universität von Santiago de Compostela sei „staatlich“ und die Bekl sei in einem Arbeitsverhältnis „zur staatlichen Verwaltung in Spanien“ gestanden, lasse sich aber nicht ableiten, ob die Kl ein Dienstverhältnis zu einer spanischen Gebietskörperschaft eingegangen wäre, was im fortgesetzten Verfahren noch zu klären sei. Zu ergänzen seien auch Feststellungen zur Höhe des Abfertigungsanspruchs.
[8] Das Berufungsgericht ließ den Rekurs an den OGH mangels Rsp zur Frage zu, ob für den Abfertigungsanspruch nach § 84 Abs 5 VBG 1948 auch auf Tätigkeiten bei einer innereuropäischen Gebietskörperschaft abzustellen sei. [...]
[11] Der Rekurs ist aus dem vom Berufungsgericht bezeichneten Grund zulässig. Er ist jedoch nicht berechtigt. [...]
[19] Ein Anspruch auf Abfertigung fällt unter den Begriff des „Entgelts“ iSd Art 157 Abs 2 AEUV, der neben den üblichen Grund- oder Mindestlöhnen und -gehältern auch alle sonstigen Vergütungen umfasst, die der AG dem AN aufgrund von dessen Beschäftigung mittelbar oder unmittelbar in bar oder in Sachleistungen zahlt. Nach der Rsp des EuGH umfasst dieser Begriff alle gegenwärtigen oder künftigen Vergütungen, sofern der AG sie dem AN, sei es auch mittelbar, aufgrund von dessen Beschäftigung gewährt (8 ObA 17/21i Rz 18, unter Hinweis auf EuGH 5.11.2014, C-476/12, ÖGB vs VÖB, sowie 19.9.2013, C-216/12 und C-217/12, Hliddal und Bornand, Rn 41).
[20] [...] Nach Art 45 AEUV ist innerhalb der Union die Freizügigkeit der AN gewährleistet (Abs 1). Sie umfasst die Abschaffung jeder auf der Staatsangehörigkeit beruhenden unterschiedlichen Behandlung der AN der Mitgliedstaaten in Bezug auf Beschäftigung, Entlohnung und sonstige Arbeitsbedingungen (Abs 2). Sie gibt – vorbehaltlich der aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit gerechtfertigten Beschränkungen – den AN das Recht, a) sich um tatsächlich angebotene Stellen zu bewerben; b) sich zu diesem Zweck im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen; c) sich in einem Mitgliedstaat aufzuhalten, um dort nach den für die AN dieses Staats geltenden Rechts- und Verwaltungsvorschriften eine Beschäftigung auszuüben; und d) nach Beendigung einer Beschäftigung im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats unter Bedingungen zu verbleiben, welche die Kommission durch Verordnungen festlegt (Abs 3). Art 45 AEUV findet keine Anwendung auf die Beschäftigung in der öffentlichen Verwaltung (Abs 4). [...]
[23] [...] Eine Vorschrift des nationalen Rechts, wenn sie – obwohl sie ungeachtet der Staatsangehörigkeit anwendbar ist – sich ihrem Wesen nach stärker auf AN, die Staatsangehörige anderer Mitgliedstaaten sind, als auf inländische AN auswirken kann und folglich die Gefahr besteht, dass sie die Erstgenannten besonders benachteiligt, ist als mittelbar diskriminierend anzusehen, sofern sie nicht objektiv gerechtfertigt ist und in angemessenem Verhältnis zum verfolgten Ziel steht (EuGH 13.3.2019, C-437/17, EurothermenResort, Rn 18 f; 23.1.2019, C-272/17, Zyla, Rn 22 ff; 2.3.2017, C-496/15, Eschenbrenner, Rn 35 f; alle mwN). Um eine Maßnahme als mittelbar diskriminierend qualifizieren zu können, muss sie aber nicht bewirken, dass alle Inländer begünstigt werden oder dass unter Ausschluss der Inländer nur die Staatsangehörigen der anderen Mitgliedstaaten benachteiligt werden (EuGH 5.12.2013, C-514/12, SALK, Rn 27 mwN).
