91Kündigungsfristen des § 1159 ABGB nF auf freie Dienstverträge nicht anwendbar
Kündigungsfristen des § 1159 ABGB nF auf freie Dienstverträge nicht anwendbar
Nach der in den Materialien zum Ausdruck gebrachten Zielsetzung des Gesetzgebers soll mit § 1159 ABGB nF die Ungleichbehandlung von Arbeitern und Angestellten im Hinblick auf die für sie geltenden gesetzlichen Kündigungsbestimmungen beseitigt und diese harmonisiert werden. Den Materialien ist hingegen nicht zu entnehmen, dass damit ein einheitliches Kündigungsrecht geschaffen werden sollte, das auf alle DN anzuwenden wäre. Es ist nicht ersichtlich, dass der Gesetzgeber mit der Neuregelung von § 1159 ABGB nF auch eine Neuregelung der Beendigung freier Dienstverträge treffen und dem seit Jahrzehnten bestehenden und bekannten Umstand ein Ende setzen hätte wollen, dass hierfür keine ausdrücklichen gesetzlichen Regeln bestehen und die arbeitsrechtlichen Regelungen hierfür grundsätzlich gerade nicht anwendbar sind.
Der Kl war ab 2018 als Angestellter und ab 1.1.2020 (auf unbestimmte Zeit) als freier DN für Projektakquise, -durchführung und -controlling bei der A* GmbH beschäftigt. In Pkt 8 des Dienstvertrags („Kündigung“) wurde vereinbart, dass, wenn das Dienstverhältnis zumindest drei Monate gedauert hat und die Erwerbstätigkeit des freien DN hauptsächlich in Anspruch nimmt, die Kündigungsfrist vier Wochen, in allen anderen Fällen 14 Tage, beträgt. Über das Vermögen der DG (in der Folge: Schuldnerin) wurde mit Beschluss vom 19.10.2022 das Konkursverfahren eröffnet; die Schließung des Unternehmens wurde mit Beschluss vom 7.11.2022 angeordnet. Das Dienstverhältnis endete am 29.11.2022 durch Austritt des Kl gem § 25 IO. Der Kl beantragte Insolvenz-Entgelt für eine Kündigungsentschädigung von 30.11.2022 bis 31.3.2023. Er brachte zusammengefasst vor, § 1159 ABGB nF bezwecke ebenso wie die Regelungen der davor geltenden §§ 1159 ff ABGB nicht den sozialen Schutz des persönlich abhängigen DN und sei daher weiterhin eine passende Analogiebasis für die Ermittlung der auf eine Kündigung freier DN anzuwendenden Regeln. Selbst wenn man eine uneingeschränkte analoge Anwendung des § 1159 ABGB nF auf sämtliche freie Dienstverhältnisse verneine, seien dessen Kündigungsfristen dennoch (analog) anzuwenden, weil beim Kl ein arbeitnehmerähnliches freies Dienstverhältnis vorgelegen wäre. Das Dienstverhältnis hätte daher unter Wahrung von Frist und Termin nach § 1159 ABGB nF vom DG frühestens zum 31.3.2023 aufgekündigt werden können.
Die bekl IEF-Service GmbH sprach einen Teil zu, lehnte aber die restliche Kündigungsentschädigung für die Zeit von 1.1. bis 31.3.2023 ab, da § 1159 ABGB idF Art 6 Z 3 BGBl I 2017/153 [in der Folge: § 1159 ABGB nF] auf freie Dienstverhältnisse nicht anwendbar sei. Der Kl brachte dagegen Klage ein.
Das Erstgericht gab der Klage statt. Das Berufungsgericht änderte die Entscheidung im klagsabweisenden Sinne ab. Der OGH sah die vom Kl eingebrachte Revision als zulässig, aber nicht berechtigt an.
[…]
2.2. § 25 IO und die hierzu ergangene Rechtsprechung sind auch auf einen freien Dienstvertrag anzuwenden […]. Dementsprechend steht einem nach § 25 IO ausgetretenen freien Dienstnehmer die Kündigungsentschädigung iSd § 1162b ABGB analog zu (8 ObS 15/16p Pkt 2 mwN).
