98Verstoß gegen das Privilegierungsverbot: Rückforderungsanspruch gegen das freigestellte Betriebsratsmitglied
Verstoß gegen das Privilegierungsverbot: Rückforderungsanspruch gegen das freigestellte Betriebsratsmitglied
Leistungen des Betriebsinhabers an das Betriebsratsmitglied, die gegen das Privilegierungsverbot verstoßen, können von ihm nicht nur pro futuro eingestellt, sondern auch für in der Vergangenheit geleistete Zahlungen zurückgefordert werden.
Der Bekl war ab 1978 bei der Kl beschäftigt. Ab 1998 war er freigestelltes Betriebsratsmitglied, ab 2004 freigestellter Vorsitzender des Angestellten-BR des kaufmännisch-technischen Personals. 2009 verdiente der Bekl ca € 5.600,- brutto monatlich, dies 14-mal jährlich, zusätzlich erhielt er aus seiner Tätigkeit als AN-Vertreter im Aufsichtsrat der * € 15.000,- jährlich.
Im April 2009 wurden im Zuge des bevorstehenden Verkaufs der Kl an die *AG bei der Kl umfangreiche Sparmaßnahmen beschlossen.
Mitte 2009 trafen die drei freigestellten Betriebsratsmitglieder (der Bekl und seine beiden Stellvertreter) und der damalige Vorstand der Kl eine „Vereinbarung über die Einstufung der Position Freigestellter Betriebsrat – A* AG – kaufmännisches und technisches Personal“ („Grundsatzvereinbarung“), wonach dem Vorsitzenden des BR mit Freistellung ua ein monatliches Bruttogehalt in Höhe von € 10.300,- zustehe, es sei denn, es stehe aus einer anderen Funktion ein höheres Gehalt zu.
Am 22.12.2009 schloss die Kl mit den drei freigestellten Betriebsratsmitgliedern Zusatzvereinbarungen zu ihren Dienstverträgen, durch die ua deren Gehälter rückwirkend zum 1.10.2009 auf die in der Grundsatzvereinbarung genannten Beträge für die Zeit ihrer Betriebsratstätigkeit angepasst wurden. Demnach gebührte dem Bekl zusätzlich zu seinem Grundgehalt in Höhe von € 5.789,91 eine Verwendungszulage in Höhe von € 4.510,09 sowie eine monatliche Kilometergeldpauschale in Höhe von € 220,-.
Diese Vereinbarungen erfolgten, weil der Bekl sowie die beiden anderen freigestellten Betriebsratsmitglieder der Ansicht waren, dass ihre bisherige Entlohnung zu niedrig war. Der damalige Vorstand der Kl teilte diese Ansicht.
Nach einer Neubesetzung des Vorstands wurden die Bezüge des Bekl sowie seiner beiden Stellvertreter jedoch wieder gekürzt, wogegen alle drei Klage auf die jeweiligen Entgeltdifferenzen erhoben.
Nach Einholung eines Rechtsgutachtens durch die Kl sowie einer von ihr beauftragten Untersuchung der Vereinbarungen aus dem Jahr 2009 durch die * unterzeichneten am * 2012 die drei freigestellten Betriebsratsmitglieder, somit der Bekl und seine beiden Stellvertreter, und der (neue) Vorstand der Kl eine „Gemeinsame Erklärung“, wonach die „Grundsatzvereinbarung“ von der Kl widerrufen wurde, eine neue Richtlinie ausgelobt sowie neue Zusatzvereinbarungen zum Dienstvertrag mit den drei unterzeichnenden Mitgliedern des BR abgeschlossen wurden. Nach der neuen Richtlinie sollte die Vergütungslogik für freigestellte Betriebsräte iS einer Festlegung einer fiktiven Karriere zur Anwendung kommen. Mit der weiters zwischen den Streitteilen abgeschlossenen Zusatzvereinbarung zum Dienstvertrag wurde für die Dauer der Freistellung als Vorsitzender des BR mit dem Bekl ein Bruttomonatsgesamtbezug in Höhe von € 10.661,- 14-mal jährlich sowie eine Kilometergeldpauschale in Höhe von € 220,- 12-mal jährlich vereinbart. Ausdrücklich vereinbart wurde, dass dieser Bruttomonatsgesamtbezug im Hinblick auf die mit der Tätigkeit als freigestelltes Mitglied des BR verbundene mögliche Beeinträchtigung der Karrieremöglichkeiten im Betrieb festgesetzt werde, dieser solle eine allenfalls damit verbundene Benachteiligung iSd § 115 ArbVG ausgleichen. Nach Ende der Freistellung werde der DN auf das Endgehalt der Verwendungsgruppe 8 nach dem anzuwendenden KollV eingestuft. In den gerichtlich anhängigen Verfahren wurde „Ruhen“ vereinbart und die einbehaltenen Bezüge nachgezahlt.