[24] [...] Andererseits aber haben in diesem Zusammenhang die Unionsbürger auch das unmittelbar aus dem AEUV abgeleitete Recht, ihren Herkunftsmitgliedstaat zu verlassen, um sich zur Ausübung einer Tätigkeit in das Gebiet eines anderen Mitgliedstaats zu begeben und sich dort aufzuhalten (EuGH 15.12.1995, C-415/93, Bosman, Rn 94 f; 1.4.2008, C-212/06, Gouvernement de la Communauté française und Gouvernement wallon, Rn 44), sodass auch Maßnahmen verboten sind, die geeignet sind, inländische AN, die beabsichtigten, ihren derzeitigen AG zu verlassen, um zu einem AG eines anderen Mitgliedstaats zu wechseln, aber den Wunsch haben, anschließend in den Dienst ihres ersten AG zurückzukehren, hiervon abzuhalten (EuGH 30.9.2003, C-224/01, Köbler, Rn 74; 5.12.2013, C-514/12, SALK, Rn 30 mwN; vgl 13.3.2019, C-437/17, EurothermenResort, Rn 40). 297
[25] [...] Zusammengefasst steht Art 45 AEUV in beiden genannten Aspekten (EuGH 13.3.2019, C-437/17, EurothermenResort, Rn 39) jeder nationalen Maßnahme entgegen, die geeignet ist, die Ausübung der durch diese Vorschrift verbürgten Grundfreiheit durch die Unionsangehörigen zu behindern oder weniger attraktiv zu machen; jede Beeinträchtigung dieser Freiheit, mag sie auch unbedeutend sein, ist verboten (vgl EuGH 18.7.2017, Erzberger, C-566/15, Rn 33; 10.10.2019, C-703/17, Krah, Rn 40 f).
[26] [...] Das Primärrecht der Union kann einem AN jedoch nicht garantieren, dass ein Umzug in einen anderen Mitgliedstaat als seinen Herkunftsmitgliedstaat in sozialer Hinsicht neutral ist, da ein solcher Umzug aufgrund der Unterschiede, die zwischen den Systemen und Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten bestehen, für die betreffende Person je nach Einzelfall Vorteile oder Nachteile in diesem Bereich haben kann (EuGH 13.3.2019, C-437/17, EurothermenResort, Rn 37; 18.7.2017, Erzberger, C-566/15, Rn 34 mwN). Daher verschafft Art 45 AEUV einem Wander-AN nicht das Recht, sich im Aufnahmemitgliedstaat auf die Arbeitsbedingungen zu berufen, die ihm im Herkunftsmitgliedstaat nach den dortigen nationalen Rechtsvorschriften zustanden; es bleibt den Mitgliedstaaten mangels Harmonisierungs- oder Koordinierungsmaßnahmen auf Unionsebene in diesem Bereich grundsätzlich unbenommen, die Anknüpfungskriterien des Anwendungsbereichs ihrer Rechtsvorschriften zu bestimmen, sofern diese Kriterien objektiv und nicht diskriminierend sind (vgl EuGH 18.7.2017, Erzberger, C-566/15, Rn 35 f).
[27] [...] Betrachtet man die hier gegenständlichen Regelungen im Lichte der dargelegten Unionsrechtslage, so liegt evidentermaßen keine unmittelbare Diskriminierung vor, weil sie österreichische und (unions-)ausländische AN unterschiedslos erfasst.
[28] [...] Eine mittelbare Diskriminierung dahin, dass ausländische Wander-AN von der Regelung stärker betroffen wären als Inländer, ist den Feststellungen zwar nicht zu entnehmen, liegt jedoch nahe, weil ausländische öffentlich Bedienstete, die österreichische Vertragsbedienstete werden, regelmäßig weniger Dienstzeiten bei inländischen Gebietskörperschaften zurückgelegt haben werden als die – zudem größere Anzahl an – inländischen öffentlich Bediensteten mit reiner „Inlandskarriere“ (vgl EuGH 30.9.2003, C-224/01, Köbler, Rn 73).