3. Nach § 1 Abs 1 IESG (seit BGBl I 2010/29; zuvor schon § 2a IESG idF BGBl I 2007/104 ) haben freie Dienstnehmer iSd § 4 Abs 4 ASVG in gleicher Weise wie Arbeitnehmer Anspruch auf Insolvenz-Entgelt. Dabei ist vom arbeitsrechtlichen Begriff des Arbeitnehmers bzw des freien Dienstnehmers auszugehen (vgl 8 ObS 15/16p Pkt 3.2 mwN).
3.1. Der freie Dienstvertrag ist gesetzlich nicht geregelt. Er ist kein Dienstvertrag iSd §§ 1151 ff ABGB, sodass diese Bestimmungen nicht unmittelbar anwendbar sind und grundsätzlich nur die allgemeinen vertragsrechtlichen Bestimmungen des ABGB gelten […]. […]
3.2. Der sozialrechtliche Begriff des freien Dienstnehmers nach § 4 Abs 4 ASVG, an den § 1 Abs 1 IESG anknüpft, unterscheidet sich vom arbeitsrechtlichen: Er nimmt Personen aus, die aufgrund ihrer im Rahmen eines freien Dienstverhältnisses erbrachten Tätigkeit bereits nach § 2 Abs 1 Z 1 bis 3 GSVG, § 2 Abs 1 BSVG oder nach § 2 Abs 1 und 2 FSVG versichert sind (8 ObS 2/21h mwN), und setzt gerade die persönliche Leistungserbringung durch den Dienstnehmer voraus. […] Weitere Voraussetzungen nach § 4 Abs 4 ASVG sind das Vorliegen eines bestimmten Dienstgebertyps, der Bezug von Entgelt sowie das Fehlen wesentlicher eigener Betriebsmittel […].
3.3. Nach § 3 Abs 3 IESG sind der Berechnung des Insolvenz-Entgelts für gesicherte Ansprüche grundsätzlich nur die einschlägigen gesetzlichen oder kollektivvertraglichen Kündigungsfristen unter Bedachtnahme auf die entsprechenden gesetzlichen oder kollektivvertraglichen Kündigungstermine und die gesetzlichen Kündigungsbeschränkungen zugrundezulegen. Für den Arbeitnehmer günstigere (längere) Kündigungsfristen des Arbeitgebers in Betriebsvereinbarung oder Arbeitsvertrag wären bei der Berechnung des Insolvenz-Entgelts nicht zu berücksichtigen. Sowohl Kündigungsfristen als auch Kündigungstermine stehen damit unter der Bedingung, dass eine Sicherung nur insoweit besteht, als sie nicht über gesetzliche oder kollektivvertragliche Fristen 227 und Termine hinausgehende Ansprüche betrifft. Soweit für einen freien Dienstnehmer weder ein kollektivvertraglicher noch ein gesetzlicher Kündigungstermin besteht, ist die Kündigungsfrist ab Wirksamkeit der Auflösungserklärung zu berechnen. Daraus folgt auch, dass ein Anspruch auf Kündigungsentschädigung nach § 25 Abs 1 IO nicht zur Gänze gesichert sein muss (vgl 8 ObS 15/16p = RS0131271).
[…]
4.2. § 1159 ABGB nF trat nach § 1503 Abs 19 ABGB mit 1.10.2021 in Kraft und ist auf Beendigungen anzuwenden, die nach dem 30.9.2021 ausgesprochen wurden. […] Im Hinblick auf den Zeitpunkt der Beendigung des Dienstverhältnisses des Klägers am 29.11.2022 gilt daher hier die durch BGBl I 2017/153 geänderte Rechtslage.
