102Anspruchsverlust nach § 10 AlVG: Verlängerung des Sanktionszeitraumes nur um Zeiten des Krankengeldbezugs, nicht aber um sonstige Ruhens- und Unterbrechungszeiten
Anspruchsverlust nach § 10 AlVG: Verlängerung des Sanktionszeitraumes nur um Zeiten des Krankengeldbezugs, nicht aber um sonstige Ruhens- und Unterbrechungszeiten
Der Mitbeteiligte bezog seit dem 9.7.2023 Arbeitslosengeld. Am 11.12.2023 wurde ihm die Teilnahme an einer Wiedereingliederungsmaßnahme zugewiesen. Zwar nahm er in weiterer Folge am Vorbereitungstermin zur Maßnahme teil, erschien aber folglich nicht zum Kursstart am 21.2.2024. Das Arbeitsmarktservice (AMS) (Revisionswerberin) sprach daraufhin mit zwei Bescheiden je vom 29.3.2024 aus, dass der Mitbeteiligte einerseits „2 Tage ab 22.2.2024“ seinen Anspruch auf Arbeitslosengeld und andererseits „40 Tage ab 22.2.2024“ seinen Anspruch auf Notstandshilfe verloren habe. Im Spruch der Bescheide war jeweils folgende Passage enthalten:
„Das angeführte Ausmaß verlängert sich um die in ihm liegenden Zeiträume, während derer Krankengeld bezogen wird. Die Ausschlussfrist wird unterbrochen, sofern aus einem anderen Grund als wegen eines Ausschlusses gemäß §§ 10 oder 49 AlVG kein Leistungsanspruch besteht.
“
Das AMS legte die gegen diese Bescheide erhobene Beschwerde ohne Erlassung einer Beschwerdevorentscheidung dem BVwG vor und führte aus, dass der Anspruch des Mitbeteiligten auf Arbeitslosengeld am 23.2.2024 geendet habe. Erst am 24.3.2024 habe er einen Antrag auf Notstandshilfe gestellt. Die Notstandshilfe sei ihm gem § 17 Abs 4 AlVG ab dem 5.3.2024 zuerkannt worden, da eine Antragsausfolgung anlässlich der Vorsprache des Mitbeteiligten an diesem Tag unterblieben sei. Die Ausschlussfrist betrage im Fall des Mitbeteiligten sechs Wochen (42 Tage). Sie wirke nur während jener Tage, an denen eine Leistung gebührt hätte, dh etwa nicht bei Bezug von Krankengeld, ebenso nicht, wenn der Anspruch auf Leistungen aus der AlV ohnedies ruhe oder aus einem anderen Grund nicht gebühre, so etwa auch dann nicht, wenn die Ansprüche auf Leistungen aus der AlV nicht geltend gemacht würden. Dem Mitbeteiligten sei deshalb zu Recht der Anspruch auf Arbeitslosengeld für zwei Tage ab dem 22.2.2024 „für verlustig erklärt“ worden; der Anspruch auf Notstandshilfe hätte dem Mitbeteiligtem dagegen für 40 Tage ab dem 5.3.2024 „für verlustig erklärt
“ werden müssen.
Das BVwG wies mit dem angefochtenen Erkenntnis die Beschwerde mit der Maßgabe ab, dass die Sprüche der bekämpften Bescheide wie folgt zu lauten hätten:
„Der Beschwerdeführer hat den Anspruch auf Arbeitslosengeld gemäß §§ 9 Abs. 1 und 10 AlVG im Zeitraum vom 22.02.2024 bis 23.02.2024 verloren, wobei sich die Zeiten des Anspruchsverlustes um die in ihm liegenden Zeiträume verlängern, während derer Krankengeld bezogen wurde. Nachsicht gemäß § 10 Abs. 3 AlVG wird nicht erteilt.
“
„Der Beschwerdeführer hat den Anspruch auf Notstandshilfe gemäß § 38 AlVG iVm. §§ 9 Abs. 1 und 10 AlVG im Zeitraum vom 05.03.2024 bis 28.03.2024 verloren, wobei sich die Zeiten des Anspruchsverlustes um die in ihm liegenden Zeiträume verlängern, während derer Krankengeld bezogen wurde. Nachsicht gemäß § 10 Abs. 3 AlVG wird nicht erteilt.“
Zur Änderung der Spruchformulierungen führte das BVwG aus, dem Gesetzestext des § 10 Abs 1 AlVG sei lediglich zu entnehmen, dass sich die Zeiten des Anspruchsverlustes um die in ihnen liegenden Zeiträume verlängern, während deren Krankengeld bezogen werde; weitere Ruhenstatbestände, welche zu einer Verlängerung der Zeit des Anspruchsverlusts führten, seien darin nicht genannt. Hinsichtlich des Spruchs des zweiten Bescheides (betreffend den Verlust des Anspruchs auf Notstandshilfe) führte das BVwG aus, dass der Anspruchsverlust für die auf die Pflichtverletzung folgenden sechs Wochen ex lege eintrete. Mangels Bezugs der Notstandshilfe vor dem 5.3.2024 sei der Beginn des Anspruchsverlusts auf diesen Tag zu korrigieren gewesen. Er ende – entsprechend der gesetzlichen Anordnung – sechs Wochen nach der Pflichtverletzung, somit am 28.3.2024.