[29] [...] Jedenfalls ist aber im Lichte der Rsp des EuGH die Regelung, nach der für entgeltrelevante Ansprüche im öffentlichen Dienst wie die hier in Rede stehende Abfertigung andere Dienstzeiten als solche bei inländischen Gebietskörperschaften nicht berücksichtigt werden, geeignet, AN eines Mitgliedstaats davon abzuhalten, ihre Freizügigkeit auszuüben, da bei ihrer Rückkehr in den öffentlichen Dienst ihres (Heimat-)Mitgliedstaats ihre gleichartige Tätigkeit in einem anderen Mitgliedstaat nicht honoriert würde (EuGH 30.9.2003, C-224/01, Köbler, Rn 74; vgl auch 5.12.2013, C-514/12, SALK, Rn 30).
[30] [...] Dem kann auch nicht die Überlegung entgegengehalten werden, wie sie Gegenstand des Verfahrens 8 ObA 19/19f = RS0131630 (T1) war (welchem wiederum EuGH 13.3.2019, C-437/17, EurothermenResort, Rn 40, zugrunde lag; vgl auch 27.1.2000, C-190/98, Graf, Rn 25): Dort wurde zu § 2 Abs 1 und § 3 Abs 2 Z 1 und Abs 3 UrlG dafür gehalten, dass diese Regelungen nicht geeignet sind, österreichische AN, die beabsichtigen, ihren derzeitigen – privaten – AG zu verlassen, um zu einem AG eines anderen Mitgliedstaats zu wechseln, aber den Wunsch haben, anschließend in den Dienst ihres ersten AG zurückzukehren, hiervon abzuhalten; dies wurde damit begründet, dass sich solche Überlegungen auf eine Gesamtheit von Umständen stützen, die zu ungewiss und zu indirekt sind, als dass diese Regelungen die AN-Freizügigkeit beeinträchtigen könnten, womit ihnen das Unionsrecht nicht entgegensteht. Der EuGH (13.3.2019, C-437/17, EurothermenResort, Rn 40) machte sich dabei das Argument des Generalanwalts Saugmandsgaard Øe in seinen Schluss anträgen vom 25.7.2018 (Rn 62) zu eigen, wonach der Stellungnahme der österreichischen Regierung folgend es eine übliche Praxis sei, dass ein AN des öffentlichen Sektors zu seiner ursprünglichen Dienststelle zurückkehre, nachdem er zur Verwaltung eines anderen Mitgliedstaats abgeordnet oder freigestellt worden sei, um Berufserfahrung bei einem anderen öffentlichen oder privaten AG zu erwerben, während es hingegen im privaten Sektor weit weniger üblich sei, dass ein AN, der seinen AG gewechselt habe, in sein erstes Unternehmen zurückkehre, um dort seine Karriere fortzusetzen. Die dort zur Bejahung der Unionsrechtskonformität des UrlG führende Überlegung, eine hypothetische Rückkehr hänge vom Zusammentreffen einer Reihe von Bedingungen ab, die der betreffende AN nicht beeinflussen könne, wie der Verfügbarkeit einer Stelle bei seiner Rückkehr und der Entscheidung des AG, ihn statt eines anderen einzustellen, sind daher für eine Lehrtätigkeit im öffentlichen Sektor nicht einschlägig; es hat dabei zu bleiben, dass eine entgeltrelevante Abfertigungsregelung wie hier geeignet ist, einen österreichischen AN davon abzuhalten, seine Freizügigkeit auszuüben. Trotz Anrechnung der im Ausland zugebrachten Dienstzeiten für die Vorrückung bzw die eigentliche Entgelthöhe muss er nämlich dennoch damit rechnen, bei zwischenzeitiger Beschäftigung durch eine ausländische Gebietskörperschaft gegenüber einem bei einer inländischen Gebietskörperschaft verbleibenden DN bei im Übrigen parallelen und deckungsgleichen Karriereverläufen insofern benachteiligt zu werden, als zwar nicht die Bemessungsgrundlage des zumindest auch als Entgelt zu qualifizierenden Abfertigungsanspruchs, sondern dessen zweite Komponente, die Dienstzeit als Multiplikator (vgl 8 ObA 17/21i Rz 30 ff), geringer ausfallen kann, weil – wie hier – die geringeren anrechenbaren Dienstzeiten zu einer geringeren Abfertigung führen. [...]