5.1. Wie oben schon dargelegt (Pkt 3.1.) sind arbeitsrechtliche Bestimmungen auf freie Dienstnehmer grundsätzlich nicht anwendbar; nur jene einzelnen arbeitsrechtlichen Normen, die nicht vom persönlichen Abhängigkeitsverhältnis des Arbeitnehmers ausgehen und den sozial Schwächeren schützen sollen („Nichtschutznormen“), sind auf den freien Dienstvertrag (analog) anzuwenden […].
5.2. In diesem Sinne erachtete die ständige Rechtsprechung etwa die Kündigungsmodalitäten der §§ 1159 ff ABGB aF oder die §§ 1162 bis 1162d ABGB sowie die in § 27 AngG demonstrativ angeführten Entlassungstatbestände (zur Konkretisierung der „wichtigen Gründe“ iSd § 1162 ABGB) als auf freie Dienstverhältnisse anwendbar […]. Die §§ 1159 ff ABGB aF dienten vor allem der technischen Abwicklung der Kündigung von Dauerschuldverhältnissen […] und schützten aufgrund ihrer Kürze in der Regel nur die legitimen Interessen der Vertragspartner vor einer abrupten einseitigen Beendigung des Vertragsverhältnisses durch einen Kontrahenten (vgl 9 ObA 160/87 […]).
5.3. § 20 AngG über die Kündigungsfristen und -termine sieht hingegen für den Angestellten wesentlich geringere Beschränkungen als für den Dienstgeber sowie zugunsten des Angestellten zwingende Bestimmungen vor. Diese sind in der sozialen Schutzfunktion der Kündigungsfrist und des Kündigungstermins als zu betrachtender Einheit begründet, welche den Angestellten vor einer überraschenden Auflösung des Arbeitsverhältnisses bewahren und ihm einen zeitlich begrenzten Schutz gewähren sollen […]. In diesem Lichte sind nach ständiger Rechtsprechung die Vorschriften des Angestelltengesetzes über Kündigungstermine und -fristen auf freie Dienstverhältnisse nicht anzuwenden […]. […]
7. Die Frage, ob § 1159 ABGB nF auch für die Dienstgeberkündigung freier Dienstnehmer gilt, wurde – wie schon das Berufungsgericht eingehend dargelegt hat – im Schrifttum kontrovers beantwortet. […]
8. Der erkennende Fachsenat erachtet ebenso wie das Berufungsgericht die […] Stimmen, die sich gegen eine Anwendung von § 1159 ABGB nF auf freie Dienstnehmer aussprechen, im Ergebnis für überzeugender und schließt sich dieser Auffassung aus folgenden Gründen an:
8.1. Auszugehen ist von der in den Materialien knapp, aber klar zum Ausdruck gebrachten Zielsetzung des Gesetzgebers, mit § 1159 ABGB nF die Ungleichbehandlung von Arbeitern und Angestellten im Hinblick auf die für sie geltenden gesetzlichen Kündigungsbestimmungen zu beseitigen und diese zu harmonisieren (IA 2306/A BlgNR 25. GP Erläut 8; vgl oben Pkt 6.2.). Den Materialien ist hingegen nicht zu entnehmen, dass damit ein einheitliches Kündigungsrecht geschaffen werden sollte, das auf alle Dienstnehmer anzuwenden wäre. Die Novelle hat auch grundsätzlich die Differenzierung zwischen Arbeitern und Angestellten aufrecht erhalten und an der – wenn auch inhaltlich angeglichenen – getrennten Regelung von Kündigungsbestimmungen für Arbeiter und Angestellte festgehalten. Gerade aus der Übernahme des Regelungsinhalts des Angestelltenrechts erhellt, dass nicht auf die Schaffung einer neuen allgemeinen Regelung abgezielt wurde, nach welchen Modalitäten jedwedes arbeitsrechtliche Dauerschuldverhältnis zu beenden wäre. Dementsprechend ist auch nicht einmal ansatzweise ersichtlich, dass der Gesetzgeber mit der Neuregelung von § 1159 ABGB nF auch eine Neuregelung der Beendigung freier Dienstverträge treffen und dem seit Jahrzehnten bestehenden und bekannten Umstand ein Ende setzen hätte wollen, dass hierfür keine ausdrücklichen gesetzlichen Regeln bestehen und die arbeitsrechtlichen Regelungen hierfür grundsätzlich gerade nicht anwendbar sind […].