Ab Mai 2020 war der Bekl nicht mehr freigestellter Betriebsratsvorsitzender, sondern in der Abteilung * als *, eingestuft in Verwendungsgruppe 7, Stufe 9, mit einem Bruttogehalt in Höhe von € 6.446,61 (14x jährlich) beschäftigt.
Die Kl begehrt mit ihrer Klage € 192.243,77 brutto sA sowie die Feststellung, dass der Bekl einen Anspruch auf ein monatliches Bruttogehalt von nicht mehr als € 6.446,61 habe. Die Kl habe im April 2009 im Zuge des bevorstehenden Verkaufs an die * AG umfangreiche Einsparungsmaßnahmen beschlossen, anlässlich derer die damals drei freigestellten Betriebsratsmitglieder, darunter auch der Bekl, mit dem damaligen Vorstand eine (eingangs wiedergegebene) Grundsatzvereinbarung getroffen hätten, wodurch sich eine deutlich überhöhte Gehaltszahlung im Ausmaß von 240 88 % für den Bekl ergeben habe. Es sei von einem kollusiven Zusammenwirken mit dem damaligen Vorstand auszugehen. Nach einem Vorstandswechsel der Kl sei festgestellt worden, dass der Bekl (und seine Stellvertreter) diese überhöhten Bezüge von zuletzt € 12.056,27 genossen hätten, wodurch gegen das betriebsverfassungsrechtliche Privilegierungsverbot nach § 115 ArbVG verstoßen worden sei, weil er bei einem fiktiven Karriereverlauf und wohlwollender Betrachtung nur Anspruch auf € 6.446,61 gehabt hätte. Aufgrund der somit absolut nichtigen Vereinbarungen werde die rechtsgrundlos geleistete Gehaltsdifferenz zwischen fiktivem Karriereverlauf und den tatsächlichen Bezügen im nicht verjährten Umfang zurückgefordert. Einen gutgläubigen Verbrauch könne der Bekl deshalb nicht einwenden, weil er spätestens 2012 auch die Rechtsberatung durch einen renommierten Rechtsanwalt in Anspruch genommen habe und mit dem Ergebnis der Gutachten der damaligen Rechtsberater der Kl konfrontiert worden sei.
Das Erstgericht wies das Zahlungsbegehren mit Teilurteil ab. Das behauptete kollusive Zusammenwirken zwischen dem damaligen Vorstand der Kl und dem Bekl sei im Beweisverfahren nicht hervorgekommen. Eine Rückforderbarkeit aufgrund einer absolut nichtigen Vereinbarung, die gegen zum Schutz der Belegschaft dienende Normen verstoße, sei a priori nicht ausgeschlossen, allerdings habe der Bekl nicht erkennen können, dass die an ihn geleisteten Zahlungen allenfalls dem Privilegierungsverbot (§§ 115 bis 117 ArbVG) widersprochen hätten, es liege ein gutgläubiger Verbrauch vor.
Das Berufungsgericht hob über Berufung der Kl das Urteil auf und verwies die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurück. Das Berufungsgericht bejahte grundsätzlich die Rückforderbarkeit des zu viel Bezahlten bei Verletzung des Privilegierungsverbots unter Zugrundelegung der bisherigen Rsp zur zulässigen Anpassung pro futuro. Es fehlten dem Ersturteil jedoch Feststellungen zum fiktiven Karriereverlauf des Bekl.