[32] Die hier fragliche Regelung des § 84 Abs 5 VBG 1948 ist daher im Anwendungsbereich des Unionsrechtes dahin zu lesen, dass Dienstzeiten in Dienstverhältnissen zu einer [...] Gebietskörperschaft 298 der Dauer des Dienstverhältnisses nach § 84 Abs 4 VBG 1948 zuzurechnen sind.
[33] [...] Von der Bekl gegen diesen unionsrechtlich gebotenen Befund ins Treffen geführte Argumente sind nicht stichhältig.
[34] [...] Der EuGH hat sich schon mehrmals mit der Honorierung der Betriebstreue als allfälliger Rechtfertigungsgrund einer Behinderung der AN-Freizügigkeit beschäftigt, dabei die Bindung der AN an ihren AG als ein mögliches Ziel zur Rechtfertigung einer mit einer solchen Regelung verbundenen Beeinträchtigung der AN-Freizügigkeit nicht von vornherein abgelehnt, in diesem Zusammenhang jedoch stets geprüft, ob es sich um eine „echte“ Treueprämie eines AG handelt oder die Honorierung der Treue allenfalls nur ein Nebenaspekt war. So hat der EuGH „Treueprämien“, welche die Tätigkeit für eine „große Zahl von Arbeitgebern“ (EuGH 15.1.1998, C-15/96, Schöning-Kougebetopoulou, Rn 27), eine „Vielzahl rechtlich eigenständiger Arbeitgeber“ ( 30.11.2000, C-195/98, ÖGB, GÖD, Rn 49) bzw eine „Vielzahl potenzieller, dem Land Salzburg zuzurechnender Arbeitgeber“ (5.12.2013, C-514/12, SALK, Rn 38 ff), oder „im Dienststand an österreichischen Universitäten (Hochschulen)“ (30.9.2003, C-224/01, Köbler, Rn 83 ff) berücksichtigen, nicht als geeigneten Rechtfertigungsgrund zur Verwirklichung des Zieles der Bindung an den AG angesehen. Eine „Treueprämie“, die die Tätigkeit für mehrere AG bzw „Dienststellen“, „Betriebe“, „Standorte“ oder gar – wie für den vorliegenden Fall schon das Berufungsgericht zutreffend erkannte – Tätigkeiten bei sämtlichen (tausenden!) Gebietskörperschaften des föderalistisch organisierten österreichischen Staatswesens berücksichtigt, ist somit nach stRsp des EuGH nicht als „echte“ Treueprämie anzusehen; derartige Regelungen sind nicht geeignet, das Interesse eines AG, bestimmte AN zu halten, konkret in Bezug auf eine bestimmte Dienststelle und die dort konkret ausgeübte Tätigkeit zu begründen (vgl zum Ganzen 9 ObA 40/20b mwN) [...].
[35] [...] Nach stRsp des EuGH gilt die Ausnahme in Art 45 Abs 4 AEUV (ex-Art 39 Abs 4 EG-V) nicht für Stellen als Lehrer oder Universitätsprofessor, die zwar dem Staat oder anderen öffentlich-rechtlichen Einrichtungen zuzuordnen sind, jedoch keine Mitwirkung bei der Erfüllung von Aufgaben mit sich bringen, die zur öffentlichen Verwaltung im eigentlichen Sinne gehören (EuGH 10.3.2005, C-178/04, Marhold, Rn 22, mwH auf 30.11.2000, C-195/98, ÖGB, GÖD, Rn 36, und 30.9.2003, C-224/01, Köbler).
[36] [...] Der Senat teilt die erkennbare Auffassung des Berufungsgerichts, wonach die Rechtslage durch jene Rsp im Grundsatz so weit geklärt ist, dass ihre Anwendung auf den konkreten Einzelfall keiner weiteren Befassung des EuGH bedarf. [...]
[49] [...] Der Ansicht des Berufungsgerichts, dass es klärungsbedürftig sei, ob das Dienstverhältnis der Kl bei der Universität von Santiago de Compostela mit einer Gebietskörperschaft bestanden hätte, hat der OGH nicht entgegenzutreten. Dasselbe gilt für die vom Berufungsgericht als notwendig erachtete Ergänzung der Feststellungen zur Höhe des Abfertigungsanspruchs. [...]
1. Die vorliegende E hat vergleichsweise geringe Bedeutung. Zum einen finden die Regelungen zur Abfertigung alt nach § 84 Abs 1 VBG grundsätzlich nur noch auf manche Vertragsbedienstete Anwendung, deren Dienstverhältnis vor dem 1.1.2023 zu laufen begonnen hat. Bei danach begründeten Dienstverhältnissen kann das alte Abfertigungsrecht nach Abs 1 Z 5 leg cit ausnahmsweise (nur) dann noch zur Anwendung gelangen, wenn Zeiten aus einem früheren Dienstverhältnis zu einer inländischen Gebietskörperschaft für die Vorrückung angerechnet wurden, und wenn bei Beendigung dieses früheren Dienstverhältnisses aus einem anderen Grund als einer abfertigungsfeindlichen Auflösung iSd Abs 2 leg cit keine Abfertigung gebührte (oder diese rückerstattet wurde). Der nur noch beschränkte Anwendungsbereich des alten Abfertigungsrechts wird auch dadurch deutlich, dass sich die Bestimmungen in Abschnitt VIII des VBG unter der Marginalrubrik „Übergangsbestimmungen“ finden.
2. Zum anderen hat die E aber auch insoweit nur geringe Bedeutung, als sie bloß anerkannte Grundsätze zur AN-Freizügigkeit bestätigt, die auf gesicherter EuGH-Judikatur beruhen. Dass die in § 84 Abs 5 VBG vorgesehene Berücksichtigung von Dienstzeiten nur zu inländischen Gebietskörperschaften für die Abfertigungsberechnung die AN-Freizügigkeit verletzt, ist offenkundig. Insofern verwundert es, dass der OGH seine Anrufung zugelassen hat. Zwar fehlte es bislang an höchstgerichtlicher Rsp zur Frage, ob für den Abfertigungsanspruch nach § 84 Abs 5 VBG (über den Gesetzeswortlaut hinausgehend) auch Vordienstzeiten zu berücksichtigen sind, die bei Gebietskörperschaften in einem anderen Mitgliedstaat verbracht wurden. Allerdings liegt schon dann keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 ZPO vor, wenn die Frage anhand der sonst vorhandenen Judikatur eindeutig lösbar ist. Dass aber die Abfertigungswirksamkeit nur bei österreichischen Gebietskörperschaften verbrachter Zeiten die AN-Freizügigkeit verletzt (und mangels Einschränkung auf bestimmte Dienststellen auch nicht als Treueprämie gerechtfertigt werden kann), entspricht den höchstgerichtlich abgesicherten Grundsätzen zur AN-Freizügigkeit (zB EuGH 30.11.2000, C-195/98, ÖGB; EuGH 5.12.2013, C-514/12, SALK; EuGH 30.9.2003, C-224/01, Köbler; vgl auch OGH 20.9.2020, 9 ObA 40/20b). Gleiches gilt für die Unanwendbarkeit der Ausnahme in Art 45 Abs 4 AEUV, die nur die Hoheitsverwaltung im engeren Sinn umfasst (zB EuGH 10.3.2005, C-178/04, Marhold; EuGH 30.11.2000, C-195/98, ÖGB, GÖD) und daher für die jetzt gegenständliche Lehrtätigkeit an einer Universität nicht einschlägig ist. Schließlich ist ausreichend durch höchstgerichtliche Rsp abgesichert, dass die AN-Freizügigkeit unmittelbar anwendbar ist sowie widersprechendes nationales Recht verdrängt, und dass auch in Bezug auf Auslandstätigkeiten die Voraussetzung der Tätigkeit zu einer Gebietskörperschaft nach innerstaatlichem Recht zu beurteilen ist (EuGH 12.3.1998, C-187/96, Kommission vs Griechenland 299 ; OGH 30.9.2009, 9 ObA 19/09y). Vor diesem Hintergrund hat der OGH eine Vorlage an den EuGH zu Recht mit der Begründung abgelehnt, dass die maßgebliche Rechtslage durch einschlägige EuGH-Judikatur so weit geklärt ist, dass ihre Anwendung auf den konkreten Einzelfall keiner weiteren Befassung des EuGH bedarf. Aus dem gleichen Grund erscheint aber wie gesagt auch die Zulässigkeit des Revisionsrekurses an den OGH zweifelhaft und wäre die Nichtzulassung jedenfalls gut vertretbar gewesen.
3. Wenig überraschend hat der OGH dem Rekurs keine Folge gegeben und konnte der Gerichtshof die Begründung lehrbuchartig auf gesicherte Grundsätze zur AN-Freizügigkeit stützen: Zwar bewirkt die im Gesetz vorgesehene Berücksichtigung bloß bei inländischen Gebietskörperschaften verbrachter Dienstzeiten keine unmittelbare Benachteiligung nach der Staatsangehörigkeit, es liegt aber eine mittelbare Benachteiligung wegen der Staatsangehörigkeit nahe. Die Frage der mittelbaren Benachteiligung konnte der OGH aber offenlassen, weil die gesetzliche Regelung jedenfalls eine Beschränkung der AN-Freizügigkeit bewirkt: Vertragsbedienstete werden potentiell davon abgehalten, vorübergehend in der Verwaltung eines anderen Mitgliedstaates tätig zu sein und danach wieder in den österreichischen öffentlichen Dienst zurückzukehren. Damit liegt ein Eingriff in die AN-Freizügigkeit vor, welcher der Rechtfertigung bedarf. Die potentielle Rechtfertigung der Belohnung der Betriebstreue (ein anderer Rechtfertigungsgrund ist nicht ersichtlich) musste allerdings scheitern, weil sie im Ergebnis auf eine Belohnung für einen Verbleib im österreichischen öffentlichen Dienst insgesamt hinausläuft (und nicht auf eine Belohnung für den Verbleib bei einer bestimmten Dienststelle); sohin auf eine Abschottung des österreichischen öffentlichen Dienstes, was mit der AN-Freizügigkeit dem Grunde nach nicht vereinbar ist.
4. Das Unionsrecht sichert somit für weite Teile des öffentlichen Dienstes die Freizügigkeit des grenzüberschreitenden DG-Wechsels. Insofern ergänzt sie das früher im Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) ausdrückliche verankerte Homogenitätsgebot, das innerstaatlich die Freizügigkeit zum Dienstwechsel zwischen den Gebietskörperschaften gegen Behinderungen durch zu starke Unterschiede im Dienstrecht absichert. Nach Art 21 Abs 1 Satz 2 B-VG idF BGBl 1974/444 durfte das Dienstrecht der Länder von jenem des Bundes nicht in einem Ausmaß abweichen, dass der gem Abs 4 leg cit vorgesehene Wechsel des Dienstes wesentlich behindert wird. Die B-VG-Novelle 1999 (BGBl I 1999/8) hat das Homogenitätsgebot zwar aufgehoben; der VfGH hält in seiner Rsp aber weiter daran fest, dass eine Bindung des Landes- und Bundesgesetzgebers bei Regelung des Dienstrechts an Strukturprinzipien des Bundesdienstrechts besteht (vgl zB VfGH 10.10.2002, B 913/02; VfGH 14.10.2005, G 67/05).