Das AMS brachte in seiner gegen diese Entscheidung gerichteten außerordentlichen Revision vor, dass aus dem angefochtenen Erkenntnis nicht hervorgehe, warum das BVwG den Anspruch auf Notstandshilfe nur bis zum 28.3.2024 (also weniger als sechs Wochen nach der Pflichtverletzung) aberkannt habe. Außerdem habe das BVwG außer Acht gelassen, dass der Anspruch nur an Tagen verloren gehen könne, an denen ansonsten eine Leistung gebührt hätte. Im gegenständlichen Fall habe nach Erschöpfung des Anspruchs auf Arbeitslosengeld bis zur Geltendmachung der Notstandshilfe kein Anspruch auf Leistungen der AlV bestanden. Da im Zeitraum vom 24.2. bis zum 4.3.2024 kein Anspruch gegeben gewesen sei, könne der Anspruchsverlust von mindestens sechs Wochen nur vor diesem Zeitraum für zwei Tage und nach diesem Zeitraum für 40 Tage wirksam werden.
Der VwGH gab der Revision (teilweise) Folge und änderte den Spruch dahingehend ab, dass das strittige Enddatum des bereits abgelaufenen Zeitraumes des Anspruchsverlusts (der Notstandshilfe) datumsmäßig festzustellen war. Der Spruch lautet:
„Der Beschwerde wird teilweise stattgegeben. Der Beschwerdeführer hat gemäß § 10 iVm § 38 AlVG seinen
247.Anspruch auf Arbeitslosengeld und Notstandshilfe für sechs Wochen ab dem 22. Februar 2024, sohin bis zum 3. April 2024, verloren. Nachsicht gemäß § 10 Abs. 3 AlVG wird nicht erteilt.
“
Begründend führte der VwGH aus, dass gem § 10 Abs 1 AlVG eine Person, die eine Pflichtverletzung iSd Z 1 bis 4 zu verantworten hat, für die Dauer der Weigerung, mindestens jedoch für die Dauer der auf die Pflichtverletzung folgenden sechs Wochen, den Anspruch auf Arbeitslosengeld verliert. Die Mindestdauer des Anspruchsverlustes erhöht sich mit jeder weiteren Pflichtverletzung gem Z 1 bis 4 um weitere zwei Wochen auf acht Wochen. Nach dem letzten Satz des § 10 Abs 1 AlVG verlängern sich die Zeiten des Anspruchsverlustes um die in ihnen liegenden Zeiträume, während derer Krankengeld bezogen wurde.
Der Anspruchsverlust nach § 10 AlVG tritt ex lege ein und ist mit dem aus Rechtsschutzgründen und im Hinblick auf eine mögliche Nachsicht nach § 10 Abs 3 AlVG jedenfalls zu erlassenden Bescheid (nur) festzustellen (vgl VwGH 26.3.2021, Ra 2021/08/0016). Dabei genügt es, im Bescheid das Datum des Beginns sowie die in Wochen oder Tagen bemessene Dauer des Anspruchsverlusts festzuhalten. Das Enddatum kann auf dieser Basis berechnet werden, ohne dass es dafür eines eigenen bescheidmäßigen Ausspruchs bedürfte. Vor Ablauf des Verlustzeitraums steht dessen datumsmäßiges Ende noch gar nicht fest, weil sich der Zeitraum jedenfalls um allfällige Zeiten des Krankengeldbezugs verlängert. Nur in Fällen, in denen ein etwaiger Verlängerungszeitraum strittig ist, wäre darüber feststellend abzusprechen.
