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Kognitionsbefugnis der Gerichte bei Überprüfung der Entlassungsentscheidung Disziplinarbehörde

MARTIN SOUCEK

Nach der bei der bekl AG geltenden (internen) Entlassungsordnung 2018 ist als wichtiger Grund, der zur Entlassung berechtigt, ua anzusehen, wenn der Mitarbeiter sich einer Handlung schuldig macht, die ihn des Vertrauens des Unternehmens unwürdig erscheinen lässt sowie, wenn er schuldhaft seine Dienstunfähigkeit herbeiführt.

Dem Kl war von der Entlassungskommission vorgeworfen worden, dass er die Dienstpflichten insofern verletzt habe, als er in seinem Krankenstand genesungshindernde Tätigkeiten verrichtet habe und zeitweilig ohne ärztlich bewilligte Ausgehzeit vom Wohnsitz abwesend gewesen sei. Damit sei der Tatbestand der Vertrauensunwürdigkeit erfüllt. Auch die Vorinstanzen sahen den Entlassungstatbestand der Vertrauensunwürdigkeit als erfüllt an, allerdings mit der Begründung, dass der Kl trotz Wiederherstellung seiner Arbeitsfähigkeit im Krankenstand verblieb. Der OGH wies die gegen diese Entscheidung gerichtete außerordentliche Revision zurück.

Nach stRsp stellt die Beurteilung, ob im Einzelfall ein Kündigungs- oder Entlassungsgrund verwirklicht wurde, keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO dar, es sei denn, das Berufungsgericht hätte bei seiner Entscheidung den Beurteilungsspielraum überschritten, was vorliegend nicht der Fall ist.

Aus dem Arbeitsvertrag besteht für den AN die Verpflichtung, sich im Fall einer Krankheit und einer dadurch ausgelösten Arbeitsunfähigkeit so zu verhalten, dass die Arbeitsfähigkeit möglichst bald wiederhergestellt wird. Die Gebote allgemein üblicher Verhaltensweisen im Krankenstand dürfen nicht betont und offenkundig verletzt werden. Schon die Eignung des Verhaltens, den Krankheitsverlauf negativ zu beeinflussen oder den Heilungsprozess zu verzögern, kann den Entlassungsgrund der Vertrauensunwürdigkeit verwirklichen.

Ist der DN wieder objektiv arbeitsfähig und fühlt sich subjektiv dazu auch in der Lage, ist der Krankenstand zu beenden (vgl OGH 17.2.2022, 9 ObA 96/21i). Allenfalls ist der AN, der sich subjektiv besser fühlt, verpflichtet, sich untersuchen zu lassen, ob die Voraussetzungen des Krankenstandes noch vorliegen (OGH 5.6.2002, 9 ObA 113/02m). Wesentlich bleibt aber, dass das objektiv sorgfaltswidrige Verhalten dem AN auch subjektiv vorwerfbar ist.

Die Revision argumentiert, dass entgegen der Ansicht der Vorinstanzen das Verhalten des Kl nicht subjektiv vorwerfbar sei. War der Kl allerdings der Meinung, noch krank zu sein (Bandscheibenprobleme), musste er sich im Klaren sein, dass sein Verhalten, schwere körperliche Arbeit, Hantieren mit schweren Geräten, jedenfalls die Gebote allgemein üblicher Verhaltensweisen im Krankenstand verletzt. Ging er davon aus, wieder genesen zu sein, hätte er wieder arbeiten gehen müssen. Da er die ärztliche Anordnung hatte, das Medikament, das geeignet ist, seine Fahrtauglichkeit einzuschränken, nur so lange zu nehmen, wie er Schmerzen hat, hatte er auch keine Veranlassung, es darüber hinaus einzunehmen. Zumindest hätte er bei der Ärztin Rücksprache zu halten gehabt. Dass die Vorinstanzen vor diesem Hintergrund die subjektive Vorwerfbarkeit bejahten, ist nicht korrekturbedürftig.

Die Revision macht weiters geltend, dass die Vorinstanzen unzulässigerweise ihrer Entscheidung einen anderen Sachverhalt zugrunde legten als die Entlassungskommission.

Dem Kl war vor der Entlassungskommission vorgeworfen worden, während des Krankenstandes schwere körperliche Arbeiten durchgeführt zu haben. Das Vorliegen des Entlassungsgrundes wurde alternativ darauf gestützt, dass der Kl sich entweder genesungswidrig verhalten habe oder trotz Genesung zu Unrecht im Krankenstand verblieben sei. Die Entlassungskommission hat auf dieser Basis den Entlassungsgrund der Vertrauensunwürdigkeit als verwirklicht angesehen. Die Vorinstanzen haben diesen Entlassungsgrund ausgehend vom angeklagten Lebenssachverhalt ebenfalls bejaht. Dass sie dabei aufgrund ihrer umfassenden Kognitionsbefugnis von geringfügig anderen Feststellungen ausgingen, schadet nicht, da sie damit den Rahmen 244 des dem Kl bereits vor der Disziplinarbehörde vorgeworfenen Verhaltens auf Basis des auch von der Disziplinarbehörde beurteilten Lebenssachverhalts nicht verlassen haben.

Insgesamt gelingt es dem Kl nicht, das Vorliegen einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO aufzuzeigen. Die außerordentliche Revision des Kl ist daher zurückzuweisen.