8.2. Gleichen nun aber die zufolge § 1159 ABGB nF für Dienstnehmer geltenden Kündigungsbestimmungen den bisherigen nach § 20 AngG für Angestellte, so sind beide Regelungskomplexe in Ansehung der Frage gleich zu beurteilen, ob sie als Analogiebasis für die Frage tauglich und heranzuziehen sind, wie freie Dienstverhältnisse zu beenden wären.
8.3.1. Es ist schon nicht erkennbar, dass § 20 AngG seine Stellung als arbeitsrechtliche Schutznorm […] im Hinblick auf Entwicklungen der sonstigen Rechtslage substanziell verändert hätte […], zumal sich eine Besserstellung freier Dienstnehmer überwiegend auf deren weitgehende Einbeziehung in die Sozialversicherung erstreckte, ohne dass jedoch typisch arbeitsrechtliche Schutznormen in größerem Umfang für sie Geltung erlangten […].
8.3.2. Der von der Revision und einzelnen die Analogiefähigkeit bejahenden Äußerungen im Schrifttum angezogene Verweis auf Regelungen anderer Gesetze überzeugt nicht: Die analoge Anwendung dieser Normen auf andere vertragliche Schuldverhältnisse setzt eine planwidrige Regelungslücke voraus […]. Eine solche liegt nur vor, wenn die aus der konkreten gesetzlichen Regelung hervorleuchtenden Zwecke und Werte die Annahme nahelegen, das Gesetz sei gemessen an seiner eigenen Ansicht und immanenten Teleologie unvollständig und ergänzungsbedürftig, weil der Gesetzgeber einen nach densel228ben Maßstäben regelungsbedürftigen Sachverhalt übersehen habe […]. Eine planwidrige Lücke wäre durch Gesetzesanalogie zu schließen, bei welcher die für einen bestimmten Einzeltatbestand angeordnete Rechtsfolge auf einen dem Wortlaut nach nicht geregelten Sachverhalt erstreckt wird, weil nach der im Gesetz zum Ausdruck kommenden Wertung anzunehmen ist, dass der geregelte und der ungeregelte Fall in den maßgeblichen Voraussetzungen übereinstimmen […]. Aus dem Umstand, dass der Gesetzgeber Sonderregeln für eine bestimmte Branche bzw ein bestimmtes Berufsfeld traf, folgt grundsätzlich, dass er gerade dieses Regelungsfeld erfassen wollte. Ohne hinzutretende konkrete Umstände kann hingegen nicht davon ausgegangen werden, dass dem Gesetzgeber ein – zumal weites, seit Jahrzehnten literarisch vielerörtertes und von der Rechtsprechung vielbehandeltes – Rechtsgebiet wie der „freie Dienstvertrag“ im Allgemeinen und in seiner praktischen Vielgestaltigkeit gänzlich entgangen wäre und er aus diesem Grund die Erlassung von Bestimmungen zur näheren Regelung solcher Vertragstypen unbeabsichtigt versäumt hätte. Aus dem Umstand, dass der Gesetzgeber für von ihm vorgefundene besondere Verhältnisse in einzelnen Branchen und bei bestimmten Arten freier Dienstverhältnisse konkrete Regelungen etwa für deren Kündigung getroffen hat, lassen sich daher nicht ohne weiteres induktiv allgemeine Regeln für alle Arten von freien Dienstverhältnissen ableiten. Dies gilt umso mehr, als