Das AMS geht nun davon aus, dass sich die Zeiten des Anspruchsverlusts nicht nur um Zeiträume, während deren Krankengeld bezogen wurde, verlängern, sondern auch um sonstige Zeiträume, in denen unabhängig von einer Sanktion nach § 10 AlVG kein Arbeitslosengeld bzw keine Notstandshilfe auszuzahlen wäre. Dafür ist jedoch keine gesetzliche Grundlage zu sehen. Vielmehr folgt daraus, dass § 10 Abs 1 letzter Satz AlVG nur für Zeiten des Ruhens wegen des Bezugs von Krankengeld eine entsprechende Verlängerung der Zeit des Anspruchsverlusts vorsieht, im Umkehrschluss, dass Zeiten, in denen aus anderen Gründen kein Arbeitslosengeld bzw keine Notstandshilfe bezogen wird, nichts am Endzeitpunkt des Anspruchsverlusts ändern.
Die Regelung des § 10 Abs 1 letzter Satz AlVG wurde mit der Beschäftigungssicherungsnovelle, BGBl 1993/502 , eingeführt. Die Gründe dafür wurden nicht näher erläutert, dürften aber damit zusammenhängen, dass das Krankengeld als Einkommensersatz an die Stelle von Arbeitslosengeld bzw Notstandshilfe tritt (vgl § 41 AlVG). Das Krankengeld gebührt zwar auf Grund der Schutzfristverlängerung der – gem § 6 Abs 2 Z 1 und § 40 AlVG nur während des Bezugs gewährten (und daher mit dem Anspruchsverlust endenden) – KV gem § 122 iVm § 138 Abs 1 ASVG auch dann, wenn der Versicherungsfall innerhalb der ersten drei Wochen des Anspruchsverlusts eintritt. Es entspricht aber der Zielsetzung des § 10 AlVG, dass ein Verlust des Anspruchs auf Arbeitslosengeld bzw Notstandshilfe nach dieser Bestimmung nicht letztlich durch einen (mittelbar – infolge Gewährung der KV – ebenfalls eine Leistung der AlV darstellenden) Krankengeldbezug kompensiert werden soll. Dies wird durch die Verlängerung des Anspruchsverlusts um die Zeiten des Krankengeldbezugs erreicht. Die genannten teleologischen Überlegungen lassen sich aber weder auf die übrigen Tatbestände des § 16 AlVG noch auf Zeiten der Unterbrechung des Bezugs wegen Abmeldung oder unterlassener neuerlicher Geltendmachung übertragen. Es ist auch nicht nachvollziehbar, warum – wie das AMS in der Revision meint – (nur) für die Zeiten des Krankengeldbezugs eine „Klarstellung“ hinsichtlich der Verlängerung des Anspruchsverlusts erforderlich gewesen sein sollte, während sie sich für sonstige Ruhens- und Unterbrechungszeiträume auch ohne ausdrückliche gesetzliche Anordnung von selbst ergeben würde.
In diesen sonstigen Zeiten des Ruhens und der Unterbrechung scheint der Anspruchsverlust zwar gewissermaßen ins Leere zu gehen, weil – unabhängig von § 10 AlVG – ohnedies keine Leistung auszuzahlen ist. Das Ziel, dass während sechs bzw acht Wochen kein Arbeitslosengeld und keine Notstandshilfe bezogen werden kann (sodass die Versichertengemeinschaft um die zusätzlichen Kosten entlastet wird, die durch die Verlängerung des Leistungsbezugs typischerweise anfallen würden), wird aber dennoch erreicht, auch wenn dieses Ergebnis nicht (nur) auf § 10 AlVG beruht. Im Übrigen behält der Anspruchsverlust nach § 10 AlVG in diesen Fällen jedenfalls insoweit Bedeutung, als er für die Verlängerung der Dauer von sechs auf acht Wochen und die allfällige Einstellung des Bezugs wegen Arbeitsunwilligkeit bei weiteren Pflichtverletzungen (vgl dazu etwa VwGH 25.6.2021, Ra 2020/08/0194) zählt.
Im vorliegenden Fall endete der Anspruch des Mitbeteiligten auf Arbeitslosengeld zwei Tage nach Beginn des Anspruchsverlusts, und zwar am 23.2.2024. Es ist aber – auch wenn das im Gesetz nicht explizit angeordnet wird – davon auszugehen, dass sich der Anspruchsverlust dann, wenn seine Dauer die verbleibende Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes (oder der Notstandshilfe) übersteigt, auch auf den in der Folge allenfalls geltend gemachten (neuen) Anspruch auf Notstandshilfe bezieht. Ein solcher Anspruch wäre mit der Maßgabe zuzuerkennen, dass der Bezug erst mit dem Ende des Anspruchsverlusts beginnt.
Der Anspruchsverlust des Mitbeteiligten war nach dem oben Gesagten für sechs Wochen ab der Pflichtverletzung am 22.2.2024, sohin bis zum 3.3.2024 auszusprechen. 248