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Staatenimmunität, wenn der Zweck einer Arbeitsleistung auf die Ausübung hoheitlichen Handelns gerichtet ist

KLAUS BACHHOFER
Art 11 Abs 1 und Abs 2 lit a des Übereinkommens der Vereinten Nationen über die Immunität der Staaten und ihres Vermögens

Die in Österreich wohnende Kl war seit 2010 als local employee in der in Wien situierten Botschaft Kanadas in Österreich in deren Abteilung für Immigration beschäftigt; sie war als „Programmassistentin“ mit der Prüfung von Visumsanträgen auf formale und nur teilweise auch auf inhaltliche Vollständigkeit sowie der Weiterleitung vollständiger Anträge an einen sodann darüber inhaltlich entscheidenden Beamten der Botschaft befasst. Die Kl führte selten und in Ausnahmefällen, wenn dringende Angelegenheiten zu bearbeiten waren, Telefonate mit Antragstellern bzw Kunden; vereinzelt hatte sie über Auftrag eines Beamten auch telefonische Erhebungen und sodann eigenständige Entscheidungen über das Vorliegen ausreichender Sprachkenntnisse von Visumswerbern zu führen. Die Entscheidung, ob letztlich ein Visum bewilligt225 oder abgelehnt wurde, traf ein Botschaftsbeamter; die Kl war in dessen Entscheidungsfindung nicht mehr eingebunden. Bei der Einstellung war der Kl mitgeteilt worden, dass auf ihr Arbeitsverhältnis die Locally Engaged Staff Terms and Conditions Österreich anwendbar sind. Die Kl verstand dies so, dass sie den österreichischen Regeln und Gesetzen unterliegt. Eine Rechtswahl oder Gerichtsstandsvereinbarung wurde nicht getroffen.

Die Vorinstanzen wiesen das Klagebegehren auf Feststellung des aufrechten Dienstverhältnisses (hilfsweise auf Unwirksamerklärung der gegenüber der Kl ausgesprochenen Entlassung, hilfsweise auf Zahlung einer Kündigungsentschädigung) übereinstimmend zurück. Es liege Staatenimmunität des bekl Staats Kanada vor, womit inländische Gerichtsbarkeit fehle. Die Kl habe Aufgaben in Ausübung hoheitlicher Tätigkeiten erfüllt und nicht bloß untergeordnete administrative Tätigkeiten verrichtet. Der bekl Staat habe sich auch nicht der inländischen Gerichtsbarkeit unterworfen.

Der Revisionsrekurs gegen die die Klage zurückweisenden Entscheidungen der Vorinstanzen wurde vom OGH aus nachstehenden Erwägungen zurückgewiesen.

Die OGH-E 9 ObA 37/19k vom 28.11.2019 hat in teilweiser Abkehr von bis dahin bestehender Rsp ausgeführt, Art 11 Abs 1 und Abs 2 lit a des Übereinkommens der Vereinten Nationen über die Immunität der Staaten und ihres Vermögens von der Gerichtsbarkeit (das von Österreich, nicht aber von Kanada ratifiziert wurde und insgesamt noch nicht in Kraft getreten ist [in der Folge: „VN-Übk“]) sei kodifiziertes Völkergewohnheitsrecht und bei der Prüfung der Immunität eines Staats bei Klagen von AN zu beachten. Es komme daher nicht mehr ausschließlich auf die bloße privatrechtliche Natur des Rechtsgeschäfts an, sondern auch auf den Zweck der Erbringung der Arbeitsleistungen, der bei Vorliegen einer hoheitlichen Tätigkeit Immunität des Staats nach sich ziehe.

Die E 9 ObA 37/19k gilt dem OGH als gesicherte Rsp, von der abzugehen sich der Senat nicht veranlasst fühlt.

Die Beurteilung der Frage, inwieweit Staaten Immunität genießen, hat sich primär am bestehenden Völkerrecht zu orientieren, und zwar, sofern keine vertraglichen Normen bestehen, am Völkergewohnheitsrecht.

Art 10 VN-Übk sieht als Grundregel für privatwirtschaftliche Rechtsgeschäfte eines Staats mit natürlichen oder juristischen Personen vor, dass jener sich für Streitigkeiten hieraus vor einem sonst zuständigen Gericht eines anderen Staats nicht auf Immunität von dessen Gerichtsbarkeit berufen kann. Art 11 VN-Übk („Arbeitsverträge“) sieht in seinem Abs 1 Entsprechendes für einen zwischen einem Staat und einer natürlichen Person geschlossenen Arbeitsvertrag vor, demzufolge die Arbeit ganz oder teilweise im Hoheitsgebiet des Gerichtsstaats geleistet wird bzw zu leisten ist.

Art 11 Abs 2 VN-Übk sieht Ausnahmen von diesem Grundsatz vor, der ua dann keine Anwendung finde, wenn der AN eingestellt worden ist, um bestimmte Aufgaben in Ausübung von Hoheitsgewalt zu erfüllen (lit a leg cit).

Die Vorinstanzen haben das Bestehen von Völkergewohnheitsrecht in diesem Sinne bejaht, wobei sie davon ausgingen, dass das noch nicht in Kraft getretene VN-Übk das bereits geltende Recht inhaltlich wiedergebe.

Die Vorinstanzen haben die vom Erstgericht getroffenen, für den OGH bindenden Feststellungen über die Tätigkeit der Kl dahin verstanden, dass diese auch im Lichte von 9 ObA 37/19k als solche zu qualifizieren seien, deren Zweck auf die Ausübung hoheitlicher Tätigkeit im von Art 11 Abs 2 lit a VN-Übk gemeinten völkerrechtlichen Sinne – nämlich die Gewährung von Einreise- und Aufenthaltsbewilligungen (Visa) nach Kanada – gerichtet gewesen sei. Zwar habe die Kl nicht endgültig über Visumsanträge zu entscheiden gehabt. Sie habe jedoch diese Tätigkeiten sowohl in Ansehung der formalen Erfordernisse (etwa iSd Vorliegens ausreichender Dokumente) als auch – wenn auch nicht alltäglich – auf die inhaltliche Erfüllung von Vorgaben auszuüben gehabt, wobei sie auch für Teilaspekte für das Vorliegen einzelner Voraussetzungen für die Visagewährung, wie die Überprüfung von erforderlichen Sprachkenntnissen der Visumswerber, selbstständige Entscheidungen zu treffen gehabt habe.

Insb die Ansicht des Rekursgerichts, wonach die Tätigkeit der Kl hier, verglichen mit dem Sachverhalt im Verfahren 9 ObA 37/19k, sogar in höherem Maße im Zusammenhang in einem Kernbereich staatlicher hoheitlicher Tätigkeit – nämlich der Gewährung von Einreiseerlaubnissen – gestanden sei, erscheint dem OGH als zumindest vertretbar, wobei er dem Argument der Kl, sie habe stets nur auf Anordnung gehandelt, keine Bedeutung zumaß. 226