der Gesetzgeber Gelegenheiten, solche zu etablieren (wie auch etwa hier mit BGBl I 2017/153), gerade nicht wahrgenommen hat. Dass ein allgemeines Regime für freie Dienstverträge bloß rechtspolitisch oder aus akademischer Sicht als erwünscht angesehen werden könnte, bildet aber keine ausreichende Grundlage für eine ergänzende Rechtsfindung durch Analogiebildung […]. Den Gerichten steht es nämlich nicht zu, ohne Vorliegen einer Lücke gleichsam an die Stelle des Gesetzgebers zu treten und einen Regelungsinhalt rechtsfortbildend zu schaffen, dessen Herbeiführung ausschließlich diesem obläge […]. […]
9.1. Nichts anderes gilt im Lichte des Umstands, dass der Kläger – insofern unstrittig – als iSv § 1 Abs 1 IESG nach § 4 Abs 4 ASVG pflichtversicherter „dienstnehmerähnlicher“ freier Dienstnehmer anzusehen ist, dem grundsätzlich Insolvenz-Entgelt zusteht […]. Wie oben bereits ausgeführt geht dabei das IESG zwar vom arbeitsrechtlichen Arbeitnehmerbegriff aus, ist mit diesem jedoch nicht deckungsgleich. Dass die sozialversicherungsrechtliche Einordnung nun jedoch die arbeitsrechtliche bestimmen sowie die Anwendung arbeitsrechtlicher Normen und den Umfang arbeitsrechtlicher Ansprüche (die ja grundsätzlich notwendige Voraussetzung und nicht Folge der sozialrechtlichen Ansprüche nach dem IESG sind) gleichsam in Gegenrichtung erweitern sollte, ist – zumal mit Analogie – nicht mehr begründbar.
9.2. „Arbeitnehmerähnlichkeit“ in arbeitsrechtlicher Hinsicht führt primär – prozessual – zur Zuständigkeit des Arbeits- und Sozialgerichts (§ 51 Abs 3 Z 2 ASGG). Weiters kommt es zur Anwendung einiger weniger materieller arbeitsrechtlicher Normen, die dies ausdrücklich vorsehen, wie etwa in DHG, AÜG, GlBG oder AuslBG. […] Andere arbeitsrechtliche Normen werden dagegen nicht als (allein) aufgrund von Arbeitnehmerähnlichkeit analog anwendbar angesehen: Über die Normen hinaus, die auf jeden freien Dienstvertrag mit persönlicher Leistung zur Anwendung kommen, weil sie gerade nicht dem Schutz des sozial Schwächeren dienen […] sind bloß jene soeben genannten sondergesetzlichen Normen anzuwenden, die dies ausdrücklich anordnen […]. Darüber hinaus wurde in vereinzelten älteren Entscheidungen die analoge Anwendung von arbeitsrechtlichen Vorschriften, welche die spezifische Schutzbedürftigkeit des Arbeitnehmers zum Anlass haben, für den Fall erwogen, dass ein freier Dienstnehmer ebenso schutzbedürftig erscheine wie typischerweise abhängig beschäftigte Arbeitnehmer. Dies sei der Fall, wenn unter Bedachtnahme auf die organisatorischen Umstände, unter denen dem Vertragspartner die Arbeitsleistung erbracht werde, im Einzelfall die Arbeitnehmerähnlichkeit „besonders stark ausgeprägt“ und der Beschäftigte in Bezug auf seine Tätigkeit in seiner „Entschlussfähigkeit“ auf ein Mindestmaß eingeschränkt sei (vgl 8 ObA 240/95 […]).
9.3.1. Grundsätzlich gilt auch hier das oben in Pkt 8.3.1. Gesagte, wonach aus dem Umstand, dass der Gesetzgeber die Anwendung einzelner Normen(-bereiche) auf konkret definierte „arbeitnehmerähnliche“ Personen ausdrücklich angeordnet hat, sich nicht ohne weiteres allgemeine Regeln für alle freien Dienstverhältnisse von „arbeitnehmerähnlichen“ Personen generell ableiten lassen. […]
9.3.2. Hier kann aber letztlich dahingestellt bleiben, ob und inwieweit die zu Pkt 9.2. angesprochene ältere Rechtsprechung aufrecht erhalten und für die Beantwortung der Frage nutzbar gemacht werden kann, ob § 1159 ABGB nF auf im arbeitsrechtlichen Sinne „arbeitnehmerähnliche“ freie Dienstverhältnisse anzuwenden wäre: Die (unbestrittenen) Darlegungen des Klägers in erster Instanz haben sich nämlich auf eine allgemeine Beschreibung seiner Tätigkeit beschränkt, wonach er auch eigene Projekte einreichte bzw beantragte, keinen Beschränkungen für Nebenbeschäftigungen unterlag und nicht an Arbeitsort oder Arbeitszeiten gebunden war. Konkrete Umstände, aus denen bei ihm ungeachtet dessen eine (zudem besonders stark ausgeprägte) „Arbeitnehmerähnlichkeit“ ableitbar wäre, wurden dagegen – über die Merkmale nach § 1 Abs 1 IESG iVm § 4 Abs 4 ASVG sowie über die Behauptung hinaus, dass die Tätigkeit des Klägers für die Schuldnerin überwogen habe – nicht vorgebracht. […]
10.1. Zusammengefasst sind die Kündigungsbestimmungen nach § 1159 ABGB nF auf das vorliegende freie Dienstverhältnis nicht anzuwenden.
10.2. Wurde ein Dauerschuldverhältnis auf unbestimmte Zeit geschlossen, so kann es mangels gegenteiliger Vereinbarung unter Setzung einer angemessenen Frist frei, also ohne Vorliegen besonderer Kündigungsgründe 229 gekündigt werden […]. Wie lange Vertragsparteien an ihre Verpflichtungen gebunden bleiben, hängt nach der Rechtsprechung generell von der Art des Geschäfts und von den Fristen ab, die von redlichen Vertragsparteien üblicherweise vereinbart werden; dabei liefern die sachlich nächstliegenden Vorschriften und die Interessen der konkreten Vertragsparteien wesentliche Anhaltspunkte (vgl 4 Ob 4/22z).
10.3. Der Kläger und die Schuldnerin haben im unstrittigen Dienstvertrag eine beiderseitige Kündigungsfrist von vier Wochen für das mehr als drei Monate dauernde Dienstverhältnis vereinbart. Sie haben damit offenkundig die im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses geltende Rechtslage nach §§ 1159 ff ABGB aF nachvollzogen. Schon in arbeitsrechtlicher Hinsicht wäre eine solche Frist keinesfalls als unangemessen kurz anzusehen. Welche andere gesetzliche Kündigungsfrist zur Anwendung kommen könnte, ist zudem nach Aufhebung der §§ 1159 ff ABGB aF ebenso wenig erkennbar wie eine Grundlage für die Anwendung einer längeren, über den 31.12.2022 hinausreichenden Kündigungsfrist. Bei Anwendung der vierwöchigen Frist wäre diese auch mangels kollektivvertraglichen oder gesetzlichen Kündigungstermins ab Wirksamkeit der Auflösungserklärung zu berechnen […]. Ein Kündigungstermin ist dem Vertrag ohnehin nicht zu entnehmen.
10.4. Im Lichte dessen erschließt sich nicht, auf welcher Grundlage dem Kläger bei Dienstgeberkündigung am 29.11.2022 ein Anspruch nach § 25 IO auf Kündigungsentschädigung über den 31.12.2022 hinaus zustehen sollte. Daraus folgt, dass auch die Beklagte nicht verpflichtet ist, dem Kläger dementsprechendes Insolvenz-Entgelt zu zahlen.
11.1. Als Ergebnis steht dem Kläger das von ihm begehrte restliche Insolvenz-Entgelt nicht zu. Seiner unberechtigten Revision war daher nicht Folge zu geben. […]
Der Kl war unstrittig als freier DN beschäftigt. Das Dienstverhältnis endete am 29.11.2022 durch Austritt des Kl gem § 25 IO. Strittig war im Anlassfall das zeitliche Ausmaß der Kündigungsentschädigung. § 25 IO sowie die hierzu ergangene Rsp sind auch auf einen freien Dienstvertrag anzuwenden. Dementsprechend steht einem nach § 25 IO ausgetretenen freien DN die Kündigungsentschädigung iSd § 1162b ABGB analog zu. Das zeitliche Maß dieses Anspruchs wird durch die für den konkreten AN unter Außerachtlassung der Insolvenzeröffnung bestehende Kündigungsmöglichkeit des AG bestimmt, wobei sich die Dauer der Kündigungsfrist nach den Verhältnissen im Zeitpunkt der Kündigung richtet. Dem AN gebührt somit die Kündigungsentschädigung bis zum fiktiven Ende des Arbeitsverhältnisses durch ordnungsgemäße AG-Kündigung; er ist so zu stellen, als ob das Arbeitsverhältnis durch den AG ordnungsgemäß beendet worden wäre.
Nach § 3 Abs 3 IESG sind der Berechnung des Insolvenz-Entgelts grundsätzlich nur die gesetzlichen oder kollektivvertraglichen Kündigungsfristen unter Bedachtnahme auf die gesetzlichen oder kollektivvertraglichen Kündigungstermine und die gesetzlichen Kündigungsbeschränkungen zugrunde zu legen. Günstigere (längere) Kündigungsfristen des AG in BV oder Arbeitsvertrag sind nicht gesichert.
Nach § 1 Abs 1 IESG haben freie DN iSd § 4 Abs 4 ASVG in gleicher Weise Anspruch auf Insolvenz-Entgelt wie AN. Dabei ist vom arbeitsrechtlichen Begriff des AN bzw des freien DN auszugehen (vgl OGH 25.11.2016, 8 ObS 15/16p Pkt 3.2 mwN). Danach ist die Eigenschaft als freier DN durch die Verpflichtung zur dauerhaften, regelmäßig wiederkehrenden, im Wesentlichen persönlichen Erbringung von Dienstleistungen aufgrund eines freien Dienstvertrags, ohne persönliche Abhängigkeit charakterisiert. Der sozialrechtliche Begriff des freien DN nach § 4 Abs 4 ASVG, an den § 1 Abs 1 IESG anknüpft, ist aber insofern enger als der arbeitsrechtliche, als er Personen ausnimmt, die aufgrund ihrer im Rahmen eines freien Dienstverhältnisses erbrachten Tätigkeit bereits nach § 2 Abs 1 Z 1 bis 3 GSVG, § 2 Abs 1 BSVG oder nach § 2 Abs 1 und 2 Freiberuflichen Sozialversicherungsgesetz (FSVG) versichert sind.
Zwar sind freie DN iSd § 4 Abs 4 ASVG aufgrund BGBl I 2007/104 den AN seit 1.1.2008 hinsichtlich der Insolvenz-Entgeltsicherung gleichgestellt. Der Anspruch auf Insolvenz-Entgelt besteht allerdings nur in einem geringeren Umfang, weil auf freie Dienstverhältnisse jene arbeitsrechtlichen Regelungen, die die persönliche Abhängigkeit des AN voraussetzen, nicht anwendbar sind.
Der freie Dienstvertrag ist gesetzlich nicht geregelt. Er ist kein Dienstvertrag iSd §§ 1151 ff ABGB, sodass diese Bestimmungen nicht unmittelbar anwendbar sind und grundsätzlich nur die allgemeinen vertragsrechtlichen Bestimmungen des ABGB gelten. Der freie Dienstvertrag wird nach hA insb durch die Verpflichtung zur Erbringung von Dienstleistungen ohne persönliche Abhängigkeit iS einer Unterworfenheit unter die funktionelle Autorität des AG, die Möglichkeit, den Ablauf der Arbeit selbst zu gestalten und die selbst gewählte Gestaltung auch jederzeit wieder zu ändern; das Fehlen von laufenden Kontrollen und von Bindung an bestimmte Arbeitszeiten oder an persönlichen Weisungen, sowie die Möglichkeit sich bei der Erbringung der Dienstleistung vertreten zu lassen, charakterisiert. Die Abgrenzung erfolgt im Rahmen einer Gesamtbetrachtung nach der Methodik des beweglichen Systems.
Im Falle der Kündigung von freien DN wurden vor Inkrafttreten des § 1159 ABGB (nF) – sofern keine vertragliche Vereinbarung getroffen wurde – die Fristen der §§ 1159a ABGB in der vor BGBl I 2017/153 geltenden Fassung herangezogen.230
Nach § 1159a Abs 1 ABGB war seitens des AG eine mindestens vierwöchige Kündigungsfrist einzuhalten, wenn ein Dienstverhältnis, das Dienste höherer Art zum Gegenstande hatte, die Erwerbstätigkeit des DN hauptsächlich in Anspruch nahm und schon drei Monate gedauert hatte. In allen anderen Fällen konnte das Dienstverhältnis unter Einhaltung einer mindestens 14-tägigen Kündigungsfrist gelöst werden (§ 1159b). Durch BGBl I 2017/153 wurden diese Bestimmungen aufgehoben.
Der OGH hatte zu beurteilen, ob die neue Fassung der Kündigungsfristen des § 1159 ABGB auch auf freie Dienstverhältnisse anzuwenden ist. Die Neuregelung verweist im Kern auf § 20 AngG und sieht im Wesentlichen eine Gleichstellung der Kündigungsfristen von Arbeitern und Angestellten vor.
Die Frage, ob § 1159 ABGB nF auch für die DG-Kündigung freier DN gilt, wurde im Schrifttum kontrovers beantwortet. Der OGH spricht sich gegen eine Anwendung von § 1159 ABGB nF auf freie DN aus.
Ziel von BGBl I 2017/153 sei die Vereinheitlichung von Arbeiter- und Angestelltenrecht im Hinblick auf eine Harmonisierung der Kündigungsbestimmungen gewesen. Durch die inhaltliche Angleichung des § 1159 ABGB (nF) an § 20 AngG sei auch der soziale Schutzcharakter dieser Bestimmung zugunsten der nicht vom AngG erfassten „echten“ AN übernommen worden. Gerade diese vollständige Übernahme des Regelungsinhalts aus dem Angestelltenrecht zeige, dass nicht die Schaffung einer neuen allgemeinen Regelung im Vordergrund gestanden sei. Die Beendigung freier Dienstverträge habe der Gesetzgeber weiterhin ungeregelt gelassen. Es liege auch keine planwidrige Lücke vor, die durch Gesetzesanalogie zu schließen wäre.
Nach allgemeinen zivilrechtlichen Grundsätzen könne ein auf unbestimmte Zeit geschlossenes Dauerschuldverhältnis mangels Vereinbarung über die Kündigungsmodalitäten, insb über Kündigungsfristen oder -termine, unter Setzung einer angemessenen Frist frei und ohne Vorliegen besonderer Kündigungsgründe gekündigt werden.
Der Kl und die Schuldnerin haben im Dienstvertrag eine beiderseitige Kündigungsfrist von vier Wochen für das mehr als drei Monate dauernde Dienstverhältnis vereinbart. Sie haben damit offenkundig die im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses geltende Rechtslage nach §§ 1159 ff ABGB aF nachvollzogen. Laut OGH ist eine derartige Frist in arbeitsrechtlicher Hinsicht keinesfalls als unangemessen kurz anzusehen. Welche andere gesetzliche Kündigungsfrist zur Anwendung kommen könnte, sei nach Aufhebung der §§ 1159 ff ABGB aF ebenso wenig erkennbar wie eine Grundlage für die Anwendung einer längeren, über den 31.12.2022 hinausreichenden Kündigungsfrist.
Zusammengefasst sind die Kündigungsbestimmungen nach § 1159 ABGB nF somit auf das vorliegende freie Dienstverhältnis nicht anzuwenden. Die Revision des Kl wurde daher abgewiesen.