Den Rekurs an den OGH ließ das Berufungsgericht zu, weil zur Frage der Rückforderbarkeit des an ein Betriebsratsmitglied wegen Verletzung des Privilegierungsverbots nach § 115 ArbVG zu viel Bezahlten noch keine Rsp des OGH vorliege. […]
Der Rekurs ist zur Klarstellung zulässig, er ist allerdings nicht berechtigt.
[…]
[19] Für den Fall, dass sich im weiteren Verfahren tatsächlich ein Verstoß gegen das Privilegierungsverbot herausstellen sollte, ist zur Frage der Rückforderbarkeit von nach § 115 ArbVG zu viel Bezahltem nach der derzeitigen Aktenlage Folgendes auszuführen:
I. Zum Benachteiligungs- und Privilegierungsverbot
[20] 1.1. Gem § 115 Abs 1 ArbVG ist das Mandat des Betriebsratsmitglieds ein Ehrenamt, das – soweit nicht anderes bestimmt wird – neben den Berufspflichten auszuüben ist. Die Mitglieder des BR dürfen in der Ausübung ihrer Tätigkeit nicht beschränkt und wegen dieser, insb hinsichtlich des Entgelts, der Aufstiegsmöglichkeiten und betrieblicher Schulungs- und Umschulungsmaßnahmen, nicht benachteiligt werden. Durch das Beschränkungs- und Benachteiligungsverbot des § 115 Abs 1 ArbVG soll einerseits verhindert werden, dass der BI Mitglieder des BR in der Ausübung ihrer Tätigkeit einschränkt und damit die Interessenvertretungsaufgabe erschwert oder unmöglich macht. Andererseits wird dem BI untersagt, jene AN, die ein BR-Mandat haben, hinsichtlich ihrer Arbeitsbedingungen zu benachteiligen, um sie dadurch für ihr Eintreten für die Interessen der Arbeitnehmer des Betriebs zu „bestrafen“ bzw andere AN davon abzuhalten, in Hinkunft die Aufgaben eines Betriebsratsmitglieds zu übernehmen (9 ObA 53/24w Rz 20; Schneller in Gahleitner/Mosler, Arbeitsverfassungsrecht6 § 115 ArbVG, Rz 29; vgl auch Köck, „Fiktive Karriere“ und andere Sonderprobleme der dauernden Freistellung von Betriebsratsmitgliedern, ZAS 2020/35, 210 [211]).
[21] 1.2. Das Betriebsratsmitglied darf aber aus dem Mandat auch keinen Vorteil ziehen („Privilegierungsverbot“; vgl RS0051303, RS0051326). Das Gebot der Ehrenamtlichkeit soll einerseits den Anschein der Käuflichkeit der Betriebsratsmitglieder und deren Entfremdung von der Belegschaft vermeiden; andererseits sichert es die Unabhängigkeit der Betriebsratsmitglieder (Resch in Jabornegg/Resch/Födermayr, ArbVG § 115 Rz 11 ff [Stand: 1.4.2021, rdb.at]). Schutzobjekt der Ehrenamtlichkeit ist die Belegschaft und ihr Anspruch auf eine vom BI unbeeinflusste Interessenvertretung (9 ObA 133/12t Punkt 1.2).
[22] 1.3.1. Gem § 117 Abs 1 ArbVG ist den freigestellten Betriebsratsmitgliedern das Entgelt fortzuzahlen. Die Höhe dieses Entgelts richtet sich danach, was das Betriebsratsmitglied verdient hätte, wenn es während dieser Zeit gearbeitet hätte. Es gilt daher das Ausfallsprinzip. Zu ersetzen ist nur der mutmaßliche Verdienst. Dieser umfasst das, was der betreffende AN, hätte er nicht eine die Freistellung erfordernde Betriebsratsfunktion bekleidet, nach dem gewöhnlichen Verlauf der Dinge – also mit überwiegender Wahrscheinlichkeit – weiterhin bezogen hätte (9 ObA 53/24w Rz 22; 9 ObA 10/21t Rz 5; 9 ObA 1/91; Mosler in Neumayr/Reissner, ZellKomm3 § 117 ArbVG Rz 21; Resch in Jabornegg/Resch/Födermayr, ArbVG § 117 Rz 45).
[23] 1.3.2. Dieses Prinzip gilt auch für die Ermittlung des mutmaßlichen Verdienstes eines länger freigestellten Betriebsratsmitglieds und dessen festzustellender mutmaßlicher betrieblicher Karriere bei länger andauernder Freistellung. Der Karriereverlauf ist anhand von AN, die mit dem Betriebsratsmitglied vor dessen Freistellung weitgehend vergleichbar waren, zu fingieren. Auch der fiktive Karriereverlauf muss überwiegend wahrscheinlich sein, also einer typischerweise241 verlaufenden betrieblichen „Durchschnittskarriere“ entsprechen. Vergleichsgruppe sind daher nicht andere freigestellte Betriebsräte, sondern AN ohne Freistellung. Verglichen wird mit dem durchschnittlichen Karriereverlauf von Nichtbetriebsratsmitgliedern. Dies entspricht dem Beschränkungs- und Benachteiligungs- wie dem Privilegierungsverbot. Betriebsratsmitglieder dürfen hinsichtlich des Entgelts und der Aufstiegsmöglichkeiten nicht benachteiligt werden. Andererseits ist aber auch eine höhere bzw günstigere Entgeltfortzahlung für die Betriebsratstätigkeit im Hinblick darauf unzulässig, dass die Zuwendung jeglicher materieller Vorteile aus dem Anlass der Betriebsratstätigkeit rechtswidrig ist (zuletzt 9 ObA 53/24w Rz 23 f mwN).
[…]
[39] 2.2. Der Senat vertritt die Rechtsansicht, dass gegen das Privilegierungsverbot verstoßende gewährte Leistungen aus folgenden Gründen vom BI nicht nur pro futuro eingestellt, sondern auch für in der Vergangenheit geleistete Zahlungen zurückgefordert werden können:
[40] 2.2.1. Die Kondiktion bei verbotenen und sittenwidrigen Verträgen (§ 879 ABGB) erfolgt nach § 877 ABGB. Die Nichtigkeit des Vertrags führt dazu, dass die Causa für die Vermögensverschiebung wegfällt, was grundsätzlich zur Rückabwicklung des nichtigen Rechtsgeschäfts gem § 877 ABGB führt (RS0016325 [T11]; 9 Ob 40/18z, 4 Ob 10/19b je mwN). Die Rechtsfolgen der Rückabwicklung nach § 877 ABGB entsprechen jenen der §§ 1431 und 1437 ABGB (8 Ob 130/07m; RS0016325 [T10]; Bollenberger/Bydlinski in KBB7 § 877 ABGB Rz 3).
[41] 2.2.2. Nach Lehre und Rsp ist für die Rückabwicklung aber auch der Verbotszweck zu beachten: Bei der bereicherungsrechtlichen Rückabwicklung der Leistungen aus einem gemäß § 879 ABGB nichtigen Rechtsgeschäft ist auf den Zweck der verletzten Norm, die die Ungültigkeit des Geschäfts bewirkt, Bedacht zu nehmen (RS0016325). Will das Verbotsgesetz nur die Entstehung durchsetzbarer Verpflichtungen verhindern, ohne eine tatsächlich vorgenommene Vermögensverschiebung zu missbilligen, so begründet die Nichtigkeit für sich allein keinen Rückforderungsanspruch (RS0016325 [T2]; siehe auch Bollenberger/Bydlinski in KBB7 § 877 ABGB Rz 2; Pletzer in Kletečka/Schauer, ABGB-ON1.03 § 877 Rz 6 mwN; Rummel in Rummel/Lukas, ABGB4 § 877 Rz 2 mwN). Ob das aufgrund eines nichtigen Vertrags Erhaltene zurückzugeben ist, entscheidet daher der Zweck der verletzten Norm (RS0016325 [T7; T11]).
[42] 2.2.3. Wie bereits ausgeführt, soll das Gebot der Ehrenamtlichkeit des Betriebsratsmandats einerseits den Anschein der Käuflichkeit der Betriebsratsmitglieder und andererseits die Entfremdung von der Belegschaft vermeiden; zudem sichert es die Unabhängigkeit der Betriebsratsmitglieder. Schutzobjekt der Ehrenamtlichkeit ist die Belegschaft und ihr Anspruch auf eine vom BI unbeeinflusste Interessenvertretung (9 ObA 133/12t Pkt 1.2). Es würde der Schutzzweck der Bestimmungen über das Privilegierungsverbot aber gerade dadurch unterlaufen werden, wenn zu viel bezahltes Entgelt nicht zurückgefordert werden könnte. Auf die Nichtigkeit kann sich auch der Vertragspartner berufen, der diese bei Vertragsabschluss gekannt hat, weil anders der Zweck solcher Verbotsnormen kaum zu erreichen wäre (RS0016432 [T2; T15]; vgl auch 8 Ob 28/14x Pkt 3.; Bollenberger/Bydlinski in KBB7 § 879 ABGB Rz 27 mwN; Krejci in Rummel/Lukas, ABGB4 § 879 Rz 513; Graf in Kletečka/Schauer, ABGB-ON1.06 § 879 Rz 5; Riedler in Schwimann/Kodek ABGB5 V § 879 Rz 46).
[43] Wie Resch (in Jabornegg/Resch/Födermayr, ArbVG § 115 Rz 32) richtig anmerkt, geht es dabei auch gar nicht vorrangig um den Schutz des BI oder des einzelnen Betriebsratsmitglieds, sondern um die Belegschaft als das vorrangige Schutzobjekt des Gesetzgebers. Eine Rückforderbarkeit besteht aber aufgrund der Rückabwicklung des absolut nichtigen Rechtsgeschäfts lediglich zwischen den beiden Vertragspartnern.
[44] 2.2.4. Der Fall, dass beide Vertragsparteien über einen fiktiven Karriereverlauf irren, liegt nach den bisher getroffenen Feststellungen nicht vor. Ob in einem solchen Fall aufgrund des Schutzzwecks eine absolute Nichtigkeit ex tunc vorläge, kann dahingestellt bleiben.
[45] 2.2.5. Den Ausführungen des Rekurses, wonach die Bejahung einer Rückforderung gerade zu einer beeinflussbaren und keinesfalls unabhängig agierenden Belegschaftsvertretung führe, weil diese (mit Ausnahme eines kollusiven Verhaltens) befürchten müsse, erhaltenes Entgelt zurückzahlen zu müssen, ist zu entgegnen, dass die Frage der Rückforderbarkeit als Folge einer absoluten Nichtigkeit von der Frage des gutgläubigen Verbrauchs zu trennen ist. Schutzzweck des § 115 ArbVG ist zudem nicht nur, dass der BI sich „seinen“ BR nicht „erkaufen“ können soll, sondern auch die Verhinderung der Entfremdung von der Belegschaft.
[46] 2.2.6. Der nunmehr im Rekurs erhobene Einwand, wonach eine Rückforderung gegen Treu und Glauben verstoße sowie sittenwidrig und rechtsmissbräuchlich sei, verstößt gegen das Neuerungsverbot (RS0042025).
[47] III. Da somit grundsätzlich die Möglichkeit einer Rückforderbarkeit von gegen das Privilegierungsverbot verstoßende Zahlungen zu bejahen ist, ist das Verfahren hinsichtlich des fiktiven durchschnittlichen Karriereverlaufs, zu dem das Erstgericht keine Feststellungen getroffen hat, jedenfalls ergänzungsbedürftig. Schon aus diesem Grund hat es bei der Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils zu bleiben.
[…]
Gem § 115 Abs 1 ArbVG ist das Betriebsratsmandat ein Ehrenamt, das grundsätzlich neben der beruflichen Tätigkeit auszuüben ist. Ehrenamtlichkeit bedeutet vor allem, dass das Betriebsratsmitglied aus seinem Mandat keine Vorteile ziehen darf. Es besteht ein striktes Bevorzugungsverbot, die Betriebsratstätigkeit242 ist unentgeltlich auszuüben. Das Betriebsratsmitglied hat lediglich Anspruch auf das Entgelt aus seiner eigentlichen Tätigkeit, jegliche Zuwendung für die Betriebsratstätigkeit (bspw eine „Funktions-“, „Verwendungs-“ oder „Betriebsratszulage“) ist unzulässig. Diese Vorgabe verfolgt den Zweck, jede Beeinflussung des Betriebsratsmitglieds durch den Betriebsinhaber (BI) zu unterbinden. Weiters soll verhindert werden, dass sich der BR von der Belegschaft entfremdet und die Vertrauensbasis verloren geht. Der BI ist gem § 72 ArbVG nur verpflichtet, dem Betriebsratskollegium die für seine Tätigkeiten notwendigen Sachmittel zur Verfügung zu stellen (zB Büro, Computer, Telefon, PKW bei erhöhter Reisetätigkeit, eine Schreibkraft bei entsprechender Belegschaftsgröße). Für die Geschäftsführungskosten des BR (dazu zählt bspw auch der Ersatz von Reisekosten) hat demgegenüber der Betriebsratsfonds aufzukommen.
Die Aufgabenbereiche des BR sind durch das ArbVG vorgezeichnet und können speziell in größeren Betrieben zeitlich sehr anspruchsvoll sein. Darum sieht § 117 Abs 1 ArbVG als Ausnahmebestimmung vor, dass in Betrieben ab 151 AN ein Betriebsratsmitglied von seiner Arbeit zur Gänze freizustellen ist, um sich ausschließlich den Betriebsratsaufgaben zu widmen. Die Anzahl der Freistellungen erhöht sich abhängig von der Betriebsgröße. Darüber, welches Mitglied freigestellt wird, entscheidet der BR mit einem so genannten „Freistellungsbeschluss“. Zweck der Freistellung ist die Möglichkeit, die zahlreichen Betriebsratsaufgaben vollständig und ordnungsgemäß wahrnehmen zu können. Wenngleich dies gesetzlich nicht vorgesehen ist, wird in der Praxis allem voran der Betriebsratsvorsitzende freigestellt.
Freistellungen erstrecken sich oft über Jahre bis Jahrzehnte. Das Betriebsratsmitglied geht in dieser Zeit seiner eigentlichen Tätigkeit nicht nach und durchläuft damit auch keine innerbetriebliche Karriere, dh es bewirbt sich im Regelfall auf keine ausgeschriebenen, höherwertigen Tätigkeiten und steigt hierarchisch auch anderweitig nicht auf (zB vom Facharbeiter zum Gruppen- oder Abteilungsleiter). § 115 Abs 1 ArbVG beinhaltet nicht nur ein Bevorzugungs-, sondern auch ein Benachteiligungsverbot. Das Betriebsratsmitglied darf ua beim gebührenden Entgelt nicht deshalb benachteiligt werden, weil es freigestellt ist. Der Entgeltanspruch richtet sich nach dem Ausfallsprinzip, dh das Betriebsratsmitglied ist während der Freistellung so zu bezahlen, als würde es seiner eigentlichen Tätigkeit nachgehen.
Dieser Umstand verlangt vom BI und dem Betriebsratsmitglied, seine innerbetriebliche Laufbahn fiktiv nachzuzeichnen, um ihm jenes Entgelt gewähren zu können, das er aller Voraussicht nach über die Jahre verdient hätte, wäre er kein freigestelltes Betriebsratsmitglied gewesen. Dabei sind vor allem auch allfällige Aufstiegsmöglichkeiten, die zu einem höheren Entgelt geführt hätten, zu berücksichtigen – ein Unterfangen, das sich in der betrieblichen Praxis als sehr herausfordernd darstellen kann, da rückblickend kaum jemand mit Sicherheit weiß, wie die betriebliche Karriere tatsächlich ausgesehen hätte. Man muss daher jenen Karriereverlauf finden und dem Entgeltanspruch zugrunde legen, der zumindest überwiegend wahrscheinlich ist.
Bei der Prüfung der fiktiven Karriere ist nicht auf jene anderer freigestellter Betriebsratsmitglieder abzustellen, sondern auf jene AN im Betrieb, die mit dem Betriebsratsmitglied vor dessen Freistellung weitgehend vergleichbar waren.
Im vorliegenden Fall ist letztlich zu Tage getreten, dass ein solcher Vergleich nicht angestellt wurde, sondern das freigestellte Betriebsratsmitglied über Jahre hinweg ein weit höheres Entgelt erhalten hat als ihm eigentlich zugestanden wäre. Dabei sind die Parteien dieser Vereinbarung offenbar bewusst vorgegangen, da die Gerichte einen Irrtum ausgeschlossen haben. Dies führt zu einem Verstoß gegen das Privilegierungsverbot des § 115 Abs 1 ArbVG, mit der Konsequenz, dass die Vereinbarung als nichtig anzusehen ist. Die Nichtigkeit erklärt sich neben § 115 Abs 1 ArbVG weiters aus dem Umstand, dass das Arbeitsverfassungsrecht nach überzeugender, herrschender Ansicht absolut zwingend ist und davon abweichende Vereinbarungen unter keinen Umständen erlaubt sind.
Fraglich war zunächst, ob der rechtswidrige Überbezug nur für die Zukunft nach unten korrigiert werden darf, oder ob zusätzlich auch das zu viel erhaltene Entgelt vom Betriebsratsmitglied zurück zu zahlen ist. Der OGH bejahte im konkreten Fall eine Rückforderung für die vergangenen, nicht verjährten Zeiträume. Das Prinzip der Ehrenamtlichkeit gebiete es, jeglichen Anschein der Käuflichkeit des Betriebsratsmitglieds zu vermeiden, weshalb es mit dem Schutzzweck der Norm unvereinbar wäre, wenn das Betriebsratsmitglied wissentlich zu viel bezogenes Entgelt dennoch behalten dürfte. Der OGH ließ dabei ausdrücklich offen, ob eine andere Sichtweise geboten sein könnte, wenn sich die Parteien in Bezug auf den fiktiven Karriereverlauf und die Entgelthöhe schlicht geirrt, also kein bewusst rechtswidriges Verhalten gesetzt hätten.
Weiters entschied das Höchstgericht, dass das Rückforderungsrecht dem BI zukommt. Die Lehrmeinung von Mathy (Die Behandlung unzulässiger Zuwendungen des Betriebsinhabers an das Betriebsratsmitglied – Leistungskondiktion des BI oder Herausgabeanspruch des Betriebsratsfonds? in Felten/Trost [Hrsg], 50 Jahre Institut für Arbeitsrecht und Sozialrecht der Johannes Kepler Universität Linz [2017] 51 ff), der einen Herausgabeanspruch des Betriebsratsfonds vertritt, wurde mit der Begründung abgelehnt, dass die Rückforderbarkeit ausschließlich zwischen den Vertragspartnern bestehen könne und der Betriebsratsfonds kein Partner der Vereinbarung 243 zwischen Betriebsratsmitglied und BI sei. Nach zivilrechtlichen Grundsätzen kann sich auch der Vertragspartner auf die Nichtigkeit berufen, der diese beim Abschluss der Vereinbarung gekannt hat. Das bedeutet, dass der BI zur Rückforderung des Entgelts berechtigt ist, obwohl er selbst (oder seine Vorgänger) die rechtswidrige Vereinbarung mit dem Betriebsratsmitglied getroffen hat.
Letztlich wurde wegen fehlender erstgerichtlicher Feststellungen offengelassen, ob das Betriebsratsmitglied erfolgreich einwenden kann, die zu viel erhaltenen Entgelte gutgläubig verbraucht zu haben. Nach der Rsp muss der AN irrtümlich zu viel erhaltenes Entgelt nicht zurückzahlen, wenn er an der Rechtmäßigkeit des ihm ausgezahlten Bezugs bei objektiver Beurteilung nicht einmal zweifeln musste. Da im vorliegenden Fall laut den Gerichten ein Irrtum nicht vorlag, wird der Einwand des gutgläubigen Verbrauchs im fortzusetzenden Verfahren vermutlich